# taz.de -- Wirtschaft trifft Forschung: Frieden schaffen mit Chemiewaffen | |
> Die Universität Tübingen forscht im Auftrag der Bundeswehr. Obwohl in | |
> einer Zivilklausel steht, dass das nicht geht. Die Hochschule ist kein | |
> Einzelfall. | |
Bild: Das Ministerium von Thomas de Maizière zahlt knapp eine halbe Milion an … | |
BERLIN taz | Mit den eigenen Grundsätzen nimmt man es an der Universität | |
Tübingen nicht allzu genau. Der Senat, das Parlament der Hochschule, hat | |
zwar im Januar 2010 beschlossen: "Lehre, Forschung und Studium an der | |
Universität sollen friedlichen Zwecken dienen." Doch dessen ungeachtet | |
erforschen Wissenschaftler des Universitätsklinikums im Auftrag des | |
Bundesverteidigungsministeriums, wie man Menschen therapiert, die | |
chemischen Kampfstoffen ausgesetzt waren. | |
Die Kooperation existiert seit Oktober 2007 und ist nach Einführung der | |
Zivilklausel fortgeführt worden. Das Projekt läuft Ende September 2011 aus. | |
Das von Thomas de Maizière (CDU) geleitete Verteidigungsministerium stellt | |
der Universität in diesem Zeitraum insgesamt 486.218 Euro zur Verfügung. | |
Dies geht aus einer Antwort des Bundesverteidigungsministeriums auf eine | |
Anfrage der Linkspartei hervor, die der taz vorliegt. | |
In den vergangene zehn Jahren vergab das Verteidungsministerium | |
Forschungsaufträge an mindestens 47 Einrichtungen, allein 2010 erhielten 23 | |
Hochschulen Geld vom Verteidigungsministerium. An mittlerweile acht | |
deutschen Hochschulen existiert jedoch wie in Tübingen eine sogenannte | |
Zivilklausel, welche eine solche Zusammenarbeit ausschließt. | |
Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums bestätigte der taz auf | |
Nachfrage, es handele sich bei der Kooperation mit der Uni Tübingen um | |
wehrmedizinische Forschung. Kooperationspartner auf Seiten der Bundeswehr | |
ist das Institut für Pharmakologie und Toxikologie, das Kompetenzzentrum | |
der Bundeswehr rund um chemische Kampfstoffe. Dieses wiederum ist beim | |
Sanitätsdienst der Bundeswehr angesiedelt, dessen Auftrag es nach | |
Eigendarstellung ist, die Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten zu | |
schützen, insbesondere wenn sie im Auslandseinsatz sind. | |
## Nervenkampfstoffe und Pestizide | |
Mit dem Vorhaben würden wichtige Grundlagen zur Prüfung neuer Medikamente | |
geschaffen, um Menschen zu behandeln, die nach Aufnahme von sogenannten | |
Organophosphaten erkrankt seien, erläuterte der Sprecher des | |
Verteidigungsministeriums. Organophospate sind chemische Botenstoffe, die | |
in Nervenkampfstoffen und Pestiziden vorkommen. Ihre lebensbedrohliche | |
Wirkung beruht dosisabhängig auf einer Lähmung der Atemmuskulatur. Das | |
Vorhaben sei unter anderem bei der Medizinischen C-Schutztagung der | |
Bundeswehr im April 2011 vor internationalem Fachpublikum vorgestellt | |
worden. C steht für Schutz gegen Krankheitsverursacher durch chemische | |
Kampfstoffe. | |
Die hochschulpolitische Sprecherin der Linkspartei, Nicole Gohlke, | |
verurteilt die Zusammenarbeit: "Solche Forschung hat an zivilen Hochschulen | |
nichts verloren." | |
"Die Zivilklausel interessiert die Uni überhaupt nicht", empört sich auch | |
Christoph Marischka von der in Tübingen ansässigen Informationsstelle | |
Militarisierung. Die Universität habe bisher überhaupt nicht auf die | |
Klausel reagiert. | |
Die NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit | |
hat den Rektor der Universität Tübingen, Bernd Engler, wegen der laufenden | |
Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium mehrfach um Stellungnahmen | |
gebeten. Bisher erfolglos. Auch gegenüber der taz konnte sich die | |
Universität bisher nicht äußern. Auskunftsberechtigt sei allein der Leiter | |
der Forschungsgruppe. Der befindet sich jedoch zurzeit im Urlaub. | |
16 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
## TAGS | |
Transparenz | |
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