# taz.de -- Kolumne Ball und die Welt: Unser Jude | |
> Der KS Cravovia in Polen wird als "Judenklub" beschimpft. Fans von | |
> Vereinen wie dem polnische Meister Wisla Krakow rufen gern auch mal "Do | |
> pieca!" – "In den Ofen!". | |
Bild: "Bengalos" und Fahnen bei Wisla Krakow: Feier nach dem Meisterschaftsgewi… | |
YAVNE ZU WISLA KRAKOW taz | Maor Melikson ist Fußballprofi und hat in 15 | |
Spielen vier Tore geschossen. Das ist nicht wirklich eine pralle Quote, | |
auch nicht für einen offensiven Mittelfeldspieler. | |
Meliksons Bedeutung dürfte noch nicht mal klar werden, wenn man ergänzt, | |
dass er Israeli ist, dass er in der polnischen Ersten Liga, der | |
Ekstraklasa, spielt und dass er gerade mit Wisla Krakow polnischer Meister | |
wurde. | |
Vielleicht erschließt sich seine Relevanz ja so: Drei Tage vor Ende der | |
Saison war es Melikson, der für Wisla das entscheidende Meisterschaftstor | |
erzielte. Das war im Lokalderby gegen KS Cravovia. Dort passierte unter | |
anderem dies: Als Cravovia-Verteidiger Maciej Luczak verletzt vom Platz | |
getragen wurde, musste er sich "Do pieca!"-Rufe anhören, "In den Ofen!". | |
Schon seit Jahrzehnten wird Cracovia von Wisla-Anhängern als "Judenklub" | |
beschimpft, und seine Fans und Spieler werden "in die Gaskammer" gewünscht. | |
## Der antisemitischste Klub in ganz Polen | |
Was will Maor Melikson dort? Was sucht ein 1984 in der israelischen | |
Kleinstadt Yavne geborener Jude bei Wisla Krakow? Und warum schließt er | |
gleich einen Viereinhalbjahresvertrag ab? "Eine Menge von Leuten hat mich | |
gewarnt", hat Melikson in einem Interview erzählt, man habe ihn mit | |
Telefonanrufen förmlich bombardiert. "Die Leute sagten mir: Das ist der | |
antisemitischste Klub in ganz Polen. Die hassen Juden. Es kann für einen | |
Juden nicht gut sein, dort zu spielen." | |
Maor Melikson sieht das anders. Als sich in der Winterpause sein Wechsel | |
von Hapoel Beer Sheba nach Krakau andeutete, meldeten sich etliche | |
Wisla-Fans bei ihm, um ihm zu sagen, er solle sich nicht fürchten. "Sie | |
sagten, dass sich ihr Hass gegen ihren Lokalrivalen, Cracovia, richtet und | |
dass sie Juden nicht deswegen hassen, weil sie Juden sind." Was soll er | |
auch anderes sagen? Melikson ist halt für Wisla-Fans "unser Jude" - | |
derjenige, der entscheidende Tore schießt und dem sie tolerant nachsehen, | |
dass er etwas ist, was sie eigentlich nicht leiden können. Sie hassen Juden | |
(und Schwarze und Ausländer und Schwule und Lesben), aber wenn sie merken, | |
dass dieser Hass dem Objekt ihrer Liebe schaden könnte, stecken sie ihn | |
kurz zurück. | |
## Affengeräusche und Bananen | |
Solange ausländische Kicker, vor allem Profis aus Afrika, in der Bundesliga | |
noch selten waren, gab es das Phänomen hierzulande oft zu besichtigen: Fans | |
von Eintracht Frankfurt bejubelten Anthony Yeboah, Fans von Wattenscheid | |
applaudierten Souleyman Sané - doch schwarzen Spielern anderer Vereine | |
gegenüber machten sie Affengeräusche und warfen Bananen. Überwunden ist das | |
Phänomen der Unterscheidung zwischen "guten" und "schlechten Negern" | |
allerdings noch lange nicht. | |
Besonders heftig sind Fans, die nicht mal einen Weltklassespieler bei sich | |
akzeptieren wollen, so er schwarz oder Jude oder beides ist. 1992 wechselte | |
beispielsweise der niederländische Nationalspieler Aron Winter zum | |
italienischen Erstligisten Lazio Rom - jenem Verein, bei dem Miroslav Klose | |
gerade angeheuert hat. Dass Winter der erste schwarze Profi bei Lazio | |
wurde, war ihnen zuwider. Mehr noch als seine Hautfarbe hassten sie Winters | |
ersten Vornamen. Aron - und nicht sein zweiter Vorname Mohamed - machte sie | |
fälschlich glauben, Winter sei ein Jude, und so einen wollten sie auf | |
keinen Fall. Immerhin, vier Jahre hielt es Aron Winter bei Lazio aus. | |
Das ungefähr ist auch die Frist, die sich Maor Melikson bei Wisla Krakow | |
gegeben hat. Mag sein, dass er naiv ist, dass er Schaden nimmt, dass sie | |
ihn in der Luft zerreißen oder dass sie ihn nur aus den falschen Gründen | |
mögen - weil und solange er sich nämlich aus ihrer Sicht "rechnet". Aber | |
zum Glück gibt es im Fußball keine vier Jahre des ständigen Erfolgs. Eine | |
solch lange Zeit bei einem Verein zu spielen heißt nämlich: auch dann als | |
Mensch respektiert zu werden, wenn es mal weniger erfolgreich läuft, ja | |
sogar, wenn einem mal - vielleicht sogar dramatische - Fehler unterlaufen. | |
Könnte ja sein, dass es klappt. | |
15 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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