# taz.de -- Debatte Abrüstung in den USA: Ins Herz gezielt | |
> Die geplanten Kürzungen im US-Militärhaushalt sind de facto moderat. Aber | |
> sie brechen mit der Doktrin der absoluten Überlegenheit. | |
Geht es jetzt dem aufgeblähten amerikanischen Verteidigungshaushalt an den | |
Kragen? Ein bisschen. Das Haushaltsdefizit untergräbt die Weltmachtposition | |
und die innere Stabilität der USA. Präsident Obama reagiert auf dieses | |
Problem mit Streichungsplänen, die auch das zuvor sakrosankte Pentagon | |
betreffen. Ob er damit durchkommt, ist ungewiss. | |
Die republikanische Rechte, die die Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus | |
und die starke Minderheit im Senat dominiert, streitet entweder für eine | |
egozentrische Maximierung individuellen Reichtums, einen evangelikalen | |
Fanatismus und/oder für einen kruden militaristischen Nationalismus. Einig | |
sind sie sich nur in einem Punkt: Sie wollen unbedingt die erste | |
afroamerikanische Präsidentschaft zum Scheitern bringen. Die demonstrative | |
Missachtung des Präsidenten, die so nicht einmal dem verhassten Bill | |
Clinton zuteil wurde, deckt den rassistischen Kern dieser | |
Fundamentalopposition auf. | |
Das ist die Gemengelage, in die nun der Vorschlag Obamas stößt, für den | |
Haushaltsausgleich den Verteidigungshaushalt ein wenig zu schrumpfen. Der | |
Präsident bricht damit ein Tabu. Doch welche Alternative hätte er? | |
## Humanisierung aus Geldnot | |
Mit rund 700 Milliarden Dollar handelt es sich um das größte Paket im | |
US-Haushalt. Angesichts des Verfalls der Infrastruktur - Verkehr, Energie, | |
Elementarbildung, höhere Bildung jenseits der Eliteeinrichtungen - ist | |
dieser Betrag eine Obszönität (von Dingen wie Klimaschutz nicht zu reden). | |
Die Höhe des Militäretats ergibt sich aus der seit den 90er Jahren | |
geltenden Doktrin absoluter Überlegenheit über jede denkbare | |
Gegenkoalition, der Beherrschung aller militärischen Spektren Wasser, Land, | |
Luft, Weltraum und Cyberspace. Da die amerikanische Wirtschaft langsamer | |
wächst als die chinesische, erweist sich diese Doktrin zusehends als | |
Bedrohung für die USA. Es droht ein Rüstungswettlauf, der die zivile | |
Wirtschaft erdrücken könnte. Obama folgt insoweit nicht nur seiner | |
persönlichen Neigung für Abrüstung, sondern vertritt vor allem nationale | |
Interessen der USA. Naturgemäß stößt diese Politik in der | |
Verteidigungsbürokratie nicht auf Sympathie, und auch die Republikaner | |
laufen Sturm, denn die militärische Überlegenheit, gestützt auf | |
Raketenabwehr, zählt zu den Kernpunkten ihres Glaubensbekenntnisses. | |
Obama muss nun aufpassen, nicht als pazifistisches Weichei denunziert zu | |
werden. Eine solche Hypothek wäre fatal für den Wahlkampf, der 2012 | |
beginnt. Daher wird er Wünschen des Militärs, die Einschnitte schonend zu | |
gestalten, eher nachgeben, als mit einschneidenden Kürzungen auch | |
Fähigkeiten abzubauen, über die die USA zwar verfügen wollen, die sie aber | |
zur nationalen Sicherheit nicht benötigen. | |
## Etwas kürzen, nichts streichen | |
Dazu zählen etwa umfassende Raketenabwehrfähigkeiten, weltraumgestützte | |
Offensivoptionen, Schlachtfeldrobotik und einiges mehr. Hier wird ein | |
bisschen gekürzt, aber kein Programm wird in Gänze gestrichen. All diese | |
Waffensysteme erscheinen nicht nur für die Verteidigung (einschließlich | |
Allianzverpflichtungen) entbehrlich, sondern führen aufgrund der offensiven | |
Möglichkeiten, welche sich die USA damit verschaffen, bei potenziellen | |
Gegnern, etwa Russland und China, zu Gegenmaßnahmen. Diese Aufrüstung dient | |
dann als Begründung für neue US-Programme; die teure Rüstungsspirale würde | |
sich weiterdrehen. Vorerst sieht es so aus, als würden die meisten | |
Zukunftsprogramme mit niedrigeren Ausgabenplafonds, weitergeführt - | |
niemandem wird allzu wehgetan. | |
Dennoch melden sich natürlich die Lobbyisten und ihre parlamentarischen | |
Freunde zu Wort und greifen Obama scharf an. Ohnehin versuchen die Staaten | |
und Wahlkreise gemeinsam mit ihren Schlüsselunternehmen immer ihre | |
Interessen gegen die Belange des Gemeinwohls durchzusetzen. | |
Vergleicht man den Rüstungsetat der USA mit dem chinesischen, so gehen | |
seriöse Schätzungen der militärischen Ausgaben Chinas nicht über 150 | |
Milliarden US-Dollar hinaus. Auch wenn die USA aus Irak und Afghanistan | |
abziehen, blieben wohl noch Ausgaben von rund 500 Milliarden US-Dollar | |
übrig - für den Verteidigungsroutinebetrieb. Sicher tragen die USA | |
Bündnisverpflichtungen, die ihnen einen relativ hohen Aufwand für die | |
Verteidigung aufnötigen. Aber mehr als das Doppelte des nächsten Rivalen | |
erscheint dann doch als irrationaler Aufwand. Es besteht also noch | |
Spielraum nach unten. | |
## Provokation für Republikaner | |
Und so ist der von Obama eingeleitete Schritt trotz seiner begrenzten | |
Reichweite von erheblicher politischer Bedeutung. Er beendet eine Periode, | |
in der die Militärausgaben ständig erhöht wurden und die Erhöhung selbst | |
unter Präsident Clinton zur absoluten Notwendigkeit stilisiert und jeder | |
Debatte entzogen wurde. Das ist nun vorbei, und Kürzungen des | |
Militärhaushalts sind kein Tabu mehr. Allerdings muss die Minderung des | |
Verteidigungsetats noch über Jahre hinweg fortgesetzt werden, soll der | |
Haushalt saniert werden. Dies wird Washington zu sicherheitspolitischen | |
Alternativen zwingen. | |
Obama hat schon in seiner Sicherheitsdoktrin von 2010 die Kooperation mit | |
den weltpolitischen Partnern Russland, China und Indien zum Teil der | |
amerikanischen Sicherheitspolitik erklärt. Konsequent verfolgt und in | |
rüstungskontrollpolitische Vereinbarungen umgesetzt, die auch Indien und | |
China einschließen, bietet sich eine Alternative, um den Rüstungshaushalt | |
zu entlasten. | |
Damit wirft der Präsident den rechten Republikanern den Fehdehandschuh hin: | |
Die stehen fest auf dem Boden der Überlegenheitsdoktrin und halten | |
Rüstungskontrolle für eine Art Landesverrat. Nichts weniger als ein innen- | |
und außenpolitisches Ringen um die Seele Amerikas steht also bevor: | |
gemeinwohlorientiert, sozial, mit einem vernünftigen Maß wirtschaftlicher | |
Regelung nach innen und kooperativ, nicht bedrohlich, nicht militaristisch | |
nach außen oder eine Neuauflage der Bush-Politik mit noch fatalerer | |
Radikalität. Wir werden am Trend des Verteidigungshaushalts ablesen können, | |
wohin die Reise geht. | |
4 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Harald Müller | |
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