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# taz.de -- Protestbewegung in den USA: Das ganz andere Wall Street Journal
> Junge gebildete Menschen haben die Bewegung initiiert, nun stoßen andere
> Milieus dazu. Ihr Medienumgang ist gewitzt. Ein nationaler Aktionstag
> gegen die Kriege ist nun geplant.
Bild: "Hup, wenn du wütend bist": Protest auch auf den Straßen von Chicago.
WASHINGTON taz | "Occupy everywhere", so lautet der neue Slogan: "Besetzt
überall!" An mehr als hundert Orten in den USA hat er bereits Gehör
gefunden. Und die Bewegung wächst weiter. Am Mittwochmorgen wollen
landesweit StudentInnen auf die Straße gehen: gegen steigende
Universitätsgebühren und sinkende Stipendien. Am Nachmittag desselben Tages
werden New Yorker LehrerInnen und Subway- und BusfahrerInnen durch
Manhattan ziehen, um Solidarität zu zeigen. "Es ist eine legale
Demonstration", steht auf dem Flugblatt ihrer Gewerkschaften.
Das Zentrum der Bewegung bleibt Liberty Plaza im südlichen Manhattan. "Wir
haben mehr Macht, als Geld kaufen kann", steht dort auf einem Pizzakarton,
der zum Transparent recycelt wurde. "Wir sind 99 Prozent" ist auf dem
daneben liegenden ehemaligen Karton zu lesen. Die Bewegung, die am 17.
September winzig klein begonnen hat, ist ein Kristallisationspunkt für die
nachwachsende Generation geworden.
Ihre HeldenInnen sind jung, teilweise hoch gebildet und unabhängig. Im
Schatten der Wolkenkratzer des Finanzdistriktes haben sie in den
vergangenen zweieinhalb Wochen ihre Waffen geschärft. Sie sind mit eigenen
Fotos, Filmen und Texten im Internet.
Sie veranstalten täglich zwei öffentliche Vollversammlungen auf ihrem
Platz, bei denen sie inzwischen auch Nobelpreisträger und Gewinner goldener
Filmpalmen empfangen. Und sie veröffentlichen täglich ein eigenes
4-seitiges Wall Street Journal. Im Unterschied zu dem Original aus dem
Murdoch-Imperium steht über dessen Titel das Wort "occupied".
Auch gegenüber dem US-Fernsehen zeigen die BesetzerInnen auf witzige Art
Muskeln. Sie dokumentieren jedes Interview, das sie geben, mit eigenen
Aufnahmen. Als ein Reporter des (ebenfalls Murdoch gehörenden) TV-Senders
Fox erneut über ihre politische Ahnungs- und Ideenlosigkeit herzieht,
stellen sie die Aufzeichnung seiner Recherche ins Internet. Sie zeigt einen
Besetzer, der eine brillante Analyse des finanziellen und politischen
Status quo der USA liefert.
## "Wenn es zu eng wird, ziehen wir um"
Seit den Massenfestnahmen von historischem Ausmaß auf der Brooklyn Bridge -
die New Yorker Polizei legte mehr als 700 Menschen Handfesseln an - ist der
Erfolg der Protestbewegung nicht mehr aufzuhalten. "Wenn es hier zu eng
wird", sagt Besetzer Rafal Gomez auf der Liberty Plaza zur taz, "ziehen wir
eben um auf die Union Square".
Andere sind als "Lehrlinge" aus anderen Landesteilen zur Liberty Plaza
gereist, um das Modell anschließend in ihre Herkunftsregionen
zurückzutragen. Der 48-jährige Sanitäter Jim Turturice zum Beispiel war am
Wochenende aus Ohio angereist.
In dieser Woche will er seine Erkenntnisse aus Manhattan zum Ausbau von
"Occupy Cleveland" in Ohio nutzen. Ähnlich werden es die Studentin Myra und
ihre drei FreundInnen halten, die 21 Stunden lang im Auto von Nebraska nach
New York gefahren sind, um dort zuzuschauen und mitzumachen.
## US-Medien rätseln
"Wer sind die Besetzer?", fragen spätestens seit dem Wochenende sämtliche
US-Medien. Sie finden heraus, dass die Protestierenden zu einem großen Teil
aus der heranwachsenden jungen Elite stammen: StudentInnen und
Postgraduierte, die ebenso hoch verschuldet wie gebildet in ein Berufsleben
starten wollen, in dem zahlreiche Wege verschlossen scheinen.
Zugleich zeigt sich, dass unter den BesetzerInnen inzwischen auch zunehmend
Leute sind, die aus proletarischen Milieus stammen. Der 29-jährige
Schweißer Chris Grohs ist einer von ihnen. Der Veteran zweier US-Kriege -
in Irak und Afghanistan - arbeitet in Connecticut in der Metallindustrie.
Auch er hatte sich das Wochenende frei genommen, um auf der Liberty Plaza
in Manhattan mitzumachen. Inzwischen ist er nach Connecticut zurück
gefahren und setzt dort die Bewegung fort. "Wir brauchen einen dritten
Weg", sagt Chris Grohs zur taz, "mit einer kooperativen Struktur".
Ideologisch stuft er sich selbst so ein: "Eher Bakunin als Marx."
Die zweite Frage, die die US-Medien umtreibt, lautet: "Was wollen die
Besetzer?" Die JournalistInnen finden beinahe so viele Antworten, wie sie
Interviews führen. Manchen BesetzerInnen geht es vordergründig darum, die
Wall-Street-Verantwortlichen für die Krise und die Verelendung in den USA
vor Gericht zu bringen und - per Steuern - zur Kasse zu bitten.
## Enttäuscht von Obama
Andere wollen vor allem Einfluss auf den Kurs von Präsident - und in
Personalunion Präsidentschaftskandidat - Barack Obama nehmen. 2008 haben
die meisten BesetzerInnen für ihn gestimmt. Drei Jahre später sind fast
alle bitter von ihm enttäuscht.
Doch das heißt noch lange nicht, dass sie im nächsten Jahr nicht wieder für
ihn stimmen würden. Für wieder andere BesetzerInnen stehen Fragen von Krieg
und Menschenrechten im Zentrum ihrer Motivation. Und auf einem der vielen
ausrangierten Pizzakartons steht ein Slogan, der Widerstand zu einem Wert
an sich macht: "Wehre dich."
Während die konservative US-Öffentlichkeit die Vielfalt von Motiven und
Zielen auf der Liberty Plaza als "Beliebigkeit" und "Schwäche" bezeichnet,
sehen die BesetzerInnen selbst darin eine Stärke. "Wir erziehen uns hier",
sagt der Student Kyle Kneitinger: "Wir suchen gemeinsam."
Als nächsten Schritt planen die Besetzerinnen einen nationalen Aktionstag
gegen die Kriege. Diesen Donnerstag ist der zehnte Jahrestag des Beginns
der Bombardements von Afghanistan. An dem Tag wollen AktivistInnen aus dem
ganzen Land durch die Hauptstadt Washington ziehen. Ihr Slogan: "Stop the
machine!"
4 Oct 2011
## AUTOREN
Dorothea Hahn
## TAGS
Schwerpunkt Occupy-Bewegung
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