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# taz.de -- Innenpolitik in Niedersachsen: Immer Ärger mit Schünemann
> Polizeiführer feiern bei Hells Angels, Nazi-Terrorhelfer bleiben
> unbehelligt und das Innenministerium beeinflusst Aufenthaltsverfahren zu
> Lasten der Betroffenen. Jetzt rumort es in CDU und FDP.
Bild: Unter Druck, mittlerweile auch aus dem eigenen Lager: Niedersachsens Inne…
HANNOVER taz | Einen Wettlauf um die härteste Attacke auf Innenminister Uwe
Schünemann (CDU) lieferte sich am Dienstag die Opposition im
Niedersächsischen Landtag: Eine "fast dramatische Ballung" der Probleme im
Amtsbereich Schünemanns sah der Grünen-Abgeordnete Helge Limburg. Es gebe
"ohne Übertreibung" eine "innenpolitische Krisensituation".
Von "erschreckenden Abgründen" im Innenministerium sprach der
SPD-Innenpolitiker Klaus-Peter Bachmann. Die Linke fackelte nicht lange:
"Das Maß ist voll. Verfassungsschutz abschaffen, Schünemann muss
zurücktreten", befand die Abgeordnete Pia Zimmermann.
Die Gelegenheit, den ungeliebten Hardliner anzuzählen, war günstig wie nie.
Gleich vier potenzielle innenpolitische Skandale waren am Dienstag
zusammengekommen: Die wahrscheinlichen Ermittlungspannen im Fall des
rechtsextremistischen Stolzenauer Terrorhelfers Holger Gerlach (siehe Seite
2), Schünemanns lange Untätigkeit im Fall des hannoverschen Polizeiführers
Christian Grahl, der in Hells Angels-Etablissements verkehrte - und, mal
wieder, zwei haarsträubende Fälle von Schikanen durch Niedersachsens
Ausländerbehörden, an denen der Minister offenbar persönlich beteiligt war.
Am Dienstag vergangener Woche wurde die fünfköpfige vietnamesische Familie
Nguyen aus Hoya ohne Vorankündigung um drei Uhr morgens von der Polizei aus
dem Schlaf gerissen, die die abgelehnten Asylbewerber nach Frankfurt
brachten und sie dort in ein Flugzeug nach Hanoi setzten. Nur die
21-jährige Tochter durfte allein zurückbleiben. "Überfallartig" sei dies
abgelaufen, zürnt der Flüchtlingsrat.
Seit 1992 lebten die Nguyens in Deutschland, der Vater arbeitete in einer
Baumschule, die Kinder hatten gute Schulnoten. "Die Familie war ein
Paradebeispiel vorbildlicher Integration, das regt mich so auf", sagte der
Braunschweiger Landesbischof Friedrich Weber. Er stellte wegen der
Angelegenheit die niedersächsische Härtefallkommission, an der die Kirchen
beteiligt sind, in Frage. Schünemann erklärte, die Abschiebung sei
rechtlich alternativlos gewesen.
Der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Gottfried
Mahrenholz, nannte dies "absurd": Es werde "auf ewig sein Geheimnis
bleiben", warum er die Abschiebung nicht per einfacher Weisung habe stoppen
können, sagte Mahrenholz.
Auch von unerwarteter Seite kam Kritik: Die CDU im Landkreis Nienburg
äußerte ihren Unmut, auch die Unions-Landtagsfraktion soll wenig
Verständnis für Schünemanns Linie haben. Der Landkreis Nienburg selbst
erklärte, von ihm aus hätten die Nguyens bleiben können - Schünemann habe
jedoch auf der Abschiebung bestanden. Die Opposition fordert nun, den
Nguyens eine Rückkehr nach Deutschland zu erlauben. Im Interview mit der
NDR-Fernsehsendung Hallo Niedersachsen sagte Schünemann inzwischen, er
werde eine Rückkehrmöglichkeit für die Familie im Kontakt mit den
Bundesbehörden prüfen.
Ein anderer Asylfall brachte selbst die FDP auf die Palme. Die ebenfalls
seit 1992 in Deutschland lebende Familie S. aus dem Landkreis Göttingen war
vor dem algerischen Bürgerkrieg geflüchtet, ihre Asylanträge wurden jedoch
abgelehnt. Schünemann hatte Mitgliedern der Familie schon 2008 vorgeworfen,
sich "vehement gegen die Feststellung ihrer Identität zu wehren". Er regte
beim Landkreis Göttingen per Brief eine - ergebnislos gebliebene -
Hausdurchsuchung bei den S. an. 2010 empfahl er der Behörde in einem
erneuten Brief, die Dauer der erteilten Duldungen für die Familie S. von
drei auf einen Monat herabzusetzen.
Zudem schlug er nach Recherchen des Göttinger Tageblatts ein zweites
Strafverfahren wegen Identitätsverschleierung vor: Angesichts der "bereits
mehrfach gekürzten Sozialleistungen" für die S. sei eine mögliche
Geldstrafe für die Flüchtlinge "nur schwer zu begleichen". Also drohe
"Ersatzfreiheitsstrafe": "Diese könnte einzelne Familienmitglieder
beeindrucken", so das Ministerbüro.
Bei einer Gerichtsverhandlung in Göttingen sagte ein Mitarbeiter der
Landesaufnahmebehörde nun, dass es für die behauptete
Identitätsverschleierung "keine Anhaltspunkte" gebe. Die Staatsanwaltschaft
beantragte Freispruch. "Wir erwarten Aufklärung. Diese Vorgänge müssen vom
Innenministerium umgehend geklärt werden", polterte der FDP-Abgeordnete Jan
Christoph Oetjen. "Das Ministerium muss sich bei Abschiebungen neutral
verhalten. Es soll kein politischer Einfluss auf die Behörden ausgeübt
werden."
Die Grünen haben beantragt, dass Schünemann heute im Innenausschuss des
Landtags zu allen vier Vorgängen Stellung bezieht.
15 Nov 2011
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
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