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# taz.de -- Vergessener Völkermord: Geschwisterpaar der Ausgrenzung
> Sinti- und Romaverbände sowie jüdische Gemeinden unterzeichnen Erklärung
> gegen Antiziganismus und kritisieren Abschiebungen ins Kosovo.
Bild: Im Kosovo wartet ein Leben ohne Perspektive: Roma-Kind fährt auf den Fel…
HANNOVER taz | Dem Antiziganismus und der Diskriminierung treten
niedersächsische Sinti- und Romaverbände sowie der Landesverband der
jüdischen Gemeinden entgegen: Am Dienstag - zum Jahrestag der
Novemberpogrome 1938 - haben sie gemeinsam eine "Hannoveraner Erklärung"
unterzeichnet. Darin fordern sie die schwarz-gelbe Landesregierung auf,
Gelder für Antiziganismusforschung bereitzustellen.
Laut Manfred Böhmer von der niedersächsischen Beratungsstelle für Sinti und
Roma ist die Erklärung bundesweit der erste Schulterschluss mit jüdischen
Gemeinden. Bis zu 500.000 Sinti und Roma wurden während der NS-Zeit
ermordet, ein im Gegensatz zum Völkermord an den Juden "vergessener
Holocaust", wie die Verbände in ihrer Erklärung betonen. Antisemitismus und
Antiziganismus könnten Geschwisterpaare sein. Entschädigung oder
Wiedergutmachung habe die Opfergruppe der Sinti und Roma aber nie erhalten
- auch keine moralische.
"Noch viel tiefer als Antisemitismus steckt der Antiziganismus in der
Gesellschaft", sagte Michael Fürst vom Landesverband der jüdischen
Gemeinden. Der sei im Unterschied zur Judenfeindlichkeit auch heute noch
gesellschaftsfähig. Allein in Niedersachsen leben nach Angaben der Verbände
bis zu 20.000 Sinti und Roma. Vorurteile und Ausgrenzung begegneten ihnen
in allen Lebensbereichen: von der Schule über die Arbeit bis zum
Sportverein.
Kritik üben die Verbände auch an Zwangsabschiebungen von Roma in Länder des
ehemaligen Jugoslawiens - ein "Drama, das sich mitten in Europa abspielt",
wie es Leonhard Oehle vom Forum Sinti und Roma formulierte. "Die Menschen
leiden aktuell", sagte Kenan Emini vom Roma-Center Göttingen. Bundesweit
droht gut 10.000 Roma allein die Abschiebung ins Kosovo, seit Deutschland
2009 ein Rückübernahmeabkommen mit der kosovarischen Regierung
abgeschlossen hat. Und dort, sagt Emini, seien sie "von Gesellschaft und
System abgeschnitten" und von Übergriffen bedroht.
In Niedersachsen sind derzeit 2.076 ausreisepflichtige Roma aus dem Kosovo
erfasst, wie Innenminister Uwe Schünemann (CDU) jüngst auf Anfrage der
Grünen-Migrationspolitikerin Filiz Polat mitteilte. Sie kritisiert
Schünemanns "rigorosen Abschiebekurs" und fordert ein Aufenthaltsrecht für
Roma in Niedersachsen.
2010 hatte nicht nur das Bundesinnenministerium die Länder zur
Zurückhaltung bei Abschiebungen von Roma ins Kosovo aufgerufen. Auch die
EU-Kommission hat sich gegen Roma-Abschiebungen ausgesprochen. Schünemanns
Ministerium dagegen hat die Ausländerbehörden wenige Monate später in einem
Schreiben darauf hingewiesen, "dass es keinen Ermessensspielraum gibt". Ein
"routinemäßiger Vorgang", erklärte Schünemanns Sprecher damals.
Wie viele Roma Niedersachsen ins Kosovo abgeschoben hat, kann der
Innenminister auf Polats Anfrage nicht beantworten: 160 Menschen wurden
zwischen 2008 und Ende Juni 2011 nach Pristina abgeschoben, 41 Menschen
kosovarischer Abstammung in Drittstaaten wie Ungarn oder Slowenien. Ob
darunter Angehörige von Minderheiten, Alleinerziehende oder Minderjährige
waren, gibt Schünemann nicht an: "Derart differenzierte statische
Erhebungen liegen nicht vor", heißt es in seiner Antwort. Sie seien auch
nachträglich nicht mehr zu ermitteln.
8 Nov 2011
## AUTOREN
Teresa Havlicek
Teresa Havlicek
## TAGS
Zentralrat Deutscher Sinti und Roma
Holocaust
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