# taz.de -- Neues Buch für „aufgeklärte Patrioten“: Ein deutsches Ich | |
> Thea Dorn begibt sich wieder auf die Suche nach einem kerndeutschen | |
> „Seelenreichtum“. Herausgekommen sind viele Lebkuchenverse. | |
Bild: Thea Dorn stellt ein weiteres Mal die „Waldfrage“ | |
Thea Dorn hat wieder ein Buch geschrieben. Dieses Mal geht es nicht um die | |
„Deutsche Seele“ (2011), zu der „echtes Abendbrot“, „deutsche Wurst�… | |
„deutscher Wald“ ebenso gehören wie das „geistige Abendrot“, sondern um | |
„Heimat“, „Patriotismus“ und „postheroische Opferbereitschaft“ – … | |
Ernsthaftes, denn zumindest für Heimat und Patriotismus gibt es neuerdings | |
sogar einen Minister. | |
Wer beim Wort „Opferbereitschaft“ an Horaz denkt („Beglückend und ehrenv… | |
ist es, fürs Vaterland zu sterben“), liegt richtig, denn auch dieses Zitat | |
erscheint in diesem Buch wie alle Gassenhauer aus dem | |
Gymnasiums-Zitatekästchen. Von Ernst Blochs „Heimat“-Zitat am Schluss des | |
„Prinzips Hoffnung“ bis zu Heraklits „Kriegs“-Zitat fehlt gar nichts. | |
Dass die Autorin wieder einmal die etwas vergessene „Opferbereitschaft“ ins | |
Spiel bringt, freut den kriegskundigen Literaturwissenschaftler Karl-Heinz | |
Bohrer („höheres Ethos, letzte Causa, brinkmanship“) sowie die | |
Kriegsminister und Waffenhändler aller Länder, weil Thea Dorn gleichzeitig | |
bekenntnisfreudig und ironiefrei versichert, „keine Ambitionen auf den | |
Friedensnobelpreis“ zu haben. | |
Außer mit Zitaten und Ratschlägen füllt Thea Dorn ihr Buch mit | |
Lebkuchenversen über die „urdeutsche Liebe zur Natur, insbesondere zum | |
Wald“, und beteuert, „in der Waldfrage“ spiegle sich – wie in Wurst, Bi… | |
und Schwarzbrot – der kerndeutsche „Seelenreichtum“. Die häufigsten Wör… | |
auf den über 300 Seiten sind „ich“ und „wir“, die trotz der Versicheru… | |
„Licht ins Dunkle des Wir-Begriffs“ zu bringen, so konturlos bleiben wie | |
ihr deutsches Lieblingswort „Waldeinsamkeit“. Nicht im Wald, sondern an | |
der Supermarktkasse empfiehlt die Autorin dem Leser eine „kleine | |
Meditation“ über den Satz „Ich wäre bereit, für mich zu sterben“ | |
einzulegen. | |
Ich, ich, ich | |
Auch in Sachen „Opferbereitschaft“ gibt es jetzt Rabatt – nicht mehr für | |
der „Güter höchstes“ (Schiller) soll gestorben werden, sondern für das I… | |
– ein nicht ganz risikoloses Unternehmen für eine Autorin, die ihren | |
Kunstnamen von Theodor W. Adorno ableitet, den sie mehrfach als „Feingeist“ | |
präsentiert, worüber er sich sicher so gefreut hätte wie über Thea Dorns | |
Klagerede zur „Netflixierung und Amazonisierung von Politik“. | |
Zum „Ich“-Sagen hatte Adorno eine robuste These (jeder kennt sie, aber Thea | |
Dorn zitiert sie nochmals). Zur Häufigkeit ihrer Ich-Sätze in diesem | |
Sachbuch, in dem die Sache samt dem Ich im Waldigen verschwindet, schreibt | |
sich die Autorin einen Satz in ihr Poesiealbum: „Je oberflächlicher die | |
Ichs werden, desto mehr scheinen sie vergötzt werden zu wollen“. So ist es. | |
Was das zweithäufigste Wort – „wir“ – betrifft, so will Thea Dorn prü… | |
„ob sich für ein nationales Wir nur negative Argumente ins Feld führen | |
lassen – oder ob es gute Gründe gibt, heute […] für ein deutsches Wir zu | |
plädieren“. | |
Bis zu den Argumenten und Gründen gelangt sie gar nicht, denn ihr „Lob der | |
Nation“ kommt ganz ohne argumentative Bemühungen aus: „Das einzige Mittel, | |
unsere Gesellschaft vor noch gravierenderen, irgendwann nicht mehr zu | |
kontrollierenden Spaltungen zu bewahren, scheint mir das Bekenntnis zur | |
Nation zu sein“. | |
Stahlhelmfeminismus | |
Damit ist die Katze aus dem Sack: „Wir Europäer müssen begreifen, dass wir | |
tatsächlich ein Wir sind“, nämlich die „Hüter des Humanen“. Im ganzen … | |
gibt es genau ein Thema, das die Autorin umtreibt, auch wenn sie vom | |
Gilgamesch-Epos über Heraklit, Platon, Luther und Kant bis zu Adorno bieder | |
allerlei herzitiert: Die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel und die | |
Opposition der AfD sind ihr Thema. Als Garnitur dienen einige aufgepumpte | |
Skandale („Ehrenmord“, „Handschlagverweigerung“, „Zwangsheirat“). | |
Von Merkels Politik und von den Rechtsradikalen will sich Thea Dorn | |
absetzen, begibt sich dabei aber ins Boot jener Berufskonservativen, die | |
sich zwar von den Rechtsradikalen verbal (noch) unterscheiden, aber diesen | |
immer näher kommen, indem sie alle politischen und sozialen Probleme und | |
Konflikte kausal mit Flüchtlingen, Willkommenskultur und Gewalt in | |
Verbindung bringen. | |
Das beginnt mit der Identifizierung von Islam und politischem Islamismus | |
und der EU mit einem „Lobbyistenparadies“ und einem „bürokratischem | |
Puppenhaus“ bis zur Gleichsetzung von Flucht und Terror: „Die EU ringt mit | |
der Frage, wie sie diese Menschen aufnehmen kann, und wird derweil selbst | |
zum Schauplatz etlicher Terroranschläge“. Solches Stumpfdeutschtum und das | |
AfD-Pegida-Dumpfdeutschtum sind Wahlverwandte. | |
Thea Dorn reitet eine wilde Attacke gegen die zuweilen etwas geschwätzige | |
Pro-Europäerin Ulrike Guérot und reklamiert für sich und ihren | |
Stahlhelm-Feminismus eine Doppelrolle: „Wir selbst sind der Stier. Und wir | |
sind Europa“ – also „wir“ sind Zeus, der das Mädchen namens Europa aus | |
Kleinasien vergewaltigte, und zugleich die Vergewaltigte. Zynischer war nur | |
die notorisch bigotte Zeus-Tochter Athene, die das Mädchen Europa damit | |
tröstete, es werde für die Vergewaltigung entschädigt und „dereinst einem | |
ganzen Kontinent“ den Namen geben. | |
Nebulöse Thesen | |
Stockfinster wird es, wenn sich Thea Dorn auf das Feld der Geschichte | |
begibt. Historisch triftige Unterscheidungen zwischen den Begriffen | |
„Heimat“, „Kultur“, „Nation“ und „Volk“ sucht man ebenso vergeb… | |
zwischen „peuple“, „patrie“ und „pays“ im Französischen oder „po… | |
„patria“ und „gens“ im Lateinischen. Was Thea Dorn meint, wenn sie | |
behauptet, der Gegensatz Kultur/Zivilisation sei „tief“ in der deutschen | |
Geistesgeschichte verwurzelt, bleibt nebulös. | |
Aber wer sich beim Thema etwas auskennt, weiß: Es handelt sich, auch bei | |
Norbert Elias, um einem Kronzeugen für das Volksvorurteil, um eine simple | |
Rückprojektion der Konstellation im Ersten Weltkrieg, als nationalistische | |
deutsche Professoren und Dichter wie Thomas Mann den Krieg als Kampf der | |
deutschen Kultur gegen die französische Zivilisation zur „ewigen“ Urfehde | |
zwischen Kultur und Zivilisation frisierten. Das ist anachronistischer | |
wilhelminischer Firlefanz wie Thea Dorns Vorverlegung des „Heiligen | |
Römischen Reichs Deutscher Nation“ ins 10. Jahrhundert. Diese Bezeichnung | |
erscheint erstmals über 500 Jahre später am 26. 8. 1512. | |
Dazu passt der Versuch, dem Nationalismus des Turnvaters Jahn Positives | |
abzugewinnen, ebenso wie der aufgeblasene Kulturpessimismus der Autorin | |
(„Es geht mir ums Niveau“), die beklagt, heutige Schüler würden nur die | |
Trickfilmfigur Homer kennen, aber nicht den Verfasser der „Odyssee“. | |
1 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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