# taz.de -- Akteneinsicht beim Nachrichtendienst: "Wir sind doch ein Geheimdien… | |
> 17 Verfassungsschutzämter beobachten die rechte Szene. In den Nachrichten | |
> kommen die Dienste nicht gut weg. Wem nutzt die Behörde eigentlich? | |
Bild: Neubau des Bundesnachrichtendienstes in Berlin. | |
Schon der Empfang war bemerkenswert. "Ihren Dienstausweis bitte!", | |
brummelte der Pförtner aus seiner Loge heraus. Ich stand am Eingang des | |
Inlandsgeheimdienstes, Außenstelle Mecklenburg-Vorpommern, in der Hoffnung, | |
dort Informationen über die rechte Szene im Nordosten Deutschlands zu | |
erhalten. Ich staunte. Sah ich etwa wie eine Geheimdienstfrau aus? | |
Drinnen erwarteten mich zwei Herren, ein Fachmann für Rechtsextremismus und | |
ein Mitarbeiter für Öffentlichkeitsarbeit. Ich wollte aus der | |
ostvorpommerschen Provinz über den Aufstieg der Neonazis berichten und | |
hatte zur Vorbereitung um ein Gespräch gebeten. Doch was die freundlichen | |
Herren mir als Hintergrundwissen preisgaben, war ziemlich vage und frei von | |
wirklichen Neuigkeiten. | |
Die eigentliche Überraschung erwartete mich zum Abschied. Ob ich vielleicht | |
nach meiner Recherche noch einmal vorbeikommen und über meine Erkenntnisse | |
berichten wolle, fragten die Verfassungsschützer. Schließlich wüssten | |
Journalisten oft mehr, als in der Zeitung stehe. Ich schaute entgeistert, | |
suchte nach der passenden Antwort. Hastig versicherte einer der Herren: | |
Nein, keine Sorge, das Gespräch werde natürlich absolut informell | |
verlaufen. | |
Auf der Rückfahrt fragte ich mich: Wussten die Verfassungsschützer wirklich | |
so wenig? Waren sie auf Informationen einer Berliner taz-Reporterin | |
angewiesen, die ihre erste Fahrt nach Ostvorpommern plante? Und wenn ja: | |
Wie konnte das sein? | |
## Was wissen die wirklich? | |
Jahre später kommt mir diese Szene wieder in den Sinn. Mehr als je zuvor | |
drängt sich dieser Tage die grundsätzliche Frage auf, wem eigentlich die | |
Beobachtung des rechtsextremen Spektrums durch 17 Verfassungsschutzämter | |
bundesweit nützt. Die offizielle Antwort lautet: der Demokratie, den | |
Menschenrechten, der Freiheit in diesem Land. Das klingt nach einer feinen | |
Sache. | |
Und es ist erst mal ein beruhigendes Gefühl, dass wenigstens ein paar | |
staatliche Stellen kontinuierlich auf die Neonaziszene schauen - und zwar | |
auch dann, wenn das Thema Rechtsextremismus bei Politikern und Journalisten | |
gerade nicht in Mode ist. | |
Doch was genau kommt tatsächlich heraus bei all den Beobachtungen des | |
Verfassungsschutzes in der rechten Szene? | |
Die Lageberichte, mit denen die Verfassungsschutzämter einmal im Jahr die | |
Öffentlichkeit versorgen, enthalten in der Regel keine Erkenntnisse über | |
das rechtsextreme Spektrum, die man nicht zuvor schon anderswo hätte lesen | |
können. Die Statistiken über die mal wachsende, mal schrumpfende | |
Anhängerschaft, die sich in den Jahrbüchern finden, kann niemand wirklich | |
überprüfen. | |
Nach der Pressekonferenz blättert man durch den druckfrischen Wälzer und | |
fragt sich, was die Ämter eigentlich darüber hinaus noch so alles wissen - | |
und zu wessen Nutzen sie diese streng geheimen Informationen sammeln, wenn | |
kaum jemand außerhalb des Behörden-Orbits je davon erfährt. | |
## 174 Millionen Euro Etat | |
Als "Frühwarnsystem" sollen die Dienste wirken, andere Behörden und lokale | |
Verwaltungen informieren, wenn Gefahr von Rechtsaußen droht. Das | |
funktioniert zuweilen, oft aber leider auch nicht. Das Beispiel der | |
wachsenden radikalen Islamhasserszene zeigt: Der Verfassungsschutz nimmt | |
solche Entwicklungen oft erst dann offiziell zur Kenntnis, wenn der Trend | |
Fachleuten jenseits der Behördenwelt bereits ziemlich alt vorkommt. | |
Die Arbeit des Verfassungsschutzes ist kein Schnäppchen. Während die | |
Bundesregierung das Präventionsprogramm gegen (Rechts-)Extremismus unlängst | |
um 2 Millionen Euro kürzte, wurde das Budget des Bundesamtes für | |
Verfassungsschutz im Jahr 2010 um rund 16 Millionen Euro aufgestockt. Gut | |
174 Millionen Euro flossen zuletzt an die Bundesbehörde. Das klingt nach | |
viel Geld. Doch die Zahlen helfen nicht wirklich, wenn man sich ein Bild | |
vom Nutzen des Apparats machen will. | |
Geschätzte 15 Millionen Euro geben alle 17 Verfassungsschutzämter in Bund | |
und Ländern zusammen jedes Jahr für die Beobachtung der rechtsextremen | |
Szene aus. Der Bremer Verfassungsschutz hatte 2010 einen Gesamtetat von | |
nicht einmal 2,6 Millionen Euro. Die Behörde in Thüringen durfte knapp 6,2 | |
Millionen Euro ausgeben - weniger, als die brandenburgische | |
40.000-Einwohner-Stadt Falkensee gerade im Haushalt für den Bau von | |
Anliegerstraßen veranschlagt hat. Was darf man von solchen | |
Minigeheimdiensten erwarten? | |
Weil die Öffentlichkeit nicht erfährt, welche Ergebnisse bei der | |
Beobachtung der rechten Szene herauskommen, kann sie auch nicht | |
einschätzen, was das dafür ausgegebene Geld dem Schutz der Demokratie | |
bringt. | |
Hinzu kommt, dass der Verfassungsschutz selbst vernebelt, welche Rolle er | |
eigentlich spielt. Er selbst präsentiert sich den Bürgern gern als auf | |
Korrektheit und Neutralität bedachter Beamtenapparat. Und natürlich | |
arbeiten in den Ämtern kluge, seriöse Fachleute. Mitunter erhalten wir | |
Journalisten von ihnen so kundige wie pointierte Einschätzungen. | |
## Banales für die Presse | |
Allerdings wollen oder dürfen sich nur wenige Verfassungsschützer überhaupt | |
der breiten Öffentlichkeit mitteilen, schon gar nicht mit streitbaren | |
Positionen. Möchte man sie zitieren, bleiben häufig nur ein paar | |
Banalitäten übrig. Und was wir Journalisten nicht schreiben dürfen, erfährt | |
auch die Öffentlichkeit nicht. So entziehen sich die Herren über die Akten | |
der politischen Debatte - und nützen ihr deshalb auch nicht. | |
Beliebte Begründung der Behörde: Verfassungsschützer seien nun mal Beamte | |
und keine Politiker. Was für ein Argument! Als sei nicht die Arbeit des | |
Verfassungsschutzes naturgemäß politisch: Wenn eine Organisation als | |
extremistisch eingestuft wird, hat das für sie beträchtliche | |
gesellschaftliche und finanzielle Folgen. | |
Wie allen Institutionen ist dem Verfassungsschutz an guter Presse gelegen. | |
Wenn die Kölner Zentrale einen Kreis von Journalisten zur Hintergrundrunde | |
in ihre Berliner Außenstelle lädt, servieren Behördenchef Heinz Fromm und | |
hochrangige Mitarbeiter erst Fachinformationen - bevor es zum lockeren | |
Geplauder ans Buffet geht. | |
Wer mag bei einem so netten Empfang an die hässlichen Facetten dieses | |
Gewerbes denken? An die Halbwelt, die vom Verfassungsschutz systematisch | |
umgarnt und ausgehalten wird? Doch auch das gehört zum Behördenalltag. | |
Spätestens seit dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren sollte klar sein, | |
wie zweischneidig der Einsatz von sogenannten Vertrauensleuten aus der | |
rechten Szene ist. Nicht einmal die Dienste untereinander verraten sich, | |
wer gerade welchen Rechtsextremisten als V-Mann einsetzt und gegen Geld | |
abschöpft. | |
## TÜV-Siegel für den Geheimdienst | |
Die Regel, dass sich diese Informanten nicht an Straftaten beteiligen | |
dürfen, wird zwangsläufig dauernd gedehnt. Es geht ja schon los, wenn beim | |
Kameradschaftsabend alle den Arm zum Hitlergruß heben. Soll der V-Mann als | |
Einziger bloß zuschauen? | |
Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann fordert nun ein | |
"Qualitätsmanagement" für V-Leute. Wieso nicht gleich ein TÜV-Siegel? | |
Es sind Neonazis, die der Inlandsgeheimdienst bezahlt, um an Informationen | |
zu kommen. Das Staatsgeld macht sie nicht zu Demokraten. Wie oft die | |
V-Leute wirklich entscheidende Tipps liefern, kann niemand außerhalb der | |
Dienste beurteilen. So ist das bei Geheimdiensten. Klar ist dagegen: Der | |
Staat alimentiert auf diese Weise die Szene. | |
Dem NPD-Führungskader Peter Marx wurde vor einigen Jahren von den eigenen | |
Kameraden sogar nachgesagt, er habe als "Agentenzuhälter" | |
Gesinnungsgenossen ermuntert, sich als V-Leute auf die Gehaltsliste des | |
Verfassungsschutzes setzen zu lassen - und die Einkünfte später zu teilen. | |
Marx stritt die Vorwürfe ab. Angesichts der chronischen Geldnot der NPD | |
wäre ein solches Finanzierungsmodell aus Parteisicht aber gar keine dumme | |
Idee. | |
Womöglich nutzt also am Ende das V-Mann-Wesen den Rechtsextremen mehr als | |
der Republik, die vor ihnen geschützt werden soll. Andererseits: | |
Journalisten spotten auch gern mal, der Verfassungsschutz habe den Großteil | |
seines Wissens nur aus der Zeitung. | |
Egal welche Wendungen der Skandal um die Zwickauer Neonazizelle noch nehmen | |
wird - für den Verfassungsschutz ist er ein Desaster. Einem Unternehmen | |
würde man in dieser Lage raten: Leg die Fakten auf den Tisch! Sag den | |
Leuten ehrlich, wie dein Laden funktioniert! | |
## Zwielichtige Informanten schützen | |
Leider undenkbar beim Verfassungsschutz. Natürlich gäbe es Fragen, die man | |
den Behördenchefs immer mal stellen wollte: Wie viele brisante Erkenntnisse | |
lagern, den Bürgern unbekannt, in den Archiven? Welches Wissen wird | |
zurückgehalten, weil die Heimlichtuerei zum Selbstzweck geworden ist? | |
Weil zwielichtige Informanten nicht auffliegen dürfen? Oder weil die Regeln | |
für die V-Mann-Arbeit allzu frei ausgelegt wurden? Und: Schadet der | |
Geheimdienst damit nicht der Demokratie, als deren Verteidiger er | |
eigentlich agieren soll? | |
Doch natürlich kann man sich solche Mühen heute ebenso sparen wie vor ein | |
paar Monaten. Denn schon auf viel weniger brisante Fragen antworten | |
Verfassungsschützer gern seufzend: "Wir sind doch ein Geheimdienst, Frau | |
Geisler!" | |
18 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Astrid Geisler | |
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