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# taz.de -- Debatte Rechtsterrorismus: Im toten Winkel
> Warum konnten sich auch viele linke Journalisten nicht vorstellen, dass
> eine Neonazigruppe systematisch töten kann? Und dass sie unbehelligt
> bleibt?
Bild: Natürlich gab es Belege, dass Neonazis sich bewaffneten und Netzwerke bi…
Was eben noch Verschwörungstheorie war, ist plötzlich wahr geworden. Bevor
die Nazi-Mörder von Zwickau entdeckt wurden, gab es den Begriff "Braune
Armee Fraktion" für die meisten Sicherheitsbeamten, Experten und auch die
Journalisten auf dem Gebiet nur in der Negation.
In Deutschland existiert keine "Braune Armee Fraktion" war immer wieder in
allen möglichen Variationen zu lesen, zu sehen, zu hören. Ob der Begriff
Sinn ergibt oder nicht, darüber mag zu streiten sein, eines war jedenfalls
im vergangenen Jahrzehnt Konsens: Eine rechtsextreme Organisation, die über
Jahre deutschlandweit tötet, das war bis vor wenigen Tagen für die meisten
kaum vorstellbar. Warum eigentlich?
Zunächst einmal gab es kein Bekennerschreiben. Seit 9/11 waren
islamistische Anschläge der eine große Referenzpunkt dafür, von Terrorismus
zu sprechen. Der andere, in der deutschen Vergangenheit begründet, war die
RAF. Bei allen Unterschieden war beiden eine Haltung gemein: Terror ist
Kommunikation. Doch die Nazi-Zelle kommunizierte nicht. So trat eine andere
Spielart des Terrors, die Propaganda der Tat, die Worte nicht braucht, als
Erklärung in den Hintergrund. Zudem muss man die Botschaft deuten können,
sonst bleibt sie ein Rätsel.
Zwar gibt es in Deutschland, vor allem im Osten, heute Landstriche, in
denen Rechtsextreme das Alltagsleben in erheblichem Maße mitbestimmen -
also potenzielle Rückzugsräume für Terroristen. Aber trotz Tausender
Jugendlicher, die in den 90ern für exzessive Gewalt verantwortlich waren
und als potenzielle Untergrundkämpfer infrage kämen, schienen
terroristische Bestrebungen die absolute Ausnahme zu sein. Auch deshalb
lösen die Taten des Mördertrios aus Zwickau solche Überraschung aus.
Dennoch gab es natürlich Belege, dass Neonazis sich bewaffneten und
Netzwerke bildeten, die zum Terror bereit waren. Bei Rechtsextremen wurden
wieder und wieder Waffen und Sprengstoff gefunden. Einer der spektakulären
Fälle der jüngeren Vergangenheit war der des baden-württembergischen
Neonazis Thomas B., bei dem die Polizei im Sommer 2009 Geräte und
Chemikalien zum Bombenbau fand, daneben noch ein Sturmgewehr.
Zusätzlich lagen der taz und anderen Medien E-Mails B.s vor, in denen er
von Kameraden "die Namen und Adressen von wichtigen politischen Gegnern in
dieser Umgebung" einforderte, denn: "Wir haben uns jetzt langsam
strukturiert und gehen zum Gegenschlag über." Nicht Verfassungsschutz und
Polizei hatten die Erkenntnisse, die zur Verhaftung führten, ermittelt.
Sondern eine Antifa-Gruppe aus Freiburg. Was passierte danach?
## Das vergessene Unbehagen
Nicht viel. Wenige Tage nach der Verhaftung war der Fall fast vergessen.
Von rechtsextremem Terror, von den Indizien, nach denen B. Unterstützer
hatte, wurde kaum noch gesprochen. Für die taz kommentierte ich damals:
"Die Öffentlichkeit hat sich auf einen irren Einzeltäter geeinigt und
fertig." Das sei fatal, denn so entstehe ein toter Winkel, in dem sich
radikalisierte Jungmänner ungesehen bewegen könnten. Und: "Zwischen
Sicherheitsbehörden und Journalisten gibt es den Konsens, dass eine ,braune
RAF' nicht existiert. Fraglich ist, ob das zu allem entschlossene Neonazis
weniger gefährlich macht."
Kein Grund, stolz zu sein; ehrlich gesagt hatte ich den Fall bis vor
wenigen Tagen vergessen. Aber diese Zeilen sind ein Beispiel für das
Unbehagen mit dem beschriebenen Konsens, das es ja gab. Aber er wurde nicht
dauerhaft hinterfragt, nicht von mir, nicht von vielen anderen.
Es existierte ein blinder Fleck, es ist auch nicht ausgemacht, dass sich
das ändert, wenn sich die erste Aufregung gelegt hat. Im deutschen medialen
Mainstream gab es in den vergangenen zehn Jahren keinen Resonanzraum für
eine andere These als die Abwesenheit rechtsextremen Terrors. Absurderweise
gab es gleichzeitig Verurteilungen wegen Mitgliedschaft in einer
Terrorgruppe, zum Beispiel bei den Gymnasiasten, die in Brandenburg
zwischen 2003 und 2004 als "Freikorps Havelland" Imbisse anzündete, um
Migranten zu ängstigen.
## Des Mahnens müde geworden
KollegInnen, mit denen ich in den vergangenen Tagen sprach, tun sich
genauso schwer, diese kognitive Dissonanz befriedigend zu erklären, wie
ich. Aber eines sagen alle: Man habe über die Waffenfunde berichtet, über
die Verurteilungen, aber weitergehende Schlussfolgerungen wurden von den
Behörden öffentlich nicht nur nicht bestätigt, oder ernstgenommen - sie
wurden einfach nicht diskutiert.
Und viele Medien, die hätten genau das leisten können, gleichen ihre
Erkenntnisse erst mit eben jenen Behörden ab, bevor sie sie
veröffentlichen. "Wer will schon der ewige Mahner sein", sagt ein Kollege,
der seit Jahren im rechtsextremen Spektrum recherchiert, einer anderen
Autorin sind das Nachfragen beim Verfassungsschutz und die immergleichen
Antworten "irgendwann zu blöd geworden".
Die Rolle des Verfassungsschutzes wird in den Medien hin und wieder
problematisiert, aber nie wirklich hinterfragt. Auch wegen mangelnder
Alternativen als Quelle. Selbst große deutsche Medien unterhalten selten
eigene Stellen für die Berichterstattung über Rechtsextremismus.
Dementsprechend stammt ein Großteil des medial verarbeiteten Wissens über
Neonazis von einer Behörde, deren Absichten und Interessen kaum transparent
sind. Als Quelle nutzt sie übrigens zu einem großen Prozentsatz
öffentliches Material, also auch Medien. So dreht sich allzu oft der
Diskurs im Kreis seiner eigenen Bestätigung.
Lässt sich dieser Kreis mit einer Abschaffung des Verfassungsschutzes,
einem NPD-Verbot oder Antifaschismus im Grundgesetz durchbrechen? In der
Verfassung der DDR stand, der Faschismus sei besiegt, mit der Folge, dass
es Neonazis in der Wahrnehmung nicht geben durfte. In ihren Berichten
musste die Stasi von "Rowdytum" schreiben, während sich die Faschoszene ab
den 70er und 80er Jahren prächtig entwickelte - bis hin zu jenem Milieu,
aus dem die Mörder von heute stammen. Dass sie ein echtes Neonazi-Problem
hatten, begriffen dieser Staat und seine Gesellschaft bis zum Ende nicht.
Wir sollten das nicht wiederholen.
17 Nov 2011
## AUTOREN
Daniel Schulz
## TAGS
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