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# taz.de -- Reaktionen auf rechtsterroristische Morde: "Es hätte ja auch uns t…
> Angst, Kritik und Selbstkritik werden in der türkischstämmigen Community
> laut. Das Vertrauen in die Ermittlungsbehörden ist erschüttert.
Bild: Trauer: Rosen vor dem Obst- und Gemüseladen, in dem am 27. Juni 2001 Sü…
BERLIN taz | Sie habe "immer schon Angst vor Nazis gehabt", sagt die
türkischstämmige Verkäuferin einer Berliner Hochzeitskleiderboutique. "Aber
jetzt ist es noch schlimmer geworden."
Deshalb will sie ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen, und auch
nicht die Adresse des Geschäfts, in dem sie arbeitet: "Wer weiß, ob dann
nicht einer herkommt, dem nicht passt, was ich sage." Dabei traut sie sich
gar nicht viel zu sagen. Ihre Erschütterung wird dennoch deutlich: "Es
hätte ja auch uns treffen können!", sagt die junge Frau.
"Es hätte auch uns treffen können" - bei fast jedem Gespräch mit
türkischstämmigen GeschäftsinhaberInnen in Berlin fällt in diesen Tagen
dieser Satz. Auch der Kreuzberger Lebensmittelhändler Ö. hat Angst: "Ich
schaue mich jetzt immer gut um, wer so in der Nähe herumsteht, wenn ich
abends alleine den Laden abschließe", sagt er.
Wie viele hat er an die lange von den Ermittlungsbehörden verbreitete
Theorie geglaubt, die Opfer der Morde seien eventuell in kriminelle
Strukturen verwickelt gewesen. Nun ist für ihn klar, dass allein ihre
Herkunft sie zu Zielen der rechtsextremen MörderInnen werden ließ: "Ich
hätte also auch betroffen sein können!", sagt der Geschäftsinhaber.
Ö.s Vertrauen in die Ermittlungsbehörden ist erschüttert: Die Aufklärung
der Morde an "Ausländern" habe man wohl nicht besonders ernst genommen.
"Die wollten ihre Ruhe haben und haben dann eben gesagt: ,Na ja, son
kriminelles Türkenmilieu'."
## "Wir" sind die Deutschen – alle
"Wir haben uns immer wieder viel zu schnell damit abspeisen lassen, es gebe
bei den Morden und Attentaten keine Hinweise auf einen rechtsextremen
Hintergrund", sagt der Rechtsanwalt, ehemalige FDP-Politiker und Buchautor
Mehmet Daimagüler. Mit "wir" meint er die Deutschen, alle Deutschen.
Als Rechtsanwalt fragt sich Daimagüler, wie es sein kann, dass
Landesverfassungsschutzämter "offenbar so lange so eng mit rechtsextremen
Kräften kooperiert haben". Es sei in der Politik und auch in den Medien
jahrelang nur noch über islamistischen Terror und "Deutschenhass" geredet
worden: "Vielleicht besteht jetzt die Hoffnung, dass wir ernsthaft zu
überlegen anfangen, wie wir mit den neuen Rechten umgehen wollen."
"Kein schönes Land in dieser Zeit" heißt das kürzlich erschienene Buch, in
dem Daimagüler das "Märchen von der gescheiterten Integration" am Beispiel
seiner eigenen Biografie beschreibt - und erklärt, warum er als Sohn
türkischstämmiger Einwanderer trotz allem gern Deutscher ist. Doch in
diesen Tagen vermisse er, sagt der 43-Jährige, "dass der anständige Teil
der Gesellschaft aufsteht und Solidarität zeigt".
Was das betrifft, hat der Inhaber eines Berliner Handyshops wenig Hoffnung.
Seine Eltern seien vor fast 50 Jahren aus der Türkei nach Deutschland
migriert, seine zwei Kinder seien hier geboren: "Drei Generationen unserer
Familie leben hier", sagt er: "Und man tut sein Bestes, um sich hier zu
integrieren. Aber es hilft nichts. Das hört nie auf."
## Kränkend und pietätlos
So pessimistisch kann Remzi Kaplan, Vorsitzender des Vereins Türkischer
Döner-Hersteller in Europa, schon aufgrund dieses Amtes nicht sein.
Immerhin hat mittlerweile Außenminister Guido Westerwelle türkische Vereine
besucht und sein Mitgefühl geäußert. Bei dieser Gelegenheit konnte Kaplan
ihm auch sagen, wie kränkend und pietätlos die Bezeichnung "Döner-Morde"
für die rechtsextreme Mordserie an türkischstämmigen Deutsche klingt.
"Alle Opfer waren Menschen, die in Deutschland lebten, und als Unternehmer
- egal ob klein oder groß - nützliche Mitglieder dieser Gesellschaft", sagt
Kaplan. Ihre Familien verdienten Respekt und Solidarität.
Es muss furchtbar sein für die Angehörigen, "einen geliebten Menschen durch
Mord zu verlieren und dann hören zu müssen, er sei vermutlich kriminell
gewesen", sagt auch Rechtsanwalt Daimagüler. "Das mag man sich gar nicht
vorstellen."
Die türkischsprachigen Medien hätten sich von "der falschen Fährte, die die
Behörden gelegt haben, in die Irre führen lassen", sagt Ahmet Külahci,
Leiter der Deutschland-Redaktion der türkischen Tageszeitung Hürriyet
selbstkritisch.
Weder deutsche noch türkischsprachige Medien hätten nach den Morden "die
richtigen Fragen gestellt". Aber niemand - ihn eingeschlossen - habe wohl
für möglich gehalten, was nun langsam an die Öffentlichkeit komme, so
Külahci: "Rechtsextremer Terror in diesem Ausmaß und eine mögliche
Verstrickung von Behörden" - das sei doch unvorstellbar in einem
demokratischen Rechtsstaat."
17 Nov 2011
## AUTOREN
Alke Wierth
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
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