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# taz.de -- Kolumne Liebeserklärung: Näh doch die Knöpfe wieder an
> Thea Dorn preist das durch Grapschen freigesetzte künstlerische
> Potenzial. Die gute alte sexuelle Belästigung sieht sie von Spießigkeit
> verdrängt.
Bild: Hat eine sehr spezielle Meinung zu #Metoo: Thea Dorn
Der Künstler. Die zum Glück ungeschützte Berufsbezeichnung ist das ideale
Schlupfloch für den narzisstischen Soziopathen, der nach gängigen Maßstäben
komplett den Anschluss verloren hätte. Doch diese Maßstäbe gelten für ihn
nicht, er sticht nun mal aus der grauen Masse untoter Schwiegersöhne
heraus. Ein Künstler darf sich nicht nur verhalten, wie er will, er muss es
sogar: für ein höheres, heiliges Ziel.
Schon in der Ablehnung herkömmlicher Arbeit liegt großes Genie. Der
Künstler ist Normalsterblichen weit überlegen. Würde er sich nun wie ein in
die Gesellschaft Integrierter oder auch nur Integrierbarer verhalten,
versiegte sein kostbares Genie auf der Stelle und machte schnödem Kokolores
Platz. Das gerade für die Kunst wichtigste Privileg des männlichen
Künstlers liegt jedoch in der sexuellen Belästigung.
Dieses kostbare Sonderrecht klagt auch die Autorin Thea Dorn in ihrem
Kommentar zur [1][#Metoo-Debatte auf Deutschlandfunk Kultur] ein: Noch vor
wenigen Jahrzehnten hätte man dem Freigeist „seinen Status als
gesellschaftlicher Outlaw zugestanden.“ Des Künstlers Antriebskraft müsse
„natürlich auch das Abgründige sein, die Lust daran, massiv über die
Stränge zu schlagen.“ Der „verkommene“ Künstler im Kontrast zum
uninspirierten, im Dunkeln pimpernden Doofmann, der nicht weiß wie man
vernünftig die Sau rauslässt.
Das ist vollkommen richtig. Der Künstler muss angeregt werden. Durch
Drogen, geistige Getränke und vor allem durch Übergriffigkeit. Jedes Mal,
da er einer Frau ungefragt an den Hintern fasst, fließt die kreative
Energie vom Po über die Hand mit Macht direkt in sein Hirn. Es ist
fantastisch. Gute Kunst entsteht im Grunde ausschließlich durch
Belästigung: Mozart, Goethe, Kinski. Zivilisiertes Benehmen wäre doch keine
Kunst. Wir wissen nicht, wo sich Dorn selbst in diesem testosteronbetonten
Künstler-Kosmos verortet – womöglich ist sie mit ihrem Stockholm-Syndrom
bereits kreativ ausgelastet.
## Kleenex raus und Schwamm drüber
Mit Bedauern beobachtet sie „einen neuen Totalitarismus, der da
heraufzieht“, einen moralischen, in Gestalt der Linksspießer, die immer
gleich nach der Scharia schreien, sobald nur ein Künstler vor einer
ambulanten Muse seinen Sack entleert, um sich und die Welt danach mit umso
mehr Geist und Schönheit füllen zu können. „Auf jeden Griff zum Pinsel
folgt der Griff zum Pinsel“, pflegt man unter Malern zu sagen. Wer auf
diese Weise quasi Teil des Kunstwerks werden darf, sollte doch stolz sein
und sich freuen. Poesiealbum hervor, Kleenex raus und Schwamm drüber.
Zum Glück gibt es noch Stimmen der Vernunft wie die von Thea Dorn. Ihr
Motto, frei nach Birgit Kelle: Dann näh doch die Knöpfe wieder an die
Bluse, wenn sie dir aufgerissen wurde. Der postmoderne Ponytraum, sich auf
den Verzicht auf sexuelle Belästigung zu verständigen, wird von ihr mit dem
Prädikat „Benimmschule“ exakt auf den Platz verwiesen, auf den er in den
Augen des Künstlers gehört: in die Mottenkiste für Nichterwählte,
Langweiler und ähnliche Protagonisten einer „hysterisch-bigott
hypermoralisierten Gesellschaft, spießiger und furchtbarer als der Geist
der 50er und 60er.“ Nur der Niedere bleibt der irdischen Moral verhaftet,
während der Schöpfer via Muschi nach den Sternen greift.
Endlich weiß hier mal eine, wo es langgeht. Die auch Verständnis für das
vielgeschundene Geschlecht mit dem Y-Chromosom aufbringt. Von solchen
Frauen, die in der Lage sind, das Wesen der Kunst und des Künstlers mit
ihrem Verstand auch wirklich in all seiner Tiefe auszuloten, müsste es viel
mehr geben. Es müsste überhaupt mehr Frauen mit Verstand geben. Sag ich
jetzt mal so als Künstler. Dann gäbe es diese ganzen Probleme gar nicht.
Dann könnten wir Künstler uns endlich wieder mit dem Wesentlichen befassen
wie mit Titten und Ärschen, also der wahren Kunst eben.
Allerdings können einige Künstler gar nicht arbeiten, wenn sie nicht als
kreatives Warm-up mindestens eine Frau vergewaltigt haben. Das findet sogar
Thea Dorn nicht mehr so schnafte, das könnte dann zur Not auch mal bestraft
werden. Schade, dass sie hier die Kunstfreiheit beschneiden möchte; ganz so
klug ist sie vielleicht doch nicht? Auch wenn sie ansonsten findet, dass
vieles nur Gejammer von Mimösen ist: „Kinder, das gehört zum
Erwachsenwerden, das gehört dazu, um in dieser Welt zu überleben, dass man
eine gewisse Abwehrkraft entwickelt.“ Also scheißt einfach drauf. Im
Dienste der Kunst.
17 Nov 2017
## LINKS
[1] http://www.deutschlandfunkkultur.de/thea-dorn-zur-sexismus-debatte-das-ist-…
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Schwerpunkt #metoo
sexuelle Belästigung
Politisches Buch
Schwerpunkt #metoo
Lügenleser
Harvey Weinstein
Schwerpunkt #metoo
sexuelle Belästigung
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