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# taz.de -- Rassismus gegen Roma: Die Gewalt der Mehrheitsgesellschaft
> Die Situation der Roma ist EU-weit verheerend. Das hochkarätig besetzte
> Symposium "Was heißt hier Zigeuner?" in Berlin versuchte die Hintergründe
> zu klären.
Bild: Machen den Roma viele Probleme: ungarische Rechtsradikale.
Herta Müller las mit brechender Stimme. 1991 hatte die Nobelpreisträgerin
ihren eindrucksvollen und leider vergriffenen Reisebericht aus Rumänien
"Der Staub ist blind, die Sonne ist ein Krüppel" geschrieben; darin
schildert sie die Pogrome in Kogalniceanu, in denen die Häuser von 150 Roma
mit Strohballen und Dieselöl in Brand gesteckt wurden.
Die in den Wald geflohenen Roma mussten erneute Attacken und den Winter
fürchten - und konnten weder mit der Bestrafung der Täter noch einem
Wiederaufbau ihrer Häuser rechnen. Mit der Lesung wurde das Symposium "Was
heißt hier Zigeuner?", ausgerichtet von der Allianz-Stiftung und der
Bundeszentrale für politische Bildung, am Donnerstag in Berlin eröffnet.
Zwanzig Jahre später ist die Situation der Roma in Europa weiterhin
schrecklich. Wie Morten Kjærum, Direktor der Agentur der EU für Grundrechte
in Wien, erklärte, war laut der aktuellsten Umfrage der Agentur jeder
zweite Rom in den zwölf Monaten vor der Befragung diskriminiert worden -
und über ein Drittel der Roma Opfer eines Verbrechens.
Silvio Peritore, Leiter des Referats Dokumentations- und Kulturzentrums
Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg, erinnerte daran, dass diese Gewalt
nicht nur von Extremisten, sondern erschreckenderweise aus der Mitte der
Gesellschaft kommt.
Auch in Ungarn. Zoltán Balog, der ungarische Staatsminister für soziale
Inklusion (das heißt wirklich so), redete sich galant aus der unbequemen
Position heraus, als ungarischer Politiker über die Lage der Roma zu
sprechen; in Ungarn werden viele Übergriffe auf Roma registriert, Balog
schien sich dafür einzig aus wirtschaftlichen Gründen zu interessieren. Er
erlaubte es sich sogar, die EU-Förderung für Roma-Projekte in Osteuropa zu
vergleichen, als handle es sich bei der Integration der Roma vor allem
darum, so viel Geld von der EU lockerzumachen wie möglich.
Er gab zu, zwar der Situation der Roma "in die Augen geschaut" zu haben,
jedoch nicht den Roma. Es reicht offensichtlich nicht, nur auf die
ungarische Zigeunermusik stolz zu sein. Verblüffend oft kam Balog auf das
"Roma-Problem" zu sprechen, auf die sozialen Probleme mit Roma also - das
Problem des Rechtsextremismus in Ungarn erwähnte er nur am Rande.
Klaus-Michael Bogdal löste daraufhin die ersten Lacher im Saal aus. Die
Selbstmordrate in Ungarn sei zwar hoch, aber leider nicht unter den
Rechtsradikalen, stellte er fest. Bogdals Studie über die Hintergründe der
Faszination und Verachtung, die den Roma im Laufe ihrer Geschichte in
Europa zuteil geworden sind, ist gerade erschienen ("Europa erfindet seine
Zigeuner", Suhrkamp). Der Autor bemerkte, dass die europäische
Mehrheitsbevölkerung stets nur an den größtmöglichen Unterschieden, nie am
kleinstmöglichen Gemeinsamen interessiert war.
Von Anfang an verwehrte die Mehrheit den Roma Zugang in die Gesellschaft:
Je größer der Abstand zum "Naturvolk", desto höher dachte man sich die
eigene Zivilisationsstufe - und tut das noch bis heute. Die Verachtung
fordere, wie Bogdal erklärte, immer wieder gezeigt zu werden, und äußere
sich in Demütigungen, Entrechtung und Vertreibungen.
Einen traurigen Bezug zur Realität bekamen seine Auslegungen, als nach
offizieller Beendung der Veranstaltung Kenan Emini von der Göttinger
Initiative "alle bleiben" das Wort ergriff. Er machte darauf aufmerksam,
dass eben an diesem Tag 70 Menschen, die seit 20 Jahren in Deutschland
leben, in den Kosovo abgeschoben wurden.
11 Nov 2011
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