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# taz.de -- Lehren aus der Lehman-Pleite: Der Staat wird's schon richten
> Drei Jahre nach dem Bankrott der US-Bank Lehman wirtschaften die
> Institute immer noch mit viel geliehenem und wenig eigenem Geld.
> Veränderungen sind nicht in Sicht.
Bild: Zu verkaufen: das Firmenschild der pleite gegangenen US-Bank Lehman Broth…
BERLIN taz | Wenn ein typisches deutsches Industrieunternehmen eine Anlage
kauft, um Windeln, Sonnenkollektoren oder Autoteile zu produzieren, leiht
es sich rund zwei Drittel des benötigten Geldes. Ein Drittel des
Investitionskapitals gehört der Firma selbst. Wenn eine typische deutsche
Geschäftsbank einen Kredit vergibt oder Wertpapiere kauft, benutzt sie zu
durchschnittlich 95 Prozent fremdes Geld. Nur etwa 5 Prozent der Mittel,
mit denen sie Geschäfte macht, sind ihr Eigenkapital.
Das ist erstaunlich. Banken, so hofft man, legen Wert auf Stabilität. Wer
aber Milliarden-Geschäfte ohne ausreichende Reserven tätigt, kann schnell
in Schwierigkeiten geraten. "Warum lässt man zu, dass die Bankbranche, die
gigantische finanzielle Risiken schultert, über eine so geringe Ausstattung
mit Eigenkapital verfügt?", fragt Gerhard Schick, Finanzpolitiker der
Grünen-Bundestagfraktion.
Besondere Bedeutung bekommt diese Frage angesichts des Ereignisses, das
sich am Donnerstag zum dritten Mal jährt. Am 15. September 2008 ging die
US-Investmentbank Lehman Brothers pleite. Der Bankrott wuchs sich aus zur
globalen Wirtschaftskatastrophe aus.
Die Krise zeigte: Hohe Verschuldung beinhaltet hohe Risiken. Platzen
wichtige Geschäfte, können die betroffenen Banken an den Rand des Abgrunds
geraten und die Regierungen mit dem Geld der Steuerzahler einspringen.
Deshalb versuchten die 20 größten Wirtschaftsnationen, Bankgeschäfte
sicherer zu machen, und handelten das Bankenabkommen "Basel III" aus. Aber
hat sich grundsätzlich etwas geändert - oder betreiben die weltweit tätigen
Finanzinstitute ähnlich risikoreiche Geschäfte wie vor dem großen Crash?
## Geldgeschäfte nehmen schneller zu als Produktion
Einiges deutet daraufhin, dass Letzteres zutrifft. Im langfristigen Trend
seit 1990 wachsen die Bilanzen der internationalen Finanzhäuser schneller
als die Wirtschaftsleistung der Staaten. Vor 20 Jahren betrug die Summe der
Finanztransaktionen rund das Achtfache des weltweiten
Bruttoinlandsprodukts. Bis in die Gegenwart ist die Relation auf etwa das
25-Fache angestiegen. Die Geldgeschäfte nehmen also viel schneller zu als
die Produktion.
Und dabei finanzieren die Banken noch immer den weitaus größten Teil ihrer
Transaktionen mit geliehenem Geld. Das Niveau des Eigenkapitals liegt in
Deutschland nach der Krise zwar etwas höher. Aber beispielsweise in Bezug
auf die Deutsche Bank sagt Politiker Schick: "Im Verhältnis zur ihrer
Bilanzsumme von fast zwei Billionen Euro hat die Bank eine
Eigenkapitalquote von deutlich unter drei Prozent." Der Grüne zieht daraus
diese Konsequenz: "Die Politik sollte die Finanzinstitute verpflichten,
mehr Eigenkapital in Reserve zu halten, um das systemische Risiko zu
verringern."
Mit dieser Einschätzung steht er nicht alleine. Ökonomin Dorothea Schäfer
vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) empfiehlt Ähnliches.
Und selbst der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums
argumentiert, dass die Banken einen Eigenkapitalanteil von zehn Prozent
erreichen sollten.
Hinter dieser Forderung bleibt weit zurück, was EU-Kommissar Michel Barnier
kürzlich vorgeschlagen hat. Demnach sollen die Banken künftig mindestens
einen Anteil von drei Prozent Eigenkapital im Verhältnis zu ihrer
Bilanzsumme nachweisen. Einige Institute müssten ihre Reserven aufstocken,
für viele würde sich aber nichts ändern. Das Risiko der Bankgeschäfte
bliebe immens, schlussfolgert DIW-Ökonomin Schäfer.
## Woher sollen die zusätzlichen Mengen Eigenkapital kommen?
Allerdings: Ist es überhaupt sinnvoll, den Banken noch vorschreiben zu
wollen, mit wessen Geld sie arbeiten? Thomas Heidorn, Professor für
Bankbetriebslehre an der Frankfurt School of Finance, sagt: "Woher sollen
die zusätzlichen Mengen Eigenkapital heute kommen? Die Banken müssten ihre
Kreditvergabe an die Wirtschaft drastisch einschränken."
Mehr Eigenkapital - weniger Kredite, weniger Wachstum, weniger
Arbeitsplätze: Dieses Argument will Schick nicht gelten lassen. "Die Banken
können beispielsweise die Zahlungen für Boni an das Management einschränken
und Ausschüttungen zugunsten der Kapitaleigner reduzieren. Auch
Kapitalerhöhungen durch Ausgabe neuer Aktien wären möglich", sagt der
Grünen-Politiker.
"Nein", antwortet Heidorn, "das wären Tropfen auf den heißen Stein."
Vielleicht liegt er richtig: Um ihr Eigenkapital nur um ein Prozent im
Verhältnis zur Bilanzsumme zu erhöhen, müsste die Deutsche Bank ihren
kompletten Gewinn von zwei bis drei Jahren opfern. Realistisch?
15 Sep 2011
## AUTOREN
Hannes Koch
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