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# taz.de -- Patentexperte zu IT-Kriegen: "Das Ei des Kolumbus"
> Patentexperte Florian Müller über den aktuellen Krieg zwischen Apple,
> Samsung und Co. und die Frage, ob IT-Patente Innovationen bremsen.
Bild: J.K. Shin (r.) von Samsung und Andy Rubin (Google) mit dem Android-Smartp…
Patentexperte Florian Müller betreibt ein [1][viel gelesenes Blog] zum
Thema Patente in der IT-Branche und erstellt Untersuchungen für
Finanzinstitute, Investoren und große Konzerne zum Thema. Früher setzte
sich der Patentrechtsexperte als Aktivist gegen die Einführung von
Softwarepatenten in der EU ein.
Im taz.de-Interview spricht er über die Wirkung von IT-Patenten auf
Innovationen und die aktuelle Auseinandersetung zwischen Apple, Samsung und
anderen IT-Anbietern.
taz.de: Herr Müller, Steve Jobs, der kürzlich verstorben ist, gab gegenüber
seinem Biografen an, er wolle Googles Handy-Betriebssystem Android
"vernichten", weil es glasklar von Apples iPhone abgekupfert sei. Sind die
zahllosen Patentstreitigkeiten, die derzeit durch die IT-Branche wabern,
immer so emotional?
Florian Müller: Die Emotionalität von Steve Jobs ist legendär, aber auch
rein rational hat Apple keine andere Wahl. Es muss um jeden Preis seine
extrem hohen Gewinnspannen von mehreren hundert Dollar pro Gerät
verteidigen. Android kann Apple so in eine Nische drängen, wie es Apples
Macintosh-Computern in den 90er Jahren widerfuhr, als sich Windows
durchsetzte. Der momentane Börsenwert von Apple - rund 350 bis 400
Milliarden US-Dollar - ist keinesfalls zu verteidigen, wenn Android mehr
oder weniger die gleichen Funktionen bietet.
taz.de: Apple hat bereits einige Erfolge in seinem Patent- und
Geschmacksmusterkrieg mit den Android-Anbietern Samsung und HTC
vorzuweisen. So ging man erfolgreich gegen Samsungs Galaxy Tab in Europa
vor, während sich HTC offenbar nicht davor schützen kann, dass es
irgendwann ein Importverbot für die USA gibt. Meinen Sie, dass Apple den
Streit auf lange Sicht gewinnt?
Müller: Apple hat Klagen gegen die drei großen Android-Gerätehersteller
Samsung, HTC und Motorola laufen. Der Streit mit Samsung ist der
ausgedehnteste. Der mit HTC begann zuerst, weshalb Google und die anderen
Hersteller mit Sorge beobachten, ob die US-Handelsbehörde ITC
gegebenenfalls ein Importverbot verhängt. Denn eine solche Entscheidung zu
Apples Gunsten wäre mit relativ geringem Aufwand auch auf andere Hersteller
ausdehnbar.
taz.de: Worum geht es im Detail bei diesen Patentkriegen? Sind es
hochgradig komplexe Erfindungen oder eher einfache Dinge wie die Tatsache,
auf welche Art man ein iPhone aufweckt ("Slide to Unlock")?
Müller: Die Erfindungshöhe variiert stark. Apples wertvollste Patente
beziehen sich weniger auf geniale technische Entwicklungen als vielmehr auf
gute Ideen, die ich mit der Geschichte vom Ei des Kolumbus - die Schale
leicht anknacksen, damit das Ei auf einem Tisch stehen bleibt - vergleichen
würde als mit "rocket science". Dagegen machen Microsoft und Oracle
überwiegend sehr technisch ausgerichtete Erfindungen geltend, wobei ich
persönlich auch diesen Firmen nur einen kleinen Teil ihrer Patente
zugestehen würde.
taz.de: Otto-Normal-Verbraucher fragt sich manchmal, warum so einfache
Ideen schützbar sind.
Müller: Als Laie meint man, dass es im Patentrecht ja gewisse Anforderungen
an Neuheit und Erfindungshöhe gäbe. Auf dem Papier stehen die auch. Wenn
man aber - so wie ich - dann im Detail die Verfahren verfolgt, in denen
über Gültigkeit oder Ungültigkeit von Patenten entschieden wird, stellt man
fest, dass die tatsächlichen Hürden viel zu niedrig sind. Den Politikern
der großen Parteien gefällt dies aber. Diese meinen, wenn mehr Patente
erteilt werden, fände mehr Innovation statt, auch wenn in Wirklichkeit nur
Inflation herrscht.
taz.de: Microsoft geht nicht ganz so aggressiv vor wie Apple, verdient aber
mit Android offenbar gut. Zahlreiche Handyhersteller zahlen dem IT-Riesen
Lizenzgebühren, weil der über ein so reichhaltiges Patent-Portfolio
verfügt.
Müller: Der Fairness halber muss ich darauf hinweisen, dass ich aktuell im
Zusammenhang mit Patenten, die sich auf Industriestandards wie UMTS
beziehen, eine Studie im Microsoft-Auftrag durchführe. Ich bin aber nach
wie vor unabhängig und bin ja auch im Gegensatz zu Microsoft ein Kritiker
der Patentierung von Software.
Zur Frage selbst: Microsoft weist darauf hin, schon von über 1.100
Unternehmen Lizenzgebühren für seine Patente zu erhalten. Darunter ist
sogar der Volkswagen-Konzern, der ein von Microsoft patentiertes
Dateisystem in bestimmten Car-Multimedia-Systemen nutzt. Microsoft hat also
sein Patent-Portfolio schon länger als Einnahmequelle gesehen, während
Apple ganz klar auf seine gesetzlich verbrieften Ausschlussrechte pocht.
taz.de: Patente können beliebig zwischen den Firmen hin und her geschoben
werden, so soll Google die Mobilfunkfirma Motorola auch deshalb erworben
haben. Mit solchen Patenten wird dann wiederum geklagt. Hat das noch mit
Erfindergeist zu tun?
Müller: Meiner Meinung nach ist gegen Patentverkäufe oder auch gegen reine
Verwertungsgesellschaften so lange nichts einzuwenden, wie die zu Grunde
liegenden Patente gerechtfertigt sind. Dass ein Markt für geistiges
Eigentum besteht, ist nicht weiter bedenklich. Problematisch ist, dass
offensichtlich das Patentwesen in bestimmten Bereichen zur Erteilung von
Monopolrechten führt, die nicht im Interesse der Wirtschaft und
Gesellschaft im Ganzen sind, sondern nur einigen wenigen dienen.
taz.de: Sogenannte Patenttrolle sind Firmen, die nur zu dem Zweck gegründet
wurden, Patente auszubeuten. Greifen die nur Großkonzerne an? Betrifft das
Thema auch kleine Firmen?
Müller: Während es für sogenannte Trolle am lukrativsten ist, Unternehmen
wie Microsoft, Apple und Google zur Kasse zu bitten, ist leider auch ein
Nischengeschäft entstanden, das darin besteht, Patente gegen diejenigen
einzusetzen, die weder über das Wissen noch über die Mittel verfügen, sich
angemessen zu verteidigen.
Beispielsweise geraten die Entwickler von Mobiltelefon-Apps, also kleinen
Programmen, die man für wenig Geld auf sein Handy herunterladen kann,
zunehmend ins Visier von Patentinhabern. Solche Entwickler sind oft
Einzelpersonen, die im Fall eines Rechtsstreits nicht einmal unter dem
Haftungsschirm einer Kapitalgesellschaft stehen. Zudem machen sich Trolle
immer häufiger über die Nutzer angeblich patentverletzender Technologien
her, z. B. durch Anmeldung von Ansprüchen gegen Ausbildungsinstitute, die
Fernunterricht anbieten und dabei angeblich Video-Streaming-Patente
verletzen. Oder sogar gegen Hotels und Cafés, die WLAN-Hotspots bieten.
taz.de: Muss der Gesetzgeber das Patentrecht reformieren? In den USA wurde
kürzlich etwas derartiges verabschiedet.
Müller: Die Reform in USA wird so gut wie gar nichts zur Lösung der
Probleme beitragen. In Europa hingegen stehen Reformen an, die nach meiner
Auffassung die Probleme hier noch deutlich verschärfen werden. So
wünschenswert für sich gesehen eine Vereinheitlichung des europäischen
Patentwesens ist, so sehr wird dadurch die Hebelwirkung für Trolle und
strategische Angreifer erhöht. Weder in den USA noch in Europa sind auch
nur die geringsten Ansätze für Reformen erkennbar, die die vorhandenen
Probleme in nennenswertem Umfang abmildern könnten.
taz.de: Ist das heutige Patentwesen eher gut für Innovationen oder eher
schlecht?
Müller: Meine persönliche Meinung ist, dass im Pharmabereich, in dem wenige
Patente auf ein einzelnes Produkt entfallen, vermutlich das Patentwesen
unter dem Strich vorteilhaft ist. Aber auf einem Gebiet, auf dem ein
einzelnes Produkt tausende, zehntausende oder im Fall eines modernen
Smartphones hunderttausende Patente verletzen kann, ist es fehl am Platz.
Aus solchen Gebieten müsste das Patentwesen entweder herausgehalten oder
dem Trend der Patentinflation durch eine politisch vorgegebene Umkehr -
viel mehr Qualität, viel weniger Quantität - begegnet werden.
Interview: Ben Schwan
31 Oct 2011
## LINKS
[1] http://fosspatents.blogspot.com/
## AUTOREN
Ben Schwan
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