Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Flughafenausbau Frankfurt am Main: Prozesse statt Proteste
> Am Freitag wird in Frankfurt die Landebahn Nordwest eröffnet. Nach 30
> Jahren ein Déjà-vu für die ehemaligen Gegner der Startbahn West.
Bild: Endloser Krach: Durch die neue Landebahn sollen auf dem Frankfurter Flugh…
FRANKFURT AM MAIN taz | Die Maschine "Konrad Adenauer" der Bundesluftwaffe
mit Angela Merkel an Bord wird das erste Flugzeug sein, das heute auf der
frisch betonierten 2,8 Kilometer langen Piste aufsetzten wird. Damit ist
dann die Landebahn Nordwest am Frankfurter Rhein-Main-Flughafen eröffnet.
Die rund 400 geladene Gäste - darunter auch der "Erfinder" des strikten
Nachtflugverbots für Rhein-Main, der frühere Hessische Ministerpräsident
und heutige Baulöwe Roland Koch (CDU), der nach einer Intervention der
Fluggesellschaften gegen dieses Nachtflugverbot davon aber schnell wieder
abrückte - müssen danach allerdings noch eine ganze Weile auf die Kanzlerin
warten.
Denn die Maschine hat am Boden einen langen Rollweg bis zu einem der beiden
Terminals am Airport zu bewältigen: Es geht vorbei an der inzwischen
plattgemachten Chemiefabrik Ticona direkt neben der Landebahn, deren
Weiterbetrieb die Bundesstörfallkommission Chemie aus Sicherheitsgründen
untersagt hatte (das Werk wurde für rund eine Milliarde Euro im
Industriepark Höchst wieder neu aufgebaut), dann via Brücken hinweg über
die ICE-Trasse und sonstige Bahngleise und danach noch einmal über die
achtspurige A3. Auf dem eigentlichen Flughafen muss das Flugzeug noch
kilometerweit bis zu den Aus- und Einstiegsschleusen gefahren werden.
Zum Protest gegen den permanenten Flughafenausbau und die ganze offizielle
Fete mit der Regierungschefin hat sich nur ein Häuflein Demonstranten
angesagt. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen ihnen und der Polizei
werden - von beiden Seiten - nicht prognostiziert.
Die Polizei ist am Pisteneröffnungstag zwar überall am Flughafen und am
Betonzaun rund um die neue Rollbahn präsent, setzt aber - wie schon bei den
Aktionen und eher kleineren Demonstrationen der Ausbaugegner während der
Bauphase - auf Deeskalation, wie aus dem Hessischen Innenministerium zu
hören war.
282 Hektar Wald wurden für die neue Landebahn abgeholzt, darunter
wertvoller Bannwald in der Gemarkung Kelsterbach. Alleine der Bau der 30
Meter breiten Betonbahn durch den Forst kostete die
Flughafenbetreibergesellschaft Fraport AG, deren Anteilseigner der Bund,
das Land Hessen und die Stadt Frankfurt sind, rund 600 Millionen Euro.
## Leben in der Lärmfalle
Der verlorene Kampf gegen die Landebahn Nordwest wurde vornehmlich vor den
Verwaltungsgerichten ausgefochten, und zwar von den Kommunen rund um den
Flughafen und bis über den Rhein hinweg nach Rheinland-Pfalz.
Denn auch die weinseligen Rheinhessen sitzen nach einer Änderung der
Anflugrouten zum Airport wegen des steigenden Luftverkehrsaufkommens durch
die neue Rollbahn - bis 2020 sollen 126 Flugbewegungen pro Stunde am
Flughafen möglich sein - jetzt ebenso mit in der großen Lärmfalle wie die
Einwohner einiger hessischer Kommunen am Main, über deren Köpfe hinweg die
Flugzeuge zum Greifen nahe auf die neue Piste einschweben werden.
Gemeinsam wollen Hessen und Rheinland-Pfälzer an diesem Samstag - am Tag
nach der Eröffnung der Piste also - gegen die steigende Fluglärmbelastung
in der ganzen Region auf einer Mainzer Rheinbrücke protestieren.
Noch hoffen die Flughafenausbaugegner, dass das Bundesverwaltungsgericht
(BVerwG) Anfang 2012 die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichts
von vorletzter Woche bestätigt, wonach alle von der Fraport AG beantragten
und von der hessischen Landesregierung in das Planfeststellungsverfahren
für die Nordwestbahn eingebrachten 17 Nachtflüge illegal sind und umgehend
aus den Flugplänen gestrichen werden müssen.
Die Lufthansa dagegen, die wegen der nun wenigstens bis zur endgültigen
Entscheidung des BVerwG ausfallenden Nachtflüge schon jetzt wirtschaftliche
Einbußen beklagt und - vergeblich - die Verschiebung der
Eröffnungsfeierlichkeiten für die Landebahn verlangt hatte, saugt dagegen
plötzlich Honig aus dem gerade erst ergangenen Urteil des BVerwG zum neuen
Berliner Großflughafen, das die Durchführung von Nachtflügen auf dem
Airport der Kapitale des Landes ausdrücklich erlaubt.
## Polizei und Startbahngegner waren nicht zimperlich
Früher war alles anders. Sicher. Aber nicht besser. Und verloren wurde
auch. Beim Kampf gegen die Startbahn West sogar auf der ganzen Linie. Bei
der Räumung des Hüttendorfes der Startbahngegner im Flörsheimer Wald vor
dreißig Jahren im November 1981 kannten die Bullen das Wort "Deeskalation"
noch gar nicht.
Sondereinheiten von Polizei und Bundesgrenzschutz knüppelten damals selbst
Flughafenausbaugegner nieder, die sich ihnen mit erhobenen Armen
entgegenstellten und schufen so den frühen "Wutbürger 81". "Ich hatte das
Gefühl, dass es denen regelrecht Spaß gemacht hat, mich zu schlagen", so
etwa der Pressefotograf Rolf Böhm nach einem solchen "Polizeieinsatz".
Aber auch "wir" - die Parole hieß: wir gegen die - waren nicht zimperlich.
In der Nacht nach der Räumung schossen militante Startbahngegner mit
Zwillen Schraubenmuttern auf Polizisten ab. Und Molotowcocktails setzten
gepanzerte Bundesgrenzschutzfahrzeuge und Wasserwerfer in Brand. Vom "Krieg
im deutschen Forst" war danach in den Medien schnell die Rede.
Sechs Jahre später schoss dann einer aus den Reihen der längst arg
dezimierten Widerstandsbewegung - "unser Andy" (Autonome) nämlich - nicht
mehr nur mit einem Katapult Steine auf die Polizei, sondern scharf mit
einer geklauten "Sig Saur"-Polizeipistole.
Die Kugeln trafen am 2. November 1987 den Polizeihauptkommissar Klaus
Eichenhöfer und den Polizeiobermeister Thorsten Schwalm tödlich, weitere
Beamte wurden zum Teil schwer verletzt. Der Todesschütze Andreas E. wurde
deswegen 1991 vom OLG Frankfurt zu 15 Jahren Haft verurteilt.
## "Es hätte da auch Tote geben können"
Noch am Tag nach der Bluttat hatten militante Startbahngegner auf einer
Vollversammlung der harten Szene in einem Hörsaal der Frankfurter Uni
ungerührt "Sig Saur, unsere Power!" skandiert.
Bereits die Eröffnung der Startbahn West im April 1984 war eine einzige
Orgie der Gewalt gewesen. Polizeiliche Schlägertrupps mit langen
Holzstöcken und in Turnschuhen machten Jagd auf Gruppen von
"Mauerspechten", die mit starken Ästen ganze Stücke aus dem Betonzaun rund
um die Piste herausbrachen.
Andere bewarfen Polizeifahrzeuge und Scheinwerfer an der Startbahn gezielt
mit Steinen; wieder andere versuchten, am "Chaoteneck" im Süden der Piste
das große Tor aufzustemmen.
Vermummte Polizisten unternahmen wiederholt Ausfälle und prügelten
zusammen, was ihnen vor die Schlagstöcke kam. Auch ältere Menschen wurden
blutig geschlagen. "Es hätte da auch Tote geben können", sagt etwa der
Notarzt Gerhard Schneider, der damals "Demosani" war, rückblickend noch
heute.
In kleinen Gruppen fahren die alten Startbahnkämpfer etwa aus Walldorf, die
längst schon alle Rentner sind, immer noch raus an die "18 West". Und noch
immer schütteln sie ihre Fäuste gegen die Flugzeuge, die dort in
Minutenabständen brüllend wie wilde Tiere scharf über die Baumkronen im
"Naturschutzgebiet Mönchbruchwald" in den Himmel über Rhein-Main abheben.
## Der Airport wird weiter wachsen
Im Startbahnwald haben die Kämpfer ihr Herzblut vergossen. Und jetzt - nach
dem Bau der Landebahn Nordwest - ihren "Glauben an die Politik und die
Politiker endgültig verloren", wie es vor wenigen Tagen einer der
Startbahnrentner aus Walldorf draußen am "Chaoteneck" verbittert
formulierte.
Denn schließlich habe ihnen der damals amtierende Hessische
Ministerpräsident Holger Börner (SPD) 1984, nach der Einweihung der
Startbahn West, versichert, dass nun am Flughafen weiter nichts mehr gebaut
werde.
Börner ist lange schon tot. Bereits sein "politischer Enkel" und Nachfolger
Hans Eichel (SPD) brachte den Landebahnbau im Kelsterbacher Forst ins Spiel
und dann auch auf den Weg. Gebaut wurden auch noch das Terminal 2 und ein
Frachtzentrum im Osten des Flughafens.
Und der Airport wird weiter wachsen. Avisiert sind längst ein drittes
Terminal, eine "Airportcity" mit Hotels und Freizeitpark und die
Zubetonierung weiterer Flächen für die Ansiedlung von Logistikunternehmen.
Widerstand dagegen wird es wohl kaum noch geben. In der ehemaligen
Startbahnfrontstadt Rüsselsheim etwa wurde gerade ein bekennender junger
Flughafenausbaubefürworter von der CDU zum neuen Oberbürgermeister gewählt.
Das Nachsehen hatte in der Stichwahl ein Verwaltungsfachmann und
passionierter Ausbaugegner von den Grünen.
Für die CDU im Stadtparlament der Opelstadt sitzt heute übrigens Achim B. -
früher einer der härtesten Ledernacken im Dschungelkampf gegen die
Startbahn 18 West. "Lebbe geht weider", wie man in Hessen so schön sagt.
21 Oct 2011
## AUTOREN
Klaus-Peter Klingelschmitt
## TAGS
Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)
Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)
Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bürgerbeteiligung bei Großprojekten: Reden schadet nicht
Die Bürger sollen früher als bislang an der Planung von großen
Infrastrukturprojekten beteiligt werden. Das soll Gerichtsverfahren
überflüssig machen.
Kommentar Frankfurter Fluglärmprotest: Einbinden statt aussperren
Anwohner des Frankfurter Flughafens protestieren gegen Lärm und Nachtflüge.
Bürger müssen bei Infrastrukturprojekten endlich von Anfang an
miteinbezogen werden.
Lärmbelastung am Frankfurter Flughafen: Beten für Westwind
Die neue Landebahn am Frankfurter Flughafen empört auch zunächst
wohlwollende Anwohner. Das Land will jedoch sogar noch das Nachtflugverbot
kippen.
Demonstration in Mainz: Fluglärm treibt Wutbürger auf die Straße
Rheinland-Pfälzer und Hessen kämpfen in Mainz gegen die neuen An- und
Abflugrouten des Frankfurter Rhein-Main-Airports. Und für ein
Nachtflugverbot.
Flughafenausbau in München: Grüne wollen Bürgerbegehren
Die Münchner Stadtratsfraktion der Grünen plant ein Bürgerbegehren gegen
den Flughafenausbau. Davon könnte auch der SPD-Oberbürgermeister Ude
profitieren.
Nachtflüge in Berlin, München und Frankfurt: Fünf Stunden Schlaf sind genug
Die Anwohner des neuen Berliner Flughafens verlieren vor Gericht. Jetzt
sind die Nachtflüge genehmigt. Das Urteil kann wegweisend für die Streits
in Frankfurt und München sein.
Gericht erlaubt Schönefeld-Nachtflüge: Hauptstadtflüge bis Mitternacht
Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet, dass auf dem künftigen Berliner
Großflughafen Flüge bis 24 Uhr und ab 5 Uhr morgens erlaubt sind. Die
Anwohnerinitiative will das Urteil nicht akzeptieren.
Flugrouten: Wahlkampf am Müggelsee
Künast und Gysi besuchen die Friedrichshagener Montagsdemo. Der
Linke-Politiker erntet Beifall durch Worthülsen, die Grüne Buhrufe durch
Realismus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.