| # taz.de -- New Yorker und ihr Alltag nach dem Terror: "Ich trage keinen Bürge… | |
| > Kein heißes Pflaster für Patriotismus - Künstler, Medienschaffende und | |
| > Intellektuelle sprechen über ihren Alltag in New York und ihre | |
| > Wahrnehmung der USA, zehn Jahre nach 9/11. | |
| Bild: Der Schriftsteller Rick Moody glaubt, die Auseinandersetzungen zwischen R… | |
| Politisches Ressentiment blendet es gern aus: Aber die USA sind ein Land | |
| voller Widersprüche. Und diese Widersprüche sind seit 9/11 stärker | |
| geworden, nicht schwächer. Sichtbar etwa an der erstarkten | |
| fundamentalistischen Rechten auf der einen Seite und an der losen | |
| progressiven Bewegung, die Obama ins Amt gehievt hat auf der anderen. | |
| An Obama selbst, der kein radikaler Neuerer ist, sondern | |
| Mitte-links-Politik macht. An dem Selbstverständnis der USA als Weltmacht, | |
| wie an der Selbstkritik, die die Amerikaner an ihrem Land üben. Besser als | |
| in New York lassen sich diese Widersprüche nirgendwo beobachten. New York | |
| war und ist Mekka der Superreichen, aber auch Heimat newder arbeitenden | |
| Bevölkerung und einer Mittelklasse, die das Kulturleben der Stadt genauso | |
| geprägt hat, wie die welthaltige bürgerliche Hochkultur. | |
| Sentimentalität mag sich Tim Sweeney nicht erlauben. "Wir müssen immer in | |
| Bewegung bleiben, Geld verdienen, um unsere Mieten zahlen zu können, | |
| versuchen, den Traum wahrzumachen", sagt der 32-jährige DJ und Moderator | |
| der New Yorker Radiosendung "Beats in Space". Wer als internationaler DJ | |
| auf sich hält, legt bei Sweeney in der Sendung auf. Er ist eine der | |
| Figuren, die das Popgeschehen in New York gestalten. Am besten zu erreichen | |
| ist er jedoch per E-Mail, weil er pausenlos unterwegs ist in der | |
| Weltgeschichte, um Platten aufzulegen. "Nach all meinen Reisen kann ich | |
| sagen, in New York ist die Mischung an Menschen mit unterschiedlicher | |
| Herkunft einfach am größten, deshalb fühle ich mich auch wohl." | |
| ## "New York war im Ausnahmezustand" | |
| Sweeney ist in Baltimore aufgewachsen, 1999 nach New York gezogen. Wenn er | |
| keine DJ-Engagements hat, arbeitet er im Aufnahmestudio der Plattenfirma | |
| DFA. Seit 13 Jahren sendet er jede Woche eine Folge von "Beats in Space". | |
| Auch am 13. September 2001 ging Sweeney auf Sendung, zwei Tage nach den | |
| Anschlägen auf das World Trade Center. "Durch Manhattan patrouillierten | |
| Militärfahrzeuge, New York war im Ausnahmezustand. Ich habe Musik gespielt, | |
| Platten gemischt und versucht, die Ereignisse für den Moment auszublenden." | |
| Ganz so wie vorher sei New York nicht mehr. Was den Jahrestag anbetrifft, | |
| ärgert Sweeney, dass es so lange gedauert hat, bis eine Gedenkstätte | |
| entstanden ist. "Die neu entstandenen Gebäude sind nur ein müder Abklatsch | |
| der Twin Towers. Als ich nach New York gezogen bin, hat mich der Blick von | |
| der Sixth Avenue hinunter auf die beiden Türme fasziniert, und ich vermisse | |
| ihn." | |
| Sentimental wird der afroamerikanische Schriftsteller und Jazzkritiker | |
| Amiri Baraka nur, wenn es um das Kulturleben von New York geht. Eine Stadt, | |
| in der der 77-Jährige in den Fünfzigern und Sechzigern gelebt hat. Ihr hat | |
| er als Künstler alles zu verdanken. In New York reüssierte er zuerst als | |
| Autor am Theater und als Schriftsteller, dort schrieb er für renommierte | |
| Zeitungen und Zeitschriften über Jazz, zu einer Zeit, "als diejenige Musik | |
| mit den größten Experimenten am populärsten war." Die Atmosphäre in New | |
| York habe ihm dabei geholfen, "kritisches Bewusstsein" zu entwickeln, sagt | |
| Baraka, zu dessen Freunden Musiker wie Archie Shepp zählten. | |
| ## Gentrifizierung New Yorks | |
| Er empfängt mich in seinem Haus in Newark, New Jersey, zum Lunch. Dorthin | |
| hat er sich Anfang der Siebziger zurückgezogen. Seit 1970 wird Newark von | |
| schwarzen Bürgermeistern regiert. Auf den jetzigen, für den Barakas Sohn | |
| als Berater arbeitet, müsse er besonders aufpassen. Der habe 100 Millionen | |
| US-Dollar von Facebook bekommen, um eine Privatschule zu erbauen. Auch die | |
| Vorstädte in New Jersey bekämen nun die Gentrifizierung New Yorks zu | |
| spüren. Die Gebühren für Hausbesitzer schnellen in die Höhe. | |
| Bei Orangensaft, Spiegeleiern mit Speck und gebuttertem Toast redet er sich | |
| in Fahrt. Unmittelbar nach 9/11 hat Baraka eine Sonderausgabe der | |
| Zeitschrift Unity & Struggle mit der Schlagzeile "Revolutionaries against | |
| Terrorism" veröffentlicht. Inzwischen gehört er zu den 45 Prozent | |
| Amerikanern, die laut einer Umfrage von Gallup keine Geschichte mehr | |
| glauben, die ihnen offiziell erzählt wird. Baraka hängt bei 9/11 | |
| Verschwörungstheorien an. | |
| Er sagt, die US-Regierung habe die Anschläge zugelassen. Die Wallstreet | |
| liege auf dem am besten bewachten Terrain des Landes, dorthin könne niemand | |
| unbemerkt Verkehrsflugzeuge steuern. Ob er damit sagen wolle, die USA haben | |
| den Tod von mehr als 3.000 ihrer Bürger in Kauf genommen, frage ich Baraka. | |
| "Was interessiert die schon 3.000 Menschenleben. 9/11 war doch Türöffner | |
| für die Kriege in Afghanistan und Irak." In Wahrheit gehe es ums Öl. | |
| In Afghanistan, meint er das ernst? Ja, "dort haben sie Mineralien | |
| entdeckt". Schnell fällt das Gespräch auf den Nahen Osten. Auch in Libyen | |
| würde sich alles ums Öl drehen. Und dann beglückwünscht er den Gast aus | |
| Deutschland dafür, dass sein Staat nicht an den Bombardements auf Libyen | |
| beteiligt gewesen sei. | |
| ## Von Freiheit zu Repression | |
| Ansonsten fällt ihm für die Geschehnisse beim arabischen Frühling der | |
| französische Begriff "joie distante" ein. Während Homeland Security als | |
| Wortschöpfung Baraka an die deutsche Sprache erinnert. "Die USA haben nach | |
| den Anschlägen einen ganz anderen Charakter angenommen, wir werden seither | |
| nicht mehr mit Freiheit oder Demokratie assoziiert, sondern mit einem Image | |
| als repressiver Staat." | |
| Positiver sieht Baraka die Entwicklung der Beziehungen unter den | |
| verschiedenen Herkunftsgruppen in seinem Heimatland. Er war eine der | |
| prominenten Stimmen der Black-Power-Bewegung und hat zusammen mit seiner | |
| zweiten Frau den Kampf um die gesellschaftliche Gleichstellung der | |
| Schwarzen seit den Sechzigern mit ausgefochten. Das hat Kraft gekostet. | |
| An seiner rechten Schläfe prangt eine Narbe. Die habe ihm ein Polizist bei | |
| Auseinandersetzungen in seiner Heimatstadt Newark zugefügt, sagt Baraka. | |
| "Seit Obamas Wahlsieg haben sich die Rassenbeziehungen gebessert. Es gibt | |
| eine wachsende Anzahl wohlhabender und auch politisch einflussreicher | |
| Schwarzer. Auch wenn er uns in Einigem enttäuscht hat, werden wir ihn | |
| weiterhin unterstützen, wir haben gar keine andere Wahl." | |
| ## "Eine starke Rechte mit faschistoiden Tendenzen" | |
| Über den Zustand der Republikaner schüttelt Baraka nur den Kopf. Er erwähnt | |
| Rick Perry, den Gouverneur von Texas mit Ambitionen als republikanischer | |
| Präsidentschaftskandidat, der neulich gesagt habe, die Arbeitslosigkeit sei | |
| mit Gebeten überwindbar. "Manchmal erinnert mich der Zustand Amerikas an | |
| Deutschland während der Weimarer Republik. Es gibt Obama, auf den die | |
| progressiven Kräfte aufpassen müssen, und es gibt eine starke | |
| fundamentalistische Rechte mit faschistoiden Tendenzen." | |
| Auch Ned Sublette schaudert es vor Rick Perry, den er einen "theokratischen | |
| Sezessionisten" nennt. Anders als Amira Baraka lässt Sublette an Präsident | |
| Obama aber kein gutes Haar. Der lasse sich von der Wallstreet zu viel | |
| reinreden. Zum Gespräch treffe ich den 60-jährigen Musiker und Autor im | |
| Baruch-College an der 24 Street East in Manhattan, wo er einen Kurs über | |
| hispanische Geschichte gibt. | |
| Auf dem Parkplatz einige Meter neben dem Schulgebäude beträgt die | |
| Monatsmiete für einen Pkw mehr als 500 US-Dollar. Sublette besitzt kein | |
| Auto. Seit 1976 lebt er in New York. Er gehörte zur sogenannten | |
| Downtown-Szene, spielte unter anderem in der Band Love of Life Orchestra | |
| und hat Bücher verfasst, darunter ein Standardwerk zur Musikgeschichte | |
| Kubas. "Lange bevor es das Internet gab, lebten wir in New York das World | |
| Wide Web. Man konnte Ende Siebziger spielend von einer Realität in die | |
| nächste tauchen. Die meisten Künstler wohnten in Laufweite." | |
| Mitte der Siebziger war New York bankrott. Musiker und Künstler eigneten | |
| sich Manhattan an, es gab bezahlbaren Wohnraum, Clubs und Galerien, | |
| alternative Medien und Radiosender. Mit Gelegenheitsarbeiten konnte man | |
| sich über Wasser halten. Die Produktivität jener Jahre ist Stoff für | |
| Legenden. Aus den Nischen von einst ist Weltkulturerbe geworden, nur sind | |
| viele der legendären Orte und Akteure schon lange vor 9/11 verschwunden. | |
| ## Kein Sinn für Gemeinschaft | |
| Heute fühlt sich Sublette in Manhattan unwohl. Der Sinn für Gemeinschaft | |
| sei den Bewohnern abhanden gekommen. Die Infrastruktur sei einzig auf | |
| Touristen zugeschnitten. In seiner Straße gäbe es keinen Supermarkt mehr, | |
| nur noch teure "High-end Healthy Food"-Boutiquen. Künstler müssten sich in | |
| Stadtrundfahrtbussen als Touristenführer durchschlagen. | |
| Es sei verdammt schwer, als Angehöriger der Mittelklasse über die Runden zu | |
| kommen. Sublette hat keine Krankenversicherung. Stipendienaufenthalte von | |
| Universitäten helfen ihm, Bücher zu schreiben, und er schlägt sich als | |
| Gastdozent durch. Für den 11. September 2011 wünscht er sich am liebsten | |
| einen Hurrikan. | |
| Mit 9/11 wurde die Transformation Manhattans unterbrochen. Aber seit | |
| einiger Zeit hat die Gentrifizierungsschraube wieder angezogen, der Markt | |
| für Immobilien boomt. Sublette vergleicht diesen Boom mit Kannibalismus, | |
| Denkmalschutz existiere praktisch nicht. Alte Gebäude werden abgerissen, um | |
| Platz für Neue zu schaffen. Im August wurde das Chelsea Hotel geschlossen. | |
| Das Gebäude ist verkauft, es soll abgerissen werden. | |
| ## Mieten verteuerten sich drastisch | |
| "Im Jahr 2011 ist New York für Künstler so unattraktiv wie nie zuvor." | |
| Menschen, die nach New York ziehen, blicken immer neidisch auf diejenigen, | |
| die dies schon zehn Jahre zuvor getan hätten, sagt der Musiker und | |
| Professor für Creative Writing, David Grubbs, weil sich Mieten in New York | |
| innerhalb eines Jahrzehnts drastisch verteuerten. | |
| 1999 war der 43-Jährige nach New York gezogen. Seither wohnt mit er mit | |
| seiner berufstätigen Frau und ihrem kleinen Sohn in Brooklyn; zunächst in | |
| Park Slope, inzwischen in Bedford-Stuyvesant, einem afroamerikanisch | |
| geprägten Viertel, in einer kleinen Zweizimmerwohnung. Auch Queens ist zu | |
| einem Ausweichquartier für Kulturschaffende geworden, in Manhattan leben | |
| nur noch Reiche. | |
| New York sei auch nach 9/11 kein heißes Pflaster für Patriotismus gewesen, | |
| so David Grubbs. In den nationalen Medien und im Rest des Landes sei | |
| dagegen Stimmung gegen Muslime gemacht worden. So ähnlich muss es in der | |
| Ära McCarthy gewesen sein, meint er. "Bereits Bushs Wahlsieg im November | |
| 2000 empfand ich als Tragödie, seine Wiederwahl 2004 war dann das größte | |
| politische Debakel, an das ich mich erinnern kann. Dass Bush und Cheney | |
| 9/11 als Begründung für den Krieg gegen Saddam ausgegeben haben, hat mich | |
| sprachlos gemacht." | |
| ## Direkter Zusammenhang zwischen Außen- und Innenpolitik | |
| Alle, mit denen ich in New York gesprochen habe, sehen einen direkten | |
| Zusammenhang zwischen der US-Außen- und der Innenpolitik. Auch David | |
| Grubbs. "Es ist viel wichtiger für die USA, dass sie im Nahen und Mittleren | |
| Osten eine Politik macht, die dem Humanitären verpflichtet ist, als dass | |
| sie ihre Landesgrenzen abschirmt und Fluggäste mit besseren Scannern | |
| überprüft. | |
| Durch 9/11 war unsere Stadt zum Anschlagsziel geworden. Auch ich war davon | |
| wie erstarrt. Und ich hatte den fatalistischen Gedanken, dass es jederzeit | |
| wieder passieren könnte. Das empfand ich weitaus gravierender als alle | |
| hastig eingeführten Sicherheitsmaßnahmen." | |
| Grubbs Sohn besucht eine Schule, in der 90 Prozent der Schüler schwarz | |
| sind. Präsident Obama gilt als Vorbild für die Schüler, erzählt Grubbs. | |
| Sein Erfolg beflügele nicht nur die Schüler, sondern das ganze Land. An | |
| Obama stört Grubbs aber, dass er sich von den Republikanern zu viel bieten | |
| lasse. | |
| Dem Jahrestag von 9/11 sieht Grubbs mit gemischten Gefühlen entgegen: "Der | |
| zehnte Jahrestag von 9/11 ist nicht zu vergleichen mit dem Gedenken an | |
| Pearl Harbour 1951. Damals war der Zweite Weltkrieg siegreich beendet, und | |
| unser Land war zur Normalität zurückgekehrt. Aber unsere Wirtschaft leidet | |
| an einem Trauma und politisch droht Stillstand, woran vor allem die Tea | |
| Party schuld ist. Es gibt nichts zu feiern, außer, dass es seit dem 11. | |
| September 2001 nicht noch weitere schwere Anschläge gegeben hat." | |
| ## Von der üppigen zur zögerlichen Supermacht | |
| Farai Chideya treffe ich in einem Großraumbüro im Dumbo-Viertel von | |
| Brooklyn, wo sie für die Kreativagentur ETSY als Beraterin tätig ist. | |
| Bekannt wurde Chideya aber als Journalistin. Sie hat vier | |
| US-Präsidentschaftswahlkämpfe journalistisch begleitet. | |
| Auf die Frage, ob ihr Land mit 9/11 den Nimbus der Unverwundbarkeit | |
| verloren habe, antwortet die preisgekrönte Autorin: "Vor dem Terrorakt | |
| handelte die USA als üppige Supermacht, inzwischen sind wir so etwas wie | |
| eine zögerliche Supermacht geworden." Obama, sagt sie, sei viel stärker mit | |
| der Welt verbunden, als sein Vorgänger. Aber die Außenpolitik habe sich | |
| nicht grundlegend gewandelt. | |
| "Wir geben immer noch immense Summen zur Bekämpfung des Terrorismus aus, | |
| was man etwa an der Aktion zur Erschießung bin Ladens sehen kann. Wir | |
| stecken tief im Morast der Kriege nach 9/11. Diese Engagements kosten | |
| Unsummen und bringen wenig für unsere Sicherheit." Auf den Jahrestag blickt | |
| sie mit Sorge. "Viel stärker als Ground Zero sorgt die Amerikaner die | |
| Situation am Arbeitsmarkt, die verloren gegangenen Jobs in Industrie und | |
| Handwerk. Wie die Wirtschaft wieder auf die Beine kommen soll, wissen wir | |
| nicht." | |
| Die 42-jährige Autorin ist eine Spezialistin für Sicherheitspolitik. | |
| Eingehend hat sie sich mit dem Thema Datenschutz befasst. Mit 9/11 kam das, | |
| was sie Bewusstsein für totale Information nennt. "Der Zugang zu | |
| Informationen sollte frei und unbegrenzt sein. Bei Beschränkungen wachsen | |
| meine Zweifel.Nach 9/11 hat die US-Regierung Unmengen von Personendaten | |
| gesammelt, zu denen nur bestimmte Behörden Zugang hatten", sagt Chideya. | |
| ## "Neuorganisation der Sicherheitspolitik war übereilt" | |
| Sie wisse nicht, wem die Arbeit des damals ins Leben gerufenen Ministeriums | |
| für Heimatschutz tatsächlich nutze. Für das Ministerium würden | |
| Untereinheiten arbeiten, die alles "von Grenzsicherung, über Abhöraktionen | |
| bis zur Einwanderung" unter dem Banner der nationalen Sicherheit | |
| koordinierten. "Diese Neuorganisation der Sicherheitspolitik nach 9/11 war | |
| übereilt, teuer und wenig überdacht, und sie warf viele juristischen Fragen | |
| auf." | |
| Erleichterung habe er empfunden, als er von Osama bin Ladens Tod erfahren | |
| habe. Moustafa Bayoumi sagt, er fühle sich als Weltbürger. Der Professor | |
| für Englisch und Postcolonial Studies am Brooklyn City College wurde als | |
| Kind libanesischer Eltern in Zürich geboren und wuchs in Kanada auf. | |
| Allein seine Existenz sei schon die Antithese zu Samuel Huntingtons "Kampf | |
| der Zivilisationen", dem auch die Islamisten anhängen. "Ich bin ein Mix aus | |
| Ost und West, und ich trage keinen Bürgerkrieg in meinem Körper", erklärt | |
| Bayoumi. Neben seiner Lehrtätigkeit arbeitet er für den Fernsehsender CNN | |
| und die Zeitschrift The Nation. | |
| Ich treffe ihn in einem Café im Brooklyner Stadtteil Clinton Hill. Bayoumi | |
| spricht schnell, druckreif. Er wirkt diskussionserprobt, allerdings auch | |
| sehr vorsichtig. In den USA machte er Furore mit seinem Buch "How does it | |
| feel to be a problem. Being young and Arab in America", einer Chronik der | |
| Repression gegen junge arabische Amerikaner nach 9/11, ein Viertel davon | |
| Muslime, viele Christen, einige Juden, andere nicht religiös. Bayoumi | |
| selbst wurde muslimisch erzogen. Viele junge Arab-Americans seien nach 9/11 | |
| religiöser geworden. Er nicht. Religion sei bei ihm nie Thema gewesen. Er | |
| habe sich lieber intellektualisiert. | |
| ## Schelchte Beziehungen unter der Bevölkerung | |
| Anders als Amiri Baraka empfindet Bayoumi, dass sich in den letzten zehn | |
| Jahren die Beziehungen in den USA unter den Bevölkerungsgruppen | |
| verschlechtert hätten. Er zitiert den französischen Philosophen Etienne | |
| Balibar, der festgestellt habe, auch Rassismus sei Paradigmenwechseln | |
| unterworfen. In den USA seien Schwarze nicht mehr die Sündenböcke, diese | |
| Rolle müssten nun Latinos und Muslime spielen. 2002 hätten ein Drittel der | |
| US-Amerikaner Vorbehalte gegen Araber geäußert, 2010 wäre es mehr als die | |
| Hälfte der Bevölkerung. | |
| "Rassismus, der auf Hautfarbe basiert, wird heute sogar in rechten Kreisen | |
| als rückwärtsgewandt angesehen." Bayoumi spricht an Colleges und | |
| Universitäten und an liberalen Schulen, an anderen nicht. Die USA sind | |
| polarisiert, ein großes Problem, beiden Lager sprächen kaum miteinander. | |
| Bayoumi hat im August seinen US-Einbürgerungstest bestanden. Diesen Monat | |
| erhält er seine Staatsbürgerurkunde. | |
| Mit dem Schriftsteller Rick Moody spreche ich auf einer Autofahrt durch | |
| Brooklyn. Eine Fahrt, vorbei an chassidischen Juden in Williamsburg, die | |
| aus einem Schulgebäude strömen, und Schwarzen in Clinton Hill, die auf | |
| einer Baustelle arbeiten. | |
| Der 50-Jährige erinnert sich an eine Zeit vor 9/11, als das Leben in New | |
| York von Konflikten zwischen Klassen, Rassen, Religionen geprägt war. Diese | |
| Auseinandersetzungen gerieten mit den Anschlägen in den Hintergrund. "Es | |
| gab danach ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Wir New Yorker waren in Bezug | |
| auf die US-Außenpolitik nun exponierter als der Rest des Landes", befindet | |
| Moody. "Mit 9/11 verblasste der Mythos von der offenen Gesellschaft. Dafür | |
| sorgte Bush. Dass wir als Militärmacht unverwundbar sind, war auch nicht | |
| mehr haltbar. Aber das waren eher hässliche amerikanische Mythen als New | |
| Yorker Mythen." | |
| Muslime waren bereits vor 9/11 nicht aus New York wegzudenken. Das | |
| Taxigewerbe und die Corner-Stores sind seit eh und je in | |
| arabisch-amerikanischer Hand. "In Queens ist es nicht verkehrt, wenn man | |
| Pandschabi oder Persisch versteht." Moody hat sich in seinen Werken nur am | |
| Rande mit den Auswirkungen von 9/11 beschäftigt. In dem Roman | |
| "Wassersucher" ließ er einen Richter am obersten Gericht den Satz | |
| "Menschenrechte sind etwas für Sklaven" sagen. In der Novelle "The | |
| Albertine Notes" stellte er ein traumatisiertes New York nach einem | |
| Neutronenbombenabwurf dar. | |
| ## Zu wenig Kenntnis von den Nuancen | |
| "Nach wie vor finde ich es schwierig, 9/11 fiktional darzustellen. Wir | |
| haben dafür noch zu wenig Kenntnis von seinen Nuancen. Es hat auch | |
| Jahrzehnte gedauert, bis der Vietnamkrieg packend in der Literatur | |
| dargestellt wurde. Viele Romane haben die Ereignisse um 9/11 nur | |
| ausgeschlachtet, das wurde sehr tendenziös, und das will ich vermeiden." | |
| Moody glaubt, dass die anhaltende Rezession vor allem die untere | |
| Mittelklasse und die arbeitenden Armen treffen wird. Letztendlich würden | |
| die ethnischen Beziehungen davon in Mitleidenschaft gezogen. "Ich habe eine | |
| ambivalente Beziehung zum US-Marktkapitalismus." Der politische Apparat | |
| wurde nach 9/11 von einem einseitigen und unkontrollierbaren Kapitalismus | |
| mobilisiert. Der Rüstungskonzern Halliburton hat den Irakkrieg für sich | |
| genutzt, und die Bush-Regierung hat mit ihrem Katastrophenkapitalismus das | |
| Ölgeschäft dereguliert und das Kriegführen einer neoliberalen Logik | |
| unterzogen. | |
| New Yorker meiden diesen Ort am liebsten. Zu sehr ist Ground Zero für sie | |
| mit traumatischen Erinnerungen verbunden. Da, wo damals zwei von al-Qaida | |
| entführte Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers gesteuert wurden | |
| und 3.000 Menschen töteten, klafft eine Lücke. | |
| Schutt und Trümmer der eingestürzten Zwillingstürme sind lange beseitigt. | |
| Die Baulücke ist zur Touristenattraktion geworden, obwohl es nicht viel zu | |
| sehen gibt. An der Gedenkstätte in den Grundmauern wird noch fieberhaft | |
| gebaut, Zäune und Absperrungen verhindern den direkten Blick. Trotzdem sind | |
| die Straßen ringsum von Neugierigen gesäumt, die die Schautafeln studieren | |
| und die Bauarbeiten fotografieren und filmen. | |
| Um die Ecke nutzt eine Demonstration von Angestellten des Telefonkonzerns | |
| Verizon die Aufmerksamkeit. Sie protestieren gegen Rentenkürzungen und | |
| haben sich in der Nähe des symbolträchtigen Ortes versammelt. Alle in roten | |
| T-Shirts, einige mit US-Flaggen. Ground Zero ist der einzige Ort in New | |
| York, an dem noch so etwas wie Patriotismus festzustellen ist. | |
| 9 Sep 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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