# taz.de -- Kürzungen der Militärhaushalte: Alles Pulver verschossen | |
> Die Schuldenkrise zwingt die Nato-Staaten, die Militärhaushalte zu | |
> kürzen. Kooperationen werden notwendig. Und die Industrie? Die bangt um | |
> lukrative Aufträge. | |
Bild: Der atombetriebene Flugzeugträger USS Harry S. Truman - auch hier muss g… | |
BERLIN taz | Diese Schiffe taugen zum Stolz einer Nation. 65.700 Tonnen | |
schwer und 284 Meter lang werden die beiden Flugzeugträger "HMS Queen | |
Elizabeth" und "HMS Prince of Wales" - die größten Kriegsschiffe, die je in | |
Europa gebaut wurden. Kosten: um die fünf Milliarden Euro pro Stück, | |
Tendenz steigend. | |
Nach über zehn Jahren Planung gab die britische Regierung am 20. Mai 2008 | |
grünes Licht für den Bau. Es sollte so wirken, als besännen sich die Briten | |
angesichts des wackeligen Bankensektors auf traditionelle Formen der | |
Wertschöpfung. Die Rede war von 10.000 Arbeitsplätzen dank der beiden | |
Schiffe. | |
Und doch hat die Finanzkrise, als die Werftarbeiter bereits den Stahl | |
zurechtzuschneiden begannen, die Flugzeugträger noch eingeholt. | |
Großbritannien kann sie sich nicht mehr leisten. Im Ergebnis werden die | |
Schiffe zwar gebaut, doch sie dürften nur abwechselnd eingesetzt werden | |
können - wenn überhaupt. Noch steht in Frage, ob auf der "HMS Prince of | |
Wales" je Flugzeuge landen werden. | |
Großbritannien ist der Staat, in dem die Finanzkrise sich bisher am | |
stärksten auf das Militärbudget und damit auf militärische Ambitionen | |
niedergeschlagen hat. Um acht Prozent - inflationsbereinigt - soll der | |
Verteidigungshaushalt bis 2014 schrumpfen. Das klingt nicht nach viel. Aber | |
"hinzu kommen 38 Milliarden Pfund (43,3 Milliarden Euro) unfinanzierbare | |
Beschaffungspläne", erklärt Sam Perlo-Freeman, der beim Stockholmer | |
Friedensinstitut Sipri zu Militäretats forscht. | |
## Militäretat als Konjunkturprogramm | |
Heftig kritisierte der Verteidigungsausschuss des britischen Parlaments | |
jüngst die Kürzungspläne der Regierung - Großbritannien werde seinen | |
globalen Einfluss angesichts der Sparpläne nicht aufrechterhalten können. | |
"Man kann in der Tat behaupten, dass die Briten ihre weltweite Rolle in den | |
kommenden Jahren zurückfahren werden", sagt Perlo-Freeman. | |
Gleiches vermuten viele Militärexperten von Frankreich. Die französische | |
Regierung hat 2009 den Militäretat nach Ausbruch der Finanzkrise sogar | |
aufgestockt - als Konjunkturprogramm. Doch angesichts der Schuldenkrise | |
prophezeit etwa François Heisbourg vom International Institute for | |
Strategic Studies ein militärpolitisches "Erdbeben": Heisbourg geht davon | |
aus, dass Präsident Sarkozys Nachfolger 2012 einschneidende Kürzungen | |
ankündigen wird. | |
Ganz zu schweigen von den USA. Die Nation, die 2010 für 43 Prozent der | |
weltweiten Militärausgaben aufkam, ist aktuell nicht weit vom | |
Haushaltskollaps entfernt. Präsident Barack Obama musste im August einen so | |
historischen wie demütigenden Deal mit den Republikanern über die | |
Schrumpfung der Staatsausgaben treffen. | |
Das bislang Undenkbare wurde angekündigt: 350 Milliarden Dollar sollen in | |
zehn Jahren bei Verteidigung gekürzt werden. Und wenn die Unterhändler von | |
Demokraten und Republikanern nicht bald zu Ergebnissen kommen, drohen | |
weitere Kürzungen im Umfang von 500 Milliarden Dollar. Der neue | |
US-Verteidigungsminister Leon Panetta erklärt, Einschnitte in der Nähe | |
dieser Größenordnung würden die US-Verteidigungspolitik "fürchterlich | |
schwächen". | |
Längst haben die USA zu verstehen gegeben, dass sie nicht mehr rings um den | |
Globus in den Krieg ziehen und Nato samt EU dabei mitschleppen wollen. | |
Jetzt fehlt ihnen auch das Geld dafür. Dass sich die USA im März am | |
Libyen-Einsatz gegen Gaddafi beteiligten, war eigentlich schon nicht mehr | |
geplant. | |
Die US-Regierung hat den Europäern mehrfach erklärt, dass sie sehr | |
einverstanden wäre, wenn man sich in Europa zu einer koordinierten | |
Militärpolitik zusammenraufen könnte. Wenn die Europäer nicht ihre | |
militärischen Fähigkeiten bündelten, drohe der Nato "die sehr reale | |
Möglichkeit der kollektiven militärischen Irrelevanz", fauchte Robert Gates | |
beim letzten Auftritt als US-Verteidigungsminister in Europa. | |
## Nationale Ressource | |
Den Plan, Einsparungen mit Effizienzgewinnen zu verbinden, gibt es schon: | |
Die "Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik" existiert - | |
zumindest in vielen Papieren und in den Köpfen der EU-Politiker und | |
-Angestellten in Brüssel und anderswo. Vergangene Woche erst wurde sie auf | |
dem Treffen der EU-Verteidigungsminister beschworen: Wieder einmal soll - | |
jetzt ganz dringend - geprüft werden, in welchen Bereichen die EU-Länder | |
ihre militärischen Mittel verzahnen könnten. | |
De facto aber behandeln die großen europäischen Staaten ihr Militär | |
weiterhin als nationale Ressource. Sie sehen sich erstens ihrer eigenen | |
Waffenindustrie verpflichtet, und sie brauchen zweitens die nationale | |
Verteidigungspolitik als innenpolitische Profilmaschine. Und nicht zuletzt | |
fürchten sie, durch eine echte militärische Koordination auch zu Einsätzen | |
gezwungen zu werden, die sie innenpolitisch nicht gebrauchen können. | |
"Das Beispiel Libyen zeigt, dass solche Befürchtungen nicht unberechtigt | |
sind", erklärt Hilmar Linnenkamp, als Exvizechef der Europäischen | |
Verteidigungsagentur grundsätzlich ein Proeuropäer. Hätte Deutschland sich | |
schon so tief in eine abgestimmte europäische Verteidigungspolitik | |
hineinbegeben, wie seit Jahren ankündigt, hätte es sich dem Libyen-Einsatz | |
womöglich nicht entziehen können, argumentiert er. Eine gemeinsame | |
Luftwaffe etwa hätte auch gemeinsam gebombt. | |
Doch führt nach Meinung von Linnenkamp, der mittlerweile bei der Stiftung | |
Wissenschaft und Politik in Berlin arbeitet, im Zeichen der Haushaltskrisen | |
der Nato-Staaten kein Weg mehr an einer abgestimmten europäischen | |
Militärkooperation vorbei: "Das ist ein Imperativ." | |
Wie wenig Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) eine derartige | |
Kooperation für notwendig hält, bewies er im Mai, als er mit den | |
"Verteidigungspolitischen Richtlinien" auch die anstehende Bundeswehrreform | |
erläuterte. Selbst Patrick Keller von der CDU-nahen | |
Konrad-Adenauer-Stiftung kommt bei aller Begeisterung für de Maizière nicht | |
umhin zu bedauern, dass dessen Europabekenntnisse ohne "neuen Schwung" | |
geblieben seien. | |
## "Eine Friedensillusion" | |
Dabei wäre Deutschland in einer Position, die europäische Kooperation | |
voranzutreiben. Die deutsche Rüstungsindustrie ist ohnehin zu 70 Prozent | |
auf den Export angewiesen. Auch deshalb sind Regierungspolitik und | |
Rüstungsindustrie weniger stark miteinander verwachsen als in den USA, | |
Frankreich und auch Großbritannien. Linnenkamp sagt, es wäre deshalb an | |
Deutschland, etwa auf die gemeinsame Entwicklung einer Drohne zu setzen, | |
statt die Konkurrenz eines britisch-französischen Fluggeräts zuzulassen. | |
"Als hätten wir nichts daraus gelernt, dass mit dem schwedischen Gripen, | |
der französischen Rafale und dem Eurofighter drei Kampfflugzeuge parallel | |
und unendlich teuer entwickelt wurden." | |
Dass mit einem militärisch geschwächten Europa, mit gekürzten Budgets und | |
einer nur verbal beschworenen europäischen Rüstungskooperation die Welt | |
friedlicher werden könnte, hält Linnenkamp jedoch für "eine | |
Friedensillusion". Um endlich "eine Balance herzustellen zwischen | |
militärischen Mitteln und den oft sinnvolleren friedlichen Mitteln der | |
Konfliktbewältigung, wird es mehr Absprache brauchen, nicht weniger." | |
28 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
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