# taz.de -- Debatte Krieg statt Politik: Kein Frieden, nirgendwo | |
> Zu den größten Irrtümern der vergangenen Interventionen gehört die | |
> Überzeugung, militärische Stärke könne politische Konzepte ersetzen. | |
> Darunter müssen jetzt die Syrer leiden. | |
Bild: Nach einer Bombendetonation in Kabul. | |
Dass man durch Schaden klug werde, gehört zu den ebenso unbeirrbar | |
geglaubten wie längst widerlegten Kalendersprüchen. Wie sich - auch - am | |
Verlauf jenes Abschnitts des Krieges in Afghanistan zeigt, der vor zehn | |
Jahren mit Bombenangriffen der US-Luftwaffe begann. Nach nur wenigen | |
Wochen, am 13. November 2001, wurde die afghanische Hauptstadt Kabul damals | |
kampflos besetzt. | |
Die westliche Welt jubelte und hielt die Angelegenheit für erledigt. Die | |
wenigen, die in Deutschland vor einer Beteiligung der Bundeswehr gewarnt | |
hatten, wurden mit Häme und Verachtung überschüttet - im günstigen Fall | |
galten sie als naiv, im ungünstigen Fall als ideologisch verblendet. Es war | |
nicht mehr modern, militärische Mittel für ungeeignet zur Lösung | |
politischer Probleme zu halten. Der Begriff des gerechten Krieges wurde | |
wieder salonfähig. | |
Schnell stellte sich heraus, dass die Angelegenheit keineswegs erledigt | |
war. Sie ist es bekanntlich bis heute nicht. Dennoch wiederholte sich das | |
Szenario nur wenig später: Die USA begannen am 20. März 2003 gemeinsam mit | |
einer "Koalition der Willigen", zu der Deutschland nicht gehörte, mit dem | |
Krieg gegen den Irak, den sie am 1. Mai nach der Eroberung von Bagdad für | |
beendet erklärten. Vorschnell, wie sich zeigte. | |
Aus Schaden wird man klug? Schon 1992 hatten US-geführte Truppen, die im | |
Auftrag der UNO im vom Bürgerkrieg zerrissenen Hungerland Somalia gelandet | |
waren, die zunächst widerstandslose Besetzung der Hauptstadt Mogadischu mit | |
einem leichten Sieg verwechselt. Zwei Jahre später zogen die westlichen | |
Militärs geschlagen ab, die sich als Friedensbringer gesehen hatten und | |
bald zur Kriegspartei mutiert waren. Sie hinterließen einen Scherbenhaufen. | |
Eine Friedenslösung für den zerfallenen Staat ist bis heute nicht in Sicht. | |
## Libyens Zukunft ungewiss | |
Zeugt es von unbegründetem Pessimismus, wenn man eine ähnlich düstere | |
Zukunft für Libyen zumindest für möglich hält? Seit die Aufständischen | |
mithilfe von Nato-Truppen den langjährigen Diktator Muammar al-Gaddafi von | |
der Macht vertrieben haben und ihren Sitz am 25. August dieses Jahres in | |
die Hauptstadt Tripolis verlegten, halten ausländische Mächte - und | |
offiziell auch die Vereinten Nationen - den Bürgerkrieg für beendet. | |
Es wäre erfreulich, wenn sie recht behielten. Das komplizierte Machtgefüge | |
innerhalb Libyens gebietet Zweifel an dieser Interpretation der | |
Entwicklung. Die trübe Geschichte gescheiterter Interventionen seit dem | |
Ende der bipolaren Welt lässt zumindest einen Schluss zu: Angesichts der | |
unbestreitbaren militärischen Überlegenheit der Interventionskräfte ist den | |
inneren Verhältnissen der jeweils betroffenen Länder niemals genug | |
Aufmerksamkeit geschenkt worden. | |
Westliche Politiker konnten - und können - sich offenbar gar nicht | |
vorstellen, dass die Eroberung einer Hauptstadt nicht gleichbedeutend ist | |
mit der Kontrolle eines Landes. Dass also die innere Dynamik eines Staates, | |
der niemals den Sprung zum zentral verwalteten Industrieland geschafft hat, | |
nicht vergleichbar ist mit der einer führenden Industrienation. Andere, | |
meist sehr komplizierte und für Außenstehende nur schwer durchschaubare | |
Mechanismen spielen stets eine wichtige Rolle. | |
## Fehlerhafte Einschätzungen | |
Diese Erkenntnis allerdings bedeutete, wenn sie sich denn durchsetzte, | |
nicht zwangsläufig mehr als eine Änderung der jeweiligen Militärstrategie. | |
Wäre die Intervention in Somalia erfolgreich gewesen, hätte man regionalen | |
Zentren wie Kismayo und Bosaso von vornherein größeres Augenmerk gewidmet? | |
Vielleicht. Vielleicht auch nicht. | |
Fest steht: Die ausländischen Mächte hielten jedes Interesse an Details der | |
Binnenverhältnisse seinerzeit für überflüssig. Sie haben dafür teuer | |
bezahlt. Und dennoch nichts daraus gelernt. Der grobe Denkfehler fast aller | |
Militärinterventionen seit dem Ende der bipolaren Welt wurzelt jedoch nicht | |
in erster Linie in strategischen Irrtümern, sondern vor allem in der festen | |
Überzeugung, militärische Stärke könne politische Konzepte ersetzen. Lange | |
vor den ersten Angriffen auf Taliban-Stellungen in Afghanistan war die | |
Tatsache bekannt, dass die Machtverhältnisse in Pakistan wesentlichen | |
Einfluss hatten auf die Verhältnisse im Nachbarland. | |
Konsequenzen daraus wurden nicht gezogen. In den letzten zehn Jahren haben | |
sich die Konflikte innerhalb der Atommacht Pakistan zugespitzt. Und dennoch | |
tun westliche Staaten noch immer so, als ließen sich die Probleme | |
Afghanistans isoliert betrachten - und lösen. Statt endlich dem | |
indisch-pakistanischen Dialog verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen, ohne den | |
eine Stabilisierung Pakistans nicht möglich sein wird. Und somit auch keine | |
Friedenslösung für Afghanistan. | |
## Moskau und Peking übergangen | |
Zugegeben: Mit einem solchen Ansatz lassen sich keine Schlagzeilen machen. | |
So wenig, wie es mit dem Versuch möglich gewesen wäre, Russland und China | |
in die Entwicklung Libyens einzubeziehen. Was für eine Chance wurde hier | |
arrogant vertan! Die beiden Mittelmächte hatten eine Resolution des | |
UN-Sicherheitsrates passieren lassen, der eine Flugverbotszone über Libyen | |
vorsah. Kaum war dies beschlossene Sache, erklärten Westmächte dreist und | |
deutlich, dass es in Wahrheit um einen Regimewechsel in Tripolis gehe. | |
Anders ausgedrückt: dass Peking und Moskau über den Tisch gezogen worden | |
waren. Kann es vor diesem Hintergrund wundernehmen, dass jeder Versuch | |
einer gemeinsamen Resolution gegen die syrischen Machthaber scheitert? | |
Nein. Derzeit sterben in Syrien jeden Tag vor allem deshalb Zivilisten, | |
weil die Mächtigen der Welt eine Einigung für überflüssig halten. Was für | |
ein Pech für die Betroffenen. | |
Was wäre die Folge gewesen, wenn stattdessen jede einzelne Aktion in Libyen | |
in Absprache mit Russland und China erfolgt wäre? Eine Stärkung der UNO, | |
vielleicht sogar eine brauchbare Vorbereitung auf eine überfällige Reform | |
des Völkerrechts. Das hat sich erledigt. So, wie sich - zumindest vorläufig | |
- die Hoffnung erledigt hat, dass die Probleme Afghanistans politisch | |
gelöst werden könnten. Wenn man sich überlegt, wie Historiker künftiger | |
Zeiten die Gegenwart beurteilen, dann wird man schamrot. | |
8 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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