# taz.de -- Eine Polemik zum Papstbesuch: Habt doch Erbarmen! | |
> Seid gute Gastgeber, alle, die nicht an Gottes katholische Erbauung auf | |
> Erden glauben - und betet für den Pontifex, er besucht ein für ihn | |
> verlorenes Land. | |
Bild: Der vatikanische Trost kommt nach Deutschland: Eine liturgische Inszenier… | |
Welch freundliches Treffen, das da vorige Woche stattfand. Am Ende gelobten | |
sie sich, der Berliner Bischof der Katholiken, Rainer Maria Woelki und | |
Männer und Frauen vom Lesben- und Schwulenverbands, dass die Proteste gegen | |
den Papstbesuch am Donnerstag in der Hauptstadt friedlich verlaufen würden. | |
Ja, was denn sonst? Hat der eben inthronisierte Abteilungsleiter des | |
Vatikans an der Spree befürchtet, Horden von Homosexuellen würden an jenem | |
Abend das Olympiastadion mit einem monströsen Flashmob in Besitz nehmen, um | |
die Messe des Heiligen Vaters grob zu stören? Ihm gar an die kostbare | |
Wäsche gehen? | |
Nein, wir sind ja nicht in Spanien, wo tausende Madrilenen die Performance | |
des katholischen Klerus mit Papst Benedikt XVI. an der Spitze aufmischten - | |
durchaus selbstbewusst feiernd, dass diese Kirche in ihrem Land nicht mehr | |
über jene Macht verfügt, die sie bis zum Ende der Diktatur General Francos | |
1975 innehatte. Nein, seither hat sich das Kernland der Inquisition zu | |
einer besseren Welt gewandelt - und zwar strikt gegen das Papsttum, gegen | |
Rom und gegen alle Religion, die sich anmaßt, die Geschicke der irdischen | |
Welt im Namen des Glaubens dirigieren zu wollen. | |
## Finster und fern aller Nächstenliebe | |
Jüngeren sei gesagt: Alle Liberalität in Spanien ist gegen Priester, Mönche | |
und Laienkleriker katholischer Provenienz errungen worden - Rechte von | |
Frauen, auch die der sexuellen Selbstbestimmung, das Scheidungsrecht wie | |
die Gleichberechtigung Homosexueller, auch im Hinblick auf die Ehe. Die | |
Protestierenden wussten vor einigen Wochen in der spanischen Hauptstadt | |
sehr wohl, wen sie da, der sich als christliche Güte selbst inszenierte, | |
vor sich haben: einen Papst, der die Uhren der bürgerlichen Aufklärung am | |
liebsten zurückdrehen würde. Denn als der Klerus noch weltliche Macht | |
hatte, war, um es kurz zu machen, alles finster und fern aller | |
Nächstenliebe. | |
Jetzt kommt der vatikanische Tross nach Deutschland, und auch bei uns | |
könnten Linke und Liberale, gemessen an früheren Zeiten, dem Besuch des | |
Papstes mit gewisser Entspanntheit entgegensehen. Sie könnten sagen: Okay, | |
das war ne ziemliche Propagandashow, mit Brokat und Seide, Benedikt XVI. in | |
roten Schühchen und Gewändern, die teuer und aufwändig gewirkt wurden. Eine | |
liturgische Inszenierung, die irgendwie zwischen einer Open-Air-Fassung der | |
Orffschen "Carmina Burana" und einem Auftritt von Mario Barth changiert - | |
nur dass Letzterer es schaffte, das Olympiastadion zweimal in Folge | |
gänzlich zu füllen. | |
Aber das sind statistische Details. Denn der Papst, in Marktl am Inn | |
geboren, beansprucht, für das Jetzt und das Ewige zu sprechen. Diese Schau | |
scheint immer auf gewisse Weise sehr Altes, Überliefertes und Ernsthaftes | |
zugleich zu atmen - was auch nicht ungünstig für das fast unbezahlbare Gut | |
namens Glaubwürdigkeit ist. Dieser Mann hat einfach performativ mehr zu | |
bieten als alle gestrigen und heutigen Popstars. Gegen ihn ist die | |
Bildersprache der Lady Gaga nachgerade unterkomplex einschläfernd. | |
Jedoch: Die Protestierenden könnten es genießen, wie sehr sie Erfolg gegen | |
diesen Klerus hatten. Dass eben der Papst als Figur des Pops genommen | |
werden kann, nicht als real einschüchterndes Oberhaupt. Sie dürften feiern, | |
dass die katholische Kirche in Deutschland eine zwar große, einflussreiche, | |
aber nicht mehr allmächtige ist. Dass errungen wurde, was zu erringen war: | |
Anders als bis in die frühen siebziger Jahre bestimmen katholische | |
Würdenträger und ihre Freunde und Freundinnen in den Parteien nicht mehr, | |
was dem Volk geziemt. Patientenverfügung, Präimplantationsdiagnostik, | |
Homoehe, Abtreibungsbestimmungen, Familienpolitik, das Recht auf Sexuelles, | |
aber nicht auf Missbrauch von Kindern und Jugendlichen wie in katholischen | |
Institutionen. | |
Es ist ein gutes Zeichen für die Welt, dass der religiöse Weltkonzern | |
angelegentlich der Missbrauchsskandale - in Irland, den USA, Belgien und | |
Deutschland zuvörderst - seine Position des arroganten Gleichmuts verlassen | |
musste. Nun muss sich jeder Bischof rechtfertigen, jeder Kirchenfunktionär | |
- und auch der Papst. Das ist für die römische Kirche wahrscheinlich eine | |
Zumutung, für die Welt jenseits dieser Glaubensrichtung aber eine gute | |
Nachricht: Auch eine papistisch orientierte Kirche muss sich in dieser Welt | |
verantworten. Die Welt ist also säkularer geworden - und eine säkulare Welt | |
ist eine, in der die Sphären von Kirche und Staat getrennt sind. | |
## Neigung zu kleinem Karo | |
Das ist in der Bundesrepublik noch lange nicht vollständig der Fall. | |
Kirchliche Träger im Sozialbereich beanspruchen im Arbeitsrecht eigene | |
Bestimmungen, beispielsweise können sie Angestellten kündigen, wenn sie | |
sich wiederverheiraten. Auch muss fragwürdig scheinen, weshalb Kirche - und | |
das gilt auch für die Protestanten - eine besondere Kompetenz in Sachen | |
Werte und Ethik beanspruchen. Werte und Haltungen wie Solidarität auch in | |
internationaler Hinsicht, Geschlechterdemokratie, Ökologie oder die Frage | |
des Antisemitismus sind vor allem durch Linke in die Debattenarena | |
geschoben worden, nicht durch die christlichen Amtsträger. Sie haben immer | |
noch zu viel Macht - und dass sie Teil des "Worts zum Sonntag" sein dürfen, | |
ist von dieser noch der geringste Faktor. Warum sitzen Kirchen in allen | |
Gremien und können sich in alles Mögliche einmischen - in Fernseh- und | |
Rundfunkräten etwa. | |
Das könnten Freisinnige und Linke monieren, aber zugleich sollten sie | |
genießen, dass das Oberhaupt des Vatikan in dieses Land zu Besuch kommt. | |
Dennoch erregen sie sich bis hin zur Respektlosigkeit. Abgeordnete der SPD, | |
der Grünen und der Linken wollen nicht zuhören, wenn im Bundestag der Papst | |
am Donnerstag spricht. Der Kölner Bischof Joachim Meisner, der zwar alles | |
blöde findet, was vor seinem Chef nicht auf die Knie in den Staub fällt, | |
findet das zu Recht so "kleinkariert" und "engstirnig, dass man darüber nur | |
lachen oder weinen kann", wie es in der FAZ überliefert wird. | |
Selbst wenn man glaubt, dass der rheinische Bischoff diese Boykotteure am | |
liebsten in Verliese sperren würde ob dieser Unbotmäßigkeit wider seinen | |
Chef, bleibt doch zu sagen: Ja, mokiert er sich nicht zu Recht? Ist dieses | |
Fernbleiben von der Rede eines ausländischen Staatsgastes nicht eine starke | |
Geste, die trotzdem nur die Neigung zu kleinem Karo verrät? | |
Ließe man sich auf dieses Popevent ein, könnte man doch debattieren: Ist | |
der Papst wirklich gegen Krieg - oder sind seine Äußerungen in diese | |
Richtung nicht überwiegend nur wohlfeil? Verdient es nicht eine gedankliche | |
Vertiefung, wenn aus vatikanischer Perspektive die Globalisierung mit Moral | |
unterfüttert werden soll? Oder sind derlei Töne nur Tröstungen, die das | |
Unvermeidliche orchestrieren, nämlich die Ökonomisierung der Welt? | |
Weshalb, anders gesagt, nimmt man den Papstbesuch nicht als Angebot und | |
Anregung zugleich, als Einladung zur Kritik auf Augenhöhe? Tun kann er | |
einem doch nichts mehr - sein Wort hat in einer modernen Gesellschaft wie | |
der deutschen nur noch das flüchtige Gewicht einer Stichwortgabe. Die aber | |
könnte doch lohnen: Dass er eine interessante Figur ist,verrät doch schon | |
die Wut der Kritiker seines Besuchs. | |
PS: Soweit man hört, werden die Sitze jener Bundestagsabgeordneten, die die | |
Rede im Parlament boykottieren, mit ehemaligen Mandatsträgern aufgefüllt. | |
Wie hilflos nun erst recht der Protest gegen den Papst wirkt! | |
19 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
## TAGS | |
Irland | |
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