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# taz.de -- Streit in der schwarz-gelben Koalition: Zweckbündnis der Egoisten
> FDP und CSU verschärfen in der Euro-Krise die Tonlage - die Kanzlerin
> pfeift ihren Vizekanzler prompt zurück. Ist auch die Koalition in der
> Krise?
Bild: Haben sie noch die gleiche Blickrichtung? Vizekanzler Philipp Rösler, Bu…
BERLIN taz | Mit wenigen Sätzen hat Philipp Rösler ein politisches Beben in
der Koalition ausgelöst. Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich sah sich
am Dienstag gezwungen, ihren Wirtschaftsminister zurückzupfeifen. Jeder
solle seine Worte "sehr vorsichtig wägen", lautete Merkels Rat, der kaum
verklausuliert auf Rösler zielt.
"Was wir nicht brauchen können, ist Unruhe auf den Finanzmärkten. Die
Unsicherheiten sind schon groß genug." Ähnlich äußerte sich Finanzminister
Wolfgang Schäuble (CDU).
Die Debatte über eine mögliche Staatsinsolvenz Griechenlands tobte auch am
Dienstag weiter - trotz der Einlassungen Merkels. Ihr Problem dabei: Die
kleinen Koalitionspartner klemmen sie in der Schuldenkrise mit ihrer
Radikalrethorik zunehmend ein.
Bis vor Kurzem hatten führende Unions-Politiker immer versichert, wolle man
die Euro-Zone nicht als Ganzes gefährden, dürfe man Griechenland nicht
fallen lassen.
Der FDP-Vorsitzende und sein CSU-Kollege Horst Seehofer verlassen jetzt
diese koalitionsinterne Sprachregelung. Es dürfe keine "Denkverbote" geben,
kritisieren sie, die Koalition müsse auch eine geordnete Staatsinsolvenz
als Lösung erwägen.
Es entsteht der Eindruck, dass hier keine Koalition mit einem Ziel und
einer Linie agiert, sondern ein Zweckbündnis nervöser Egoisten. Wie
zersetzend die eigene Mehrstimmigkeit selbst in den eigenen Reihen
wahrgenommen wird, ließ sich am Dienstag im Deutsche-Bank-Forum in
Berlin-Mitte beobachten.
## Eine Liebeserklärung
Der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, stellte
sein aktuelles Buch zu Europa vor, es sei "auch eine Liebeserklärung", sagt
er.
Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt, übernahm die Vorstellung
des Buchs. Ein Marktliberaler und ein hoher FDP-Politiker plaudern also -
und die Buchvorstellung gerät zur Abrechnung mit Schwarz-Gelb.
Bei der Frage, ob sich manche Parteien über Europaskepsis profilieren,
nickt Walter in seinem Ledersessel. Dann legt er los: Er sehe nennenswerte
Kräfte in der FDP mit dieser Position, ebenso in der CSU - und in Teilen
der CDU.
Explizit bezieht er sich auf den FDP-Abgeordneten Frank Schäffler, der
gerade einen innerparteilichen Mitgliederentscheid gegen dauerhafte
Rettungsschirme organisiert. Fast 900 Unterschriften will er inzwischen
beisammen haben.
## Das Seil nicht kappen
Solche Kritiker solle man nicht ignorieren, sagt Walter höflich, aber: "Ich
wünschte, wir würden eine erwachsene Debatte führen. Die zu anderen
Antworten führt, als das Seil für die Griechen zu kappen." Dreht man die
Worte herum, hält der ehemalige Bänker manchen FDPler für kindisch.
Werner Hoyer war schon unter Klaus Kinkel in den 90ern Staatsminister im
Auswärtigen Amt, er ist ein ausgewiesener Experte für Außenpolitik, der
auch in der Opposition respektiert wird. Seine Analyse trägt er ruhig vor:
Europa werde schlechtgeredet, es werde zu fiskalisch und national gedacht,
man könne doch in einer globalisierten Welt nicht ernsthaft sein Heil in
der Renationalisierung suchen.
Hoyer spricht von einem "unglaublichen Wissensdefizit im Land". Niemand
rede davon, dass die exportorientierte deutsche Industrie ohne den Euro
dreistellige Milliardenbeträge weniger eingenommen hätte. Auch wenn Hoyer
offen lässt, wen genau er damit meint: Es klingt wie eine Diagnose des
irrlichternden Bildes, dass Schwarz-Gelb abgibt.
## Führungsprobleme
Deutlich klingt bei ihm durch, wie unzufrieden er mit seinem eigenen
Parteichef ist. Bei der Führung und der Psychologie könne man besser
werden, sagt Hoyer, bei einer solchen Zukunftsfrage sei klare Kante
gefragt. Und zu Röslers Gedankenspiel zur Staatsinsolvenz: "Es ist wichtig,
sorgsam mit Begriffen umzugehen. Und man muss wissen, welche Instrumente
man in der Hand hat."
Ein entscheidender Punkt kommt nämlich bei den Forderungen nach einer
Staatsinsolvenz nicht vor: Ginge Griechenland pleite, würden verängstigte
Investoren Risikoaufschläge für die Staatsanleihen anderer EU-Länder wie
Spanien verlangen - und sie damit ebenfalls gefährden.
Ein gefährlicher Dominoeffekt käme in Gang. Diesem "Ansteckungseffekt"
sollen neue Kompetenzen des Rettungsschirms vorbeugen, die der Bundestag
Ende September beschließen soll.
Merkel sagt bei jeder Gelegenheit, wie groß sie diese Gefahr einschätzt.
Ihr kommt deshalb mehr als ungelegen, dass jetzt eine mögliche Insolvenz
diskutiert wird - denn noch fehlt die nötige Abfederung. Zudem durchkreuzen
Seehofer und Rösler ihre Strategie der vorsichtigen Kommunikation.
## Der Ton wird schärfer
Merkel will die Krise Schritt für Schritt angehen, und dabei die
Öffentlichkeit nicht mit immer neuen Schreckensszenarien beunruhigen.
Die Vorsitzenden von FDP und CSU hingegen verschärfen die Tonlage. Und
schüren so Ängste, bei ihren Abgeordneten, die den Rettungsschirm
beschließen sollen, und auf den Märkten. Nach Röslers und Seehofers
Äußerungen sackte der DAX ab, auch der Euro-Kurs gab nach.
In der CDU verstärkt sich der Unmut über die kleinen Partner. "Ich warne
vor einfachen Lösungen", sagte der finanzpolitische Sprecher der
Unionsfraktion, Klaus-Peter Flosbach dem SWR. "Denn wenn Panik an den
Kapitalmärkten ausgelöst wird, wird der Schaden für uns alle viel schlimmer
sein."
## Die schlimmste Lösung
Der EU-Parlamentarier Elmar Brok (CDU) warf Rösler in der Rheinischen Post
vor, eine Insolvenz Griechenlands herbeizureden. "Die Pleite Athens ist die
für Deutschland schlimmste und teuerste Lösung."
Für die Bundeskanzlerin Merkel wird die Euro-Rettung immer mehr zur
entscheidenden Managementaufgabe, an der sich die Zukunft der
schwarz-gelben Koalition entscheidet. "Wir haben im Auge zu behalten",
mahnte sie, "dass wir alles, was wir tun, kontrolliert tun, dass wir die
Folgewirkungen kennen."
Genau das ist, so scheint es, bei den Spitzen von FDP und CSU nicht mehr
der Fall.
13 Sep 2011
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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