# taz.de -- Politiker über Antiziganismus in Ungarn: "Menschenrechtler haben p… | |
> Die neue "Romastrategie" verschärft die Lage der Roma in Ungarn. | |
> Staatssekretär Zoltán Balog will lieber rechtsextreme Wähler für die | |
> Demokratie wiedergewinnen. | |
Bild: Am äußersten Rand der Gesellschaft: zwei ungarische Romni mit ihren Kin… | |
taz: Herr Balog, wie ist die Situation der Roma anderthalb Jahre nach | |
Fidesz' Machtantritt? | |
Zoltán Balog: Ihre soziale Situation ist in den letzten 20 Jahren immer | |
schlechter geworden. 85 Prozent der Männer haben kein offizielles | |
Arbeitsverhältnis. Was die Bildungssituation anbetrifft, ist da eine | |
positive Wende eingetreten: Seit Ende der 1990er Jahre haben immer mehr | |
Kinder acht Schuljahre abgeschlossen. Heute sind das 95 Prozent. | |
Was tut Ihre Regierung, um die Lage der Roma zu verbessern? | |
Wir sind mit einer klaren Strategie angetreten, in deren Zentrum | |
Beschäftigung- und Bildungsprogramme stehen. Wir haben das größte | |
Stipendienprogramm der vergangenen 20 Jahre aufgelegt. Diese beiden | |
Initiativen können jetzt noch keine Wirkung zeigen, sie sind aber | |
wesentliche Bestandteile der Strategie. Das andere ist die Aufarbeitung der | |
Vergangenheit. Diese Roma-Morde 2008 und 2009 waren furchtbare Vorfälle, | |
die Ungarns Ruf beschädigt haben. Die alte sozialistische Regierung hat | |
mehrere Jahre recherchiert - und nichts herausgefunden. Im Gegenteil: Sie | |
versuchten diese Sache zu vertuschen. Die neue Regierung hat gesagt: Hier | |
müssen wir grundsätzlich handeln, das heißt, auch die Rolle von Polizei und | |
Staatsanwaltschaft muss kritisch untersucht werden. Jetzt sind die | |
mutmaßlichen Täter gefasst, es gibt einen Prozess, und wir haben ein | |
Training für Polizisten eingerichtet, damit sie rassistisch motivierte | |
Straftaten besser erkennen und untersuchen können. | |
Wirbt Ihre Regierung für Toleranz gegenüber den Roma? | |
Es ist sehr wichtig, dass sich Politiker offen hinter eine Volksgruppe | |
stellen. Immer, wenn Jobbik in Anwesenheit von Ministerpräsident Viktor | |
Orbán im Parlament etwas Rassistisches sagt, steht der auf und weist das | |
zurück. | |
Wie ist das Verhältnis von Fidesz zu Jobbik? | |
Jobbik versucht, soziale Spannungen zwischen der Mehrheitsgesellschaft und | |
den Roma für sich auszunutzen. Wir können und wollen diesen Weg nicht | |
gehen. Aber: Bürger, die Jobbik wählen, sind für mich keine Jobbik-Leute, | |
sondern Menschen, die getäuscht worden sind. Wir müssen sie für die | |
Demokratie wiedergewinnen. | |
Im vergangenen Frühjahr mussten Hunderte Roma aus der Ortschaft | |
Gyöngyöspata evakuiert werden, nachdem Rechtsextreme sie massiv bedroht | |
hatten. Sie werden mit Äußerungen zitiert, dass dieser Vorfall von einigen | |
Medien provoziert worden sei und dass der US-Amerikaner, der die Busse für | |
die Evakuierung besorgt hatte, darauf aus war, die Situation weiter | |
anzuheizen … | |
Das war eine falsche Meldung von irgendeiner Nachrichtenagentur. Im | |
Untersuchungsausschuss habe ich zwei Sachen gesagt: zum einen, dass das | |
eine Provokation der extremen Rechten war. Jobbik wollte politisches | |
Kapital aus Spannungen zwischen Roma und Nichtroma schlagen. Leider ist | |
diese Rechnung fast aufgegangen. Aber auch sogenannte Menschenrechtler | |
haben provoziert. Denn diese Evakuierung, das war eine Übertreibung der | |
Situation. Die Medien haben nur über den zweiten Aspekt berichtet. | |
Übertreibung? Die Polizei hat nur zögerlich eingegriffen … | |
Am Anfang stand die Polizei in der Tat etwas ratlos da. Aber sie hat auch | |
einen richtigen Zusammenstoß verhindert. Fünf Personen wurden festgenommen, | |
dem Gericht übergeben - und innerhalb einer Stunde wieder freigelassen. Mit | |
der Begründung, es gebe keine gesetzliche Grundlage, sie weiter | |
festzuhalten. Und was haben wir gemacht? Innerhalb einer Woche wurde ein | |
Gesetz gegen paramilitärische Gruppen verabschiedet. Seitdem ist jeder zu | |
bestrafen, der in Uniform einer Minderheit Angst einjagt. | |
Wie steht die ungarische Mehrheitsgesellschaft Ihrer Meinung nach zu den | |
Roma? | |
Grundsätzlich negativ, aber da ist Ungarn nicht das einzige Land. | |
Aber wir sprechen jetzt über Ungarn. | |
Unserer Region hat sich in den letzten 20 Jahren leider nicht so | |
entwickelt, wie sich die Menschen das erhofft hatten. Drei Millionen | |
unserer Bürger leben unter der Armutsgrenze. Das sind mehrheitlich | |
ethnische Ungarn. Es gibt eine starke soziale Frustration, und die stärkt | |
eine Angst: Ich werde auch so, wie du bist. Ich sehe bei dem anderen einen | |
Status, den ich nie haben wollte, aber ich komme diesem Status immer näher. | |
Dass in einer solchen Situation Menschen meinen, andere hassen zu müssen, | |
damit sie sich besser fühlen, finde ich schlimm. Das gilt übrigens auch für | |
einige Dinge, die meine Regierung tut. | |
Welche zum Beispiel? | |
Warum sollte ich das in Deutschland erzählen? Ich sage das zu Hause. | |
Abgesehen davon bin ich mit der Regierung solidarisch. Und solange ich | |
meine, für meine Arbeit eine Chance zu haben, bleibe ich dabei. | |
23 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
Barbara Oertel | |
## TAGS | |
Viktor Orbán | |
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