# taz.de -- Berichterstattung über den Castor: Beim Wald-und-Wiesen-Fernsehen | |
> Das ganze Wendland mit WLAN versorgen: Der Castor-Protest wird technisch | |
> und medial professioneller begleitet denn je. Mit dabei sind auch die | |
> Piraten. | |
Bild: Radio freies Wendland will den Protest hörbar machen. | |
HITZACKER taz | Wenn es Herbst wird und der Castor ins Wendland rollt, dann | |
gibt es die einen und die anderen, die protestieren. Die einen packen | |
Sitzkissen ein und Strohsäcke, bevor sie zu den Schienen gehen, die anderen | |
ein Ministativ, einen Ladeblock mit USB-Anschluss, ein Teleskopobjektiv und | |
mindestens acht Ersatzbatterien. | |
Die einen träumen davon, den Strahlenmüll durch Sitzblockaden aufzuhalten, | |
sie singen "Gorleben soll leben", während sich vor ihnen eine Polizeikette | |
in Stellung bringt. Die anderen träumen davon, das ganze Wendland mit WLAN | |
zu versorgen, bevor der Castor kommt. Jeden Wald und jedes Feld. | |
Die einen schreien "Abschalten!". Die anderen twittern. | |
Sebastian gehört zu den anderen. An seiner Jacke steckt ein Button: "Das | |
Internet ist euer Feind". Um kurz vor drei bricht er aus seinem Camp auf. | |
Es ist Samstag, ein Tag im Herbst. Der Castor-Zug nähert sich dem Wendland. | |
Sebastian will demonstrieren, auf seine Weise. Er steckt die wasserdichte | |
Schutzhülle für sein iPhone ein, für alle Fälle. | |
## Kein Netz | |
Er will an die Schienen. "Gehe jetzt mit rund 500 Menschen aus dem Lager | |
Metzingen Richtung Gleise", twittert er. Es ist kurz vor vier, da tippt er | |
die nächste Nachricht: "Sitze mit 1000 anderen Leuten irgendwo im Wald auf | |
nem Gleis :) Zurzeit leider kein WLAN". Er streckt sein iPhone in die Luft. | |
Er hat kein Netz. | |
Es gibt die einen, die vermuten, die Polizei störe absichtlich die | |
Kommunikation der Protestbewegung im Wendland, irgendwie, wie auch immer. | |
Sebastian schüttelt den Kopf. Er gehört zu den anderen. "Eine | |
Netzinfrastruktur, die für einige Dörfer ausgelegt ist, hält diesen Ansturm | |
einfach nicht aus", sagt er. Sebastian steht an den Schienen, auf denen | |
bald der Castor rollen wird, Gleiskilometer 187. Der Himmel ist grau. Es | |
sieht aus, als ob es bald regnen würde. | |
Im Wald sitzen Uniformierte auf Polizeipferden. Sie gucken zu, was | |
passiert: Aus den Wälder strömen Demonstranten, sie klettern über | |
querliegende Baumstämme und hangeln sich an Ästen entlang, sie rutschen auf | |
nassem Laub aus. Sie wollen auf die Gleise. Erst sind es 500, dann 1.500, | |
dann 2.000. Uniformierte rennen auf und ab, sie marschieren in Reihen. Sie | |
greifen nicht ein, weil es zu viele sind, die aus den Wäldern kommen. | |
## Router im Rucksack | |
Jubelschreie. Punktsieg für die Gleisbesetzer: Sebastian will das mit | |
seinem iPhone filmen und live ins Internet übertragen. Auf [1][Castortv.de] | |
soll weltweit jeder sehen können, was auf Gleiskilometer 187 bei Harlingen | |
im Wendland passiert. "Protest ist überflüssig, ohne die Öffentlichkeit, | |
die ihn wahrnimmt", sagt Sebastian. | |
Doch bevor er filmen kann, braucht er Internet. Das Netz ist zu schwach. | |
Sebastian malt mit dem Zeigefinger eine Skizze in die Luft. Er will | |
erklären, wie das funktioniert: Um Internet zu haben, braucht er ein Router | |
in seinem Rucksack, am besten aber zwei. Mit dem Router kann er ein | |
WLAN-Signal empfangen, das von einem Hot-Spot im nächsten Dorf an | |
Verstärker gesendet wird; kleine Boxen, die irgendwo in den Bäumen hängen. | |
Leute vom Chaos Computer Club hätten das eingerichtet, sagt er. Er | |
schmunzelt, weil er weiß, dass nicht jeder versteht, wie seine Welt | |
funktioniert. | |
Wenn Sebastian von Protest spricht, dann spricht er über Technik. "Ich muss | |
zurück ins Camp", sagt er. Dort gebe es Internet. Sebastian stapft über ein | |
Feld, Aktivisten kommen ihm entgegen, mit Isomatten und Strohsäcken in den | |
Händen. Sie wollen die Nacht auf den Gleisen verbringen. Sitzen, singen und | |
warten, bis der Castor kommt. | |
Sebastian geht die Dorfstraße hinunter, vorbei an einer Kolonne von | |
Polizeiautos, die im Stop-and-go zu den Gleisblockierern zuckeln. Sebastian | |
fragt sich, wie das eine Auto mit dem anderen kommuniziert, ob im | |
Polizeifunk nur der Einsatzleiter sprechen darf oder ob alle | |
durcheinanderreden. Sebastian vermutet heilloses Chaos und wüsste auch, wie | |
es besser ginge. "Was wäre, wenn sich die Polizei per Twitter unterhält?", | |
fragt er. Dann könne jeder Beamte dem Hashtag folgen, das ihn interessiere. | |
Er will einen Witz machen. Aber er meint es auch ein bisschen ernst. | |
## Stolzer Solartechniker | |
In einem Wohnwagen, zwei Dörfer weiter, sitzt Eckhard. Stoppelbart, wache | |
Augen in müdem Gesicht. Er stellt sich als Solartechniker vor, als | |
"stolzer" Solartechniker. Selbst sein Handy sei mit Sonnenenergie | |
betrieben. Eckhard ist Sendeleiter von Castor-TV. Er empfängt die Bilder, | |
die Sebastian von seinem Handy sendet. Wenn Eckhard von Protest spricht, | |
dann spricht er von Technik. Wenn ein Polizist seinen Wagen durchsuchen | |
wolle, erzählt Eckhard, dann zeige er als Erstes seinen | |
2.000-Watt-Sinus-Inverter, einen Kasten am Boden des Wagens, und | |
versichere, dass das keine Bombe sei, obwohl es so komisch leuchtet und | |
blinkt. Das sei passiert, im vergangenen Jahr. | |
Sein Handy klingelt. Eckhard nimmt ab. "Hey! Wo seid ihr?", fragt er. "Ich | |
hab gehört, dass da Tränengas im Einsatz ist. Passt auf euch auf!" Er | |
schaut auf einen der drei Bildschirme, die auf seinem Schreibtisch stehen. | |
Auf einem läuft ein Liveticker, die neuesten Nachrichten und Gerüchte aus | |
dem Castor-Gebiet. Um 14.28 Uhr meldet [2][Castorticker.de]: "Sieben | |
Polizeihubschrauber haben Sonderkräfte der Polizei bei Harlingen | |
abgesetzt." | |
Auf dem zweiten Bildschirm flimmert Castor-TV. Gerade laufen Livebilder aus | |
dem Protestcamp Hitzacker: grauer Himmel, ein Wohnwagen, Rasen und ein | |
Mensch in Regenjacke. Wenn Castor-TV Aktivisten beim Schottern zeigt, dann | |
schaltet Eckhard einen Verfremdungsfilter ein. Die Aktivisten sind dann nur | |
noch ein paar Pixel und kaum zu erkennen. Sein Handy klingelt, es gibt | |
technische Probleme. "Hallo! Ja … Die Bilder kommen mit Verzögerung", sagt | |
er. "Zieht eure Signalwesten an!" Eckhard will, dass seine Leute als | |
Journalisten erkannt werden. | |
## Anti-Atom-Piraten | |
Wenn der Castor rollt, dann dirigiert Eckhard die Kamerateams, die im | |
Einsatz sind. Viele von ihnen filmen mit ihrem Handy und einer kostenlosen | |
App. Eckhard lotst sie durch die Wälder. Dorthin, wo etwas passiert. | |
"Unsere Glanzstunden haben wir, wenn der Castor auf der Straße ist", sagt | |
er. Auf der Straße gibt es die größeren Blockaden, es passiert mehr, was | |
sich filmen lässt. Noch ist der Transport auf den Schienen. Doch er nähert | |
sich dem Verladebahnhof. Um 15.07 Uhr meldet Castorticker.de: "Die Polizei | |
hat den Kreisverkehr bei Streetz abgeriegelt, nur noch Menschen, die zur | |
Großdemonstration wollen, werden durchgelassen." | |
Sebastian ist im Camp angekommen. Er setzt sich auf einen Ledersessel. | |
"Erkläre gerade zusammen mit @AntiAtomPiraten der TAZ wie wir neue Medien | |
im Einsatz gegen den #Castor nutzen", twittert er. Die "Anti-Atom-Piraten", | |
ein Dutzend Atomkraft-Kritiker aus der Piratenpartei, haben eine | |
Autowerkstatt in Dannenberg angemietet und mit Feldbetten ausgestattet. | |
Ganz nah am Bahnhof, an dem der Castor auf die Straße umgeladen wird. Sie | |
sind die Neuen im Anti-Atom-Protest. Auch sie gehören zu den Technikern und | |
Netzwerkern, den anderen. Gestern seien einige Grüne vorbeigekommen und | |
hätten nach Internet gefragt, erzählt man hier. Belustigung und Triumph | |
schwingen in ihren Worten mit. Und ja: Es gibt Internet. | |
Auf den Tischen stehen Netbooks. Ein Beamer projiziert die Meldungen des | |
Castortickers an die Wand. "Auf dem Parkplatz von McDonalds in Lüneburg | |
sind 50 Leute in einem Polizeikessel eingeschlossen", meldet der Ticker um | |
18.34 Uhr. Sebastian liest die Meldung. Er lacht. Dann packt er den Router | |
ein und geht. Zurück auf die Schienen, mit W-LAN. | |
28 Nov 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://castortv.de/ | |
[2] http://castorticker.de/ | |
## AUTOREN | |
Felix Dachsel | |
Felix Dachsel | |
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