# taz.de -- SPD-Politiker Ceyhun über die Nazimorde: "Gesellschaft ist weiter … | |
> Den Migrationsexperten und SPD-Politiker Ozan Ceyhun überrascht, wie | |
> überrascht viele deutsche Politiker über das Vorhandensein von | |
> rechtsextremen Gewalttätern isind. | |
Bild: "Ich bin todsicher, dass Deutschland beim Kampf gegen Rassismus riesige S… | |
taz: Herr Ceyhun, nach Bekanntwerden des rechtsextremen Hintergrundes der | |
Morde an neun Migranten in Deutschland ist die Bestürzung groß. Der | |
Außenminister spricht der Türkischen Gemeinde sein Beileid aus und die | |
Bundeskanzlerin teilt dessen Erschütterung. All das aber erst, nachdem die | |
Türkische Gemeinde Deutschland politische Reaktionen laut einforderte. | |
Warum ist das so? | |
Ozan Ceyhun: Erstens reagiert die deutsche Politik immer sehr langsam – auf | |
innen- und außenpolitischer Ebene. Zweitens hat die heutige Bundesregierung | |
aber auch Schwierigkeiten mit dem Thema Türken in Deutschland, Rassismus, | |
Fremdenfeindlichkeit. Bis die Verantwortlichen da durchblicken, was zu tun | |
ist, brauchen sie viel Zeit. Oder eben den Anstoß von außen, durch Medien | |
oder eben die Türkische Gemeinde. | |
Wie finden Sie diese Beileidsbekundungen – sind sie angemessen oder etwas | |
peinlich aufgrund ihrer Verspätung? | |
Ich finde das trotz allem erst mal gut. Es sind viele Fehler gemacht | |
worden, was diese Morde betrifft. Es wurde etwa behauptet, dahinter stecke | |
die türkische Mafia oder gar der türkische Geheimdienst – man hat die Täter | |
viel stärker unter den Türken als anderswo gesucht. Jetzt wissen wir, dass | |
es Taten von Rechtsradikalen waren. Und vor diesem Hintergrund ist diese | |
fast übertriebene Reaktion dennoch gut. | |
Wichtig ist sie vor allem als Signal an diejenigen, die in den Städten und | |
Gemeinden als Bürgermeister oder Landräte oder in anderen Funktionen | |
politische Verantwortung tragen. Sie werden dadurch motiviert, vor Ort auch | |
das Notwendige zu tun: Die Menschen aus der Türkei zu besuchen, mit ihnen | |
zu reden und ihnen deutlich zu machen, dass sie tatsächlich Mitglieder | |
dieser Gesellschaft und Bürger dieses Landes sind. | |
Wie kommen diese Aktionen in der Türkei an? | |
Man freut sich, dass die deutsche Politik jetzt richtig handelt. Auch in | |
der Türkei machen die Menschen sich übrigens Gedanken darüber, ob die | |
türkische Seite sich anders hätte verhalten können, ob sie zu lange | |
abgewartet hat. Die Türkei hätte für die Opfer, die türkische Staatsbürger | |
waren, auf ernsthaftere Aufklärung drängen können. Da sind auch auf | |
türkischer Seite Fehler gemacht worden. | |
Hier wird jetzt über ein NPD-Verbot und ein Zentralregister für | |
Rechtsextreme diskutiert. | |
Ich bin als Demokrat grundsätzlich gegen Parteiverbote, weil ich nicht | |
glaube, dass man mit Verbotspolitik etwas verhindern kann. Wir brauchen | |
andere Maßnahmen, wenn wir verhindern wollen, dass der Sohn eines | |
Professors Türken umbringt. Und zuallererst ist jetzt wichtig | |
herauszufinden, wie blind die Sicherheitsbehörden auf dem rechten Auge | |
genau sind. | |
Hat Sie das überrascht? | |
Mich überrascht vielmehr, wie viele Politiker jetzt überrascht sind oder so | |
tun. Innenpolitiker sollten schon in der Lage gewesen sein, die Gefahr des | |
Rechtsextremismus richtig einzuschätzen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel | |
sollte jetzt nicht so überrascht von einer Schande für Deutschland reden. | |
Mit dieser Schande leben wir seit Jahren. | |
Sie haben sich nach einem irritierenden Erlebnis mit dem damaligen | |
SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der Sie als sein Parteimitglied und | |
deutschen Abgeordneten gefragt hatte, warum "Ihre Landsleute" in der Türkei | |
Recep Erdogan wählten, aus Deutschland und der deutschen Politik | |
zurückgezogen. | |
Nicht ganz. Ich bin immer noch Mitglied der SPD. Aber ich bin | |
Doppelstaatler, ich lebe heute in beiden Ländern, bin in der SPD und in der | |
hiesigen Kommunalpolitik aktiv und berate auch einen sozialdemokratischen | |
Bürgermeister in Istanbul. Es ist eine Herausforderung, aber ich habe | |
festgestellt, dass man sehr wohl aktives Mitglied von zwei Gesellschaften | |
sein kann. | |
Dennoch heißt Ihr Buch, das Anfang nächsten Jahres erscheint: "Man wird nie | |
Deutscher". Das klingt nicht optimistisch. | |
Aber das ist nicht negativ gemeint! Ich habe die deutsche | |
Staatsbürgerschaft und bin Türke. Und das ist überhaupt kein Problem. Auch | |
die Deutschen brauchen damit kein Problem zu haben. Im Gegenteil, solche | |
Doppelidentitäten können für Deutschland von Vorteil sein. | |
Sieht derzeit nicht so aus, als würde das hier erkannt. | |
Ich bin todsicher, dass Deutschland beim Kampf gegen Rassismus riesige | |
Schritte gemacht hat – wenn auch sicher noch nicht genug. Aber | |
gesellschaftlich sind wir auf jeden Fall weiter als auf der Ebene der | |
Politik und der Sicherheitsbehörden. | |
20 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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