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# taz.de -- Kolumne Über Ball und die Welt: MV und Muammar
> Mithilfe des Fußballs wurde schon oft die Liebe des Volkes erkauft. Wenn
> man aber so dumm ist sich gegen die Fans zu stellen, geht das schief.
> Siehe Libyen.
Was ein Regimewechsel im Fußball bewirken kann, weiß Theo Zwanziger. Vor
fünf Jahren beendete er die Schreckensherrschaft des Gerhard
Mayer-Vorfelder, abgekürzt MV im Deutschen Fußball-Bund. Am Tag von
Zwanzigers Wahl, dem 6. September 2006, gewann die Nationalmannschaft unter
Jogi Löw 13:0 in San Marino.
Ähnliches erlebt hat nun die libysche Nationalelf in Bengazi beim 1:0 über
Mozambique. Kurz zuvor war Verbandspräsident Saadi al-Gaddafi von seinem
Posten entbunden worden. Anders als MV war Gaddafi Fußballprofi gewesen:
Perugia Calcio, Udinese Calcio und Sampdoria Genua waren seine Stationen in
der ersten italienischen Liga. MV hingegen war noch nicht einmal
dreimaliger libyscher Fußballer des Jahres.
Dass Saadi das war, verdankte er politischem Einfluss. Wo es jedoch um
wirkliche Fähigkeiten ging, in der italienischen Serie A, konnte der Sohn
von Muammar al-Gaddafi nicht reüssieren: Gerade mal auf einen Einsatz in
der ersten Liga kam er. Und im libyschen Fußball setzte er sich auch nur
dank Papa und dessen Geld durch. Lange Zeit spielte er als Kapitän von
al-Ittihad, ein großer und mächtiger Klub in Libyen. Reich, mit den jeweils
Herrschenden verbandelt, durchaus von Schiedsrichtern gemocht (woran Saadi
al-Gaddafi sehr aktiv beteiligt gewesen sein soll) und beim Gros der
libyschen Fans verhasst.
Im libyschen Fußball gibt es nämlich etwas, das es beinah überall gibt, wo
Fußball gespielt wird: die Konkurrenz, mitunter gar zum Hass gesteigert,
zwischen reichen, eher bürgerlichen Vereinen und den Klubs derer, die man
gern Unterschicht nennt. In Libyen gehört zu letzteren Al-Ahly Bengazi.
Dort fanden und finden sich die Leute ein, die letztlich auch das
Vater-und-Söhne-Regime gestürzt haben.
Libyen war ein Land, "in dem die Moschee und das Fußballstadion das einzige
Ventil darstellten, in dem sich aufgestauter Ärger und Frust entladen
konnten", schreibt der Politologe und Blogger James M. Dorsey. Klügere
Diktatoren als Saadi und sein Papa lassen diese Ventile geöffnet. Vor ein
paar Jahren aber buhten Al-Ahly-Bengazi-Fans ausgerechnet beim Pokalfinale
Saadi und seine Staatskicker aus – noch dazu vor afrikanischen
Würdenträgern, die auf Kosten der Gaddafi-Familie (auch genannt: libyscher
Staat) gerade die fußballerische Leistung des talentierten Sohnes bewundern
mussten.
Da rastete Saadi aus. "Ich werde euren Klub vernichten!", brüllte er und
ließ prompt den damaligen Präsidenten von Al-Ahly Bengazi verhaften. Gegen
den Fußball und seine Fans vorzugehen – darin drückt sich die ganze
Dummheit des Gaddafi-Regimes aus.
Saadi hatte zur Kenntnis genommen, dass Fußball populär ist, dass seine
Stars geliebt werden, dass hier Identifikation mit einem Klub oder einem
Land stattfindet. Das brachte ihn dazu, selbst Kicker werden zu wollen –
aber dass er nur einer war, der sich mit Macht und Geld in die Stammelf
beamen konnte, merkte er nicht mehr. Als der damalige Nationaltrainer
Libyens, der Italiener Francesco Scoglio, ihn einmal nicht aufstellte,
wurde der Coach prompt gefeuert.
Es ist der Versuch, Liebe zu kaufen, der gerade bei Saadi al-Gaddafi
schiefgegangen ist. Solche Versuche hatte es im Fußball schon oft gegeben.
Erich Mielke kümmerte sich als Minister für Staatssicherheit der DDR sehr
fürsorglich um den BFC Dynamo: Zehn Meistertitel hintereinander waren
Produkt der Hege. Valentin Ceausescu, eine Art rumänischer Saadi, betreute
Steaua Bukarest, das 1986 sogar den Europapokal der Landesmeister gewinnen
konnte. Und Gerhard Mayer-Vorfelder wurde, als sein politischer Stern als
baden-württembergischer Landesminister gesunken war, Präsident des DFB:
Immerhin der Vizeweltmeistertitel 2002 sprang dabei heraus; heute jedoch
regieren im Ländle die Grünen.
Weitere Analogien zwischen dem Oberbefehlshaber der libyschen
Sondereinheiten, Saadi al-Gaddafi, und dem Oberleutnant der Reserve,
Gerhard Mayer-Vorfelder, hätten mit Fußball nichts zu tun.
7 Sep 2011
## AUTOREN
Martin Krauss
## TAGS
Libyen
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