# taz.de -- Warum wir Facebook brauchen: Waffe gegen den Selbstzweifel | |
> Mit der neuen Facebook-Timeline werden die User noch mehr Privates in die | |
> Öffentlichkeit tragen. Warum Menschen freiwillig den Daten-Kraken | |
> füttern. | |
Bild: Gleich einer religiösen Zeremonie: Mark Zuckerberg bei der Vorstellung d… | |
BERLIN taz | Über die neuste Facebook-Runderneuerung wird leidenschaftlich | |
gestritten. Für Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, geht es um | |
nicht weniger als die "Spaltung der Online-Bevölkerung in zwei Gruppen": | |
die, die glauben, nichts zu verbergen zu haben; und die, denen die | |
Erfassung ihrer digitalen Lebensäußerungen immer unheimlicher wird. Der | |
Graben zwischen beiden werde immer größer. | |
Das Web gehöre mittlerweile ein paar Konzernen, schreibt auch der Guardian. | |
Und da wir weder für Facebook, Google oder Twitter zahlten, seien wir | |
selbst Produkte, unsere Daten und Identitäten gehörten anderen. Das neue | |
Facebook sei deshalb das "Ende des Webs, wie wir es kannten". | |
Die SZ dagegen hofft, dass die Facebook-Monokultur nicht siegen wird. Und | |
fragt mal wieder: Warum einem Konzern mitteilen, wann wir welches Lied | |
hören, warum ihm die Rechte an all unseren Bildern überlassen, warum | |
überhaupt so viel Privates in die Öffentlichkeit tragen? | |
Die Antwort: Für uns selbst. Das neue Facebook ist nicht das Ende des Webs, | |
wie wir es kannten, sondern nur die konsequente Weiterentwicklung dessen, | |
was es immer am besten konnte: unserem Selbst einen Halt geben. Wie das | |
funktioniert, kann man in einem Video bestaunen, in dem Don Draper, | |
Serienheld der US-Fernsehserie "Mad Men", die [1][neue Timeline vorstellt]. | |
## Die Zeitmaschine des Lebens | |
Eigentlich war es ein Diaprojektor, für den sich Draper in einer Episode | |
eine Kampagne ausdachte. Doch die Präsentation passt genauso gut zum neuen | |
Facebook, dachte sich jemand und fügte statt der verwaschenen Fotos der | |
Retro-Serie Bilder von Drapers imaginärem Facebook-Profil ein. Erfolgreiche | |
Produkte, sagt der darin, brauchen immer emotionale Komponenten. | |
Klick. Das erste Bild erscheint in dem verdunkelten Raum. Man sieht Drapers | |
Facebook-Profil, ein Bild von ihm und seiner Frau Betty, der gemeinsamen | |
Tochter, Bilder aus seiner Kindheit. Das hier, sagt er, während der | |
Projektor durch die Jahre rattert, ist wie eine Zeitmaschine: sie wieder | |
besuchen, sie lässt uns reisen wie ein Kind - hier hin, dort hin … und | |
wieder nach Hause. | |
Etwas unbeholfen wirkte dagegen Mark Zuckerberg bei der "echten" | |
Timeline-Vorstellung. Aber wie wichtig das eigene Profil heute ist, weiß | |
er. Damit werden die Menschen viel Zeit verbringen. Nicht um es zu pflegen | |
– sondern um in der Vergangenheit zu schwelgen. | |
So sehr man sich auch wünscht, dass sich die Frontlinien gegen den | |
Netz-Datenkraken verschärfen, so nüchtern muss man die Frage beantworten, | |
warum ihm so viele Menschen ihre Identität anvertrauen: weil sie dafür ein | |
kohärentes Profil bekommen. Vielleicht kann man bald auf anderen | |
Plattformen besser kommunizieren - aber darum geht es nicht. Diese | |
Facebook-Revolution ist eine andere. Sie besteht in der konsequenten | |
Weiterentwicklung der großen Utopie des Netzes: dem Versuch, Selbstzweifel | |
zu bändigen. | |
Was früher Gott, die Mathematik oder der Staat leisteten, müssen wir | |
scheinbar unabhängigen, selbständigen Menschen heute selbst leisten: uns | |
eine sinnstiftende Erzählung schaffen. Unser Profil spiegelt uns diese | |
Erzählung, immer dann wenn wir sie brauchen. Und dieses Selbstbild sollen | |
dann natürlich auch andere Menschen sehen. | |
Wahrscheinlich ist es so einfach. Und wahrscheinlich ist Facebook deshalb | |
so ein gutes Geschäftsmodell: Kaum jemand hat Lust, die eigenen Daten zu | |
kontrollieren, solange er nur die eigene Timeline kontrollieren kann. | |
Gerade wenn außen herum das Leben immer flüchtiger zu werden scheint: am | |
eigenen Profil kann man sich festhalten. | |
Und diejenigen, die die neue Timeline bereits aktiviert, ihre ersten | |
Facebook-Sätze und Fotos wieder erblickt, ein paar davon größer gezogen und | |
ein paar Statusmeldungen verborgen haben sowie in ihrer Zeitleiste bis zur | |
eigenen "Geburt" zurückgescrollt sind - auch die werden sich gedacht haben: | |
Was ist das nur für eine hässliche Lücke, die sich da von der Geburt bis | |
zum ersten Eintrag 2008 auftut? | |
So etwas wird mir ab sofort nicht mehr passieren. Ich brauche also mehr | |
Bilder. Aber ansonsten war es ja bisher ein ganz schönes Leben. | |
30 Sep 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=wAcyJhsamcQ | |
## AUTOREN | |
Sebastian Dörfler | |
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