# taz.de -- Kommentar Revoluzzer: Aufstand? Schön und gut! | |
> Gerne schwärmt das Volk von Revoluzzern. Aber wenn es welche gibt, dann | |
> sind sie immer dämlich. Wie soll der gute Aufstand sein und warum gefällt | |
> uns die Revolte nur woanders? | |
Bild: Eine Paradoxie trennt hierzulande die Theorie von der Praxis. | |
Ich gebe zu: Ich gehöre auch zu jenen Sangesbrüdern, die diese Republik | |
noch in die letzte Depression begleiten werden. Auf Partys hören ich und | |
meinesgleichen bevorzugt "Ton, Steine, Scherben". Wir gröhlen ab dem ersten | |
Bier schon "Macht kaputt, was Euch kaputt macht". | |
Und in viel zu langen Sommern, in denen dann die halbe Welt den Aufstand | |
probt, doch nur in Deutschland wieder nichts passiert, bestaunen wir mit | |
Wolllust die aufständische Extase, von der wir uns dann ab und an auch mal | |
ein Fünkchen wünschen würden. | |
Der arabische Frühling - kein Problem mit der Bewaffnung der | |
Aufständischen. In Griechenland - da lässt sich das Volk nichts mehr | |
gefallen. Die Riots in Großbritannien - natürlich definitiv "Ausdruck einer | |
sozialen Schieflage". Und dann Spanien, Portugal und Israel, jetzt auch die | |
USA - wir sagen uns: Da ist was los. Wir fragen uns: Wieso bei uns nicht? | |
Und dann nörgeln wir über Attac, weil die nix hinkriegen. | |
## Beängstigende Übereinstimmung | |
Nicht lange ist es her, dass in nahezu beängstigender Übereinstimmung die | |
deutschen Meinungsstuben in den Feuilletons noch Loblieder auf ein Büchlein | |
sangen, das einen verheißungsvollen Titel trägt: "Der kommende Aufstand". | |
Es soll gedacht und geschrieben sein vom einem "Unsichtbaren Komitee" - und | |
bot den Feuilletons im Herbst letzten Jahres schon die intellektuelle | |
Vorbereitung auf das, was nun seit einigen Tagen in Berlin passiert. | |
"Empört Euch!" schrieb Stéphane Hessel, französischer Résistance-Kämpfer im | |
Rentenalter. Und Deutschland war empört, dass sich hier niemand recht | |
empörte. Doch das hat System: Denn eine Paradoxie trennt hierzulande die | |
Theorie von der Praxis. So lange nur gelabert wird, sind alle gerne mal für | |
Revolten, selbst die Dandys aus der Spielwarenabteilung der FAZ. | |
Bis dorthinauf reichte die Würdigung des Pamphlets über den "kommenden | |
Aufstand", das eine populär-revolutionäre Abhandlung war über Mobilität und | |
Entschleunigung, über Metropolen als Zentren der Macht; ein radikales | |
Sabotagemanifest, mittels dessen Hand angelegt werden sollte an | |
Schienentrassen und Infrastruktur der kapitalistischen | |
Beschleunigungsgesellschaft. | |
Es war ein Buch wie eine Bauanleitung für die Berlin-Brandsätze: "Damit | |
inmitten der Metropole etwas entstehen kann, damit sich andere | |
Möglichkeiten eröffnen, ist die erste Geste, ihr Perpetuum mobile zu | |
stoppen." | |
## nicht ohne behördliche Genehmigung | |
Wie abgeschrieben wirkt da heute das Bekennerschreiben der | |
Berlin-Entschleuniger, jener vermeintlich "neuen RAF", die in den letzten | |
zwei Jahren vom Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft schon geschätzte | |
sieben Mal neu entdeckt und behauptet wurde. Darin steht: "Immer überall | |
erreichbar, immer alles erreichbar. Immer auf ein Ziel zu. Eilend, hastend, | |
ratlos" - so steht es da. "Wir haben diese Metropole in einem bescheidenen | |
Umfang in den Pausenmodus umgeschaltet. (...) Wir ermächtigen uns." | |
Fakt ist zunächst: Das stimmt so. Fakt auch: Keinem Menschen ist bislang | |
etwas passiert. In der jüngeren Vergangenheit sind Aufständische in | |
Deutschland netterweise eher dadurch aufgefallen, sich - wie nun wieder bei | |
den Bankenprotesten am Samstag in Frankfurt - ihre Besetzungen, jawoll, | |
behördlich genehmigen zu lassen, als dafür, Menschen zu gefährden. | |
Wir verabscheuen die Macht der Finanzmärkte und ersehnen die Intervention. | |
Wieso bloß bringen wir Texteleser und Hymnensänger dann kein Verständnis | |
auf für diesen Testaufstand in Kleinversion, dessen Großformat in den | |
Feuilletons doch schon gestattet wurde? | |
Natürlich: "Intelligent" war das nicht, was die "Idioten" in Berlin da | |
trieben: "Terroristen", deren "Bomben" im Regen (!) nichtmals zünden! | |
"Strohdoof", "nicht praxistauglich", "nicht vermittelbar". Auch "nicht | |
pragmatisch", aber "kontraproduktiv" - eine Aktion wie "linksradikales | |
Komasaufen". Soweit die Presseschau. Man muss diese Gescheiterten ja nun | |
auch nicht beklatschen. | |
Doch eines würde ich gerne wissen: Wir Welterklärer und Versteherinnen - | |
warum gefällt uns die Revolte immer nur abstrakt und ganz woanders? Wie | |
soll er denn dann, bitte, sein, der schöne Aufstand? Einfach nur schön | |
wahrscheinlich. Und ohne aufstehen. | |
12 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
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