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# taz.de -- Kolumne Bio: Weinen um die Idee Europa
> Rauscht der Wald nur bei uns? Funkeln die Sterne nur über Deutschland?
> Nein! Heimat ist da, wo du die Welt retten willst.
Bild: Weißt du wieviel Sternlein stehen?
Der Kaffee ist alle, die Krise ist da! Raus in den Herbst Europas. In den
Kiosken nur Maschinenkaffee, kein Espresso. Die Politiker gehen mit
traurigen Gesichtern ihren Angelegenheiten nach. Manche von ihnen verlieren
sich im Zahlenwald. Ich muss mir keine Sorgen machen, heißt es. Wäre ich in
Griechenland oder Spanien geboren, sähe das anders aus.
Von überall zwitschert es, dass es schlecht steht um den Euro, und ich muss
weinen. Weinen um die Idee Europa. Zeit ohne Zukunft. Noch vor Kurzem
schien es, als würde die europäische Demokratie erwachsen. Bald soll es
losgehen mit den europaweiten Volksbegehren. Mehr Europa, funktionierende
demokratische Institutionen. Vielleicht bald ein gemeinsamer Vorstoß zu
einer funktionierenden globalen Klimaschutzpolitik? Solardächer, gute
Arbeit und Minderheitenrechte überall?
Freibad, Eurodance, Schengen. In den plastikbunten 90ern zwischen Kaltem
Krieg und 9/11 schien alles möglich. Keine Grenzkontrollen mehr, endlich
auch mal nach Osten. Reisen.
Und erinnern. Sehen, zu welchen Verbrechen Deutsche fähig waren. Direkter,
härter, einprägsamer, als jeder Geschichtsunterricht sein kann. Wer "Nie
wieder Krieg" ohne "Nie wieder Auschwitz" denkt, denkt zu kurz.
"Nie wieder Krieg" - Europa ist nicht nur Euratom, gemeinsame Währung und
Binnenmarkt, sondern auch Friedensgemeinschaft. Europa ist ein Kontinent,
den man bereisen kann, ein Sprachenwirrwarr mit schlechtem Englisch und
noch schlechterem Französisch als Konsens.
Für Deutschland kann man sich nur schämen. Erst exportiert man die ganzen
anderen Wirtschaften mit Niedriglöhnen kaputt, und jetzt zögert man
Griechenland und vielleicht die ganze Eurozone in den Abgrund. Nebenbei
drückt man Schuldenbremsen rein und übt sich in nationalistischen Tönen.
Als Deutsche nach Griechenland in den Urlaub zu fahren - zum Schämen. Es
ist einfach zum Heulen mit Deutschland. Artikel wie "Die deutsche Seele"
von Thea Dorn in der Zeit stoßen auf weichgequirlte Weise ins selbe Horn
wie die Euroskeptiker. Die Stimmung könnte kippen.
Was soll denn typisch deutsch sein? Schweinebraten? Eichendorffs
"Mondnacht" steht bei Dorn für eine deutsche Geborgenheit jenseits von
Rettungsschirm und BRD, für eine größere Geschichte eines zweitausend Jahre
alten Volkes. Als wären laue Sternennächte deutsch. Würde nur der deutsche
Wald leise rauschen. Und als wäre nur in Deutschland "zu Hause". Die
Heimat.
Als es noch kein Google und nur Modems gab, vor mehr als zehn Jahren,
verschickte ich eine SMS mit dem Inhalt "Ach könnte meine Seele fliegen, so
flöge sie zu dir". Falsch, aber schön.
Heimat ist da, wo dein Herz ist. Heimat ist da, wo du die Welt retten
willst. Niemand muss Deutschland lieben. Deutsch ist, wer einen deutschen
Pass hat. Europa ist eine Idee. Eine großartige Idee, um die es sich zu
weinen lohnt. Und zu hoffen. Zu hoffen, dass wir im kommenden Jahr am 9.
Mai wieder einen Europatag feiern können - und nicht, dass wir dann mit
Prepaid-Strom gegrillte Ratten essen müssen.
7 Nov 2011
## AUTOREN
Julia Seeliger
Julia Seeliger
## TAGS
Politisches Buch
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