# taz.de -- Raubprozess gegen Profifußballer: Koksen, kicken, Kiez abziehen | |
> Eine Bande überfällt in Berlin mehrere Spielkasinos. Mit im Team sind | |
> zwei Profifußballer. Der eine, Guido Kocer, kickt jetzt beim FC | |
> Erzgebirge Aue. | |
Bild: Ein netter Kerl, der verführt worden ist? Profi-Fußballer Guido Kocer v… | |
Fünfmal hat die "Machetenbande" schon zugeschlagen. Am 8. April dieses | |
Jahres plant sie die nächste Tat. Mit von der Partie sind zwei | |
Profifußballer des SV Babelsberg: Süleyman Koc (22) und Guido Kocer (23). | |
Sie müssen sich seit dem 15. November vorm Berliner Strafgericht für ihre | |
Taten verantworten. Heute beginnt der dritte Verhandlungstag in dem Fall | |
(Aktenzeichen 265 Js 731/11). Alle sieben Angeklagten sind geständig. Sie | |
berichten ausführlich von den Raubzügen in ihrem Kiez. Es ist eine | |
Geschichte über kokainsüchtige Tunichtgute - und zwei einfältige | |
Fußballprofis. | |
Die Kicker sind befreundet, sie spielen zusammen im Mittelfeld des | |
Potsdamer Drittligaklubs. Oft hängen sie, der "Sülo" und der Guido, in der | |
Wohnung von Koc ab. Alles läuft gut, wären da nicht Sülos Mitbewohner. Die | |
Anführer der Bande, Tolga B. und Semih T., haben sich bei ihm einquartiert. | |
Beide haben Probleme mit ihren Familien, kein Geld und keine eigene | |
Unterkunft. | |
Süleyman Koc nimmt seine Kumpels aus Berlin-Moabit bei sich in Potsdam auf. | |
Das versteht sich "unter Brüdern" von selbst, "Moabit ist ja ne kleine | |
Gegend", sagt er. Koc ist mit Tolga B. aufgewachsen, auch Semih T. kennt er | |
gut. So gerät der Fußballer, der im Monat mehr als 5.000 Euro mit Fußball | |
verdient, in den Sog seiner kiffenden und koksenden Freunde. | |
## "Du fährst ja nur" | |
Koc Kumpels brauchen Geld. Schnelles Geld. Ein Gramm Koks kostet nach | |
Angaben der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen etwa 70 Euro. Das | |
Duo der Anstifter braucht bis zu 5 Gramm am Tag: 350 Euro. | |
Koc, der "nicht nein sagen" kann, wird zum Fahrer und Auskundschafter der | |
Tatorte gemacht. Er ist der Einzige, der ein Auto besitzt, einen | |
japanischen Kleinwagen. Man macht ihm weis, dass er nichts Schlimmes tue, | |
"du fährst ja nur". Geld will er nicht. Sein Anteil geht direkt an seinen | |
Bruder, der zum Zeitpunkt der Taten eine Bewährungsstrafe absitzt. | |
Der Bruder, der in drei Fällen des Raubes angeklagt ist, sagt am zweiten | |
Verhandlungstag zu Richter Uwe Nötzel: "Sülos Akte war bis dahin rein, er | |
hatte nicht mal einen Kaugummi geklaut oder so." Man müsse ihn einer | |
"Gehirnwäsche" unterzogen haben. | |
Diese Art der Manipulation war bei Guido Kocer, dem talentierten Kicker, | |
nicht notwendig. "Nehmt mich doch mal mit", bittet Kocer. Der Profi, der | |
genug Geld hat, scheint fasziniert zu sein von den Raubzügen, den | |
Drohgebärden mit Dolch und Machete. Koc' Mitbewohner hatten immer wieder | |
mit ihren Taten geprahlt: Zum Beispiel wie sie dem Angestellten eines | |
Spielkasinos einen Aschenbecher über den Schädel gezogen haben und wie dumm | |
die Polizei sei, die ihnen nicht auf die Schliche komme. | |
"Es war ein Abenteuer", sagt Guido Kocer. "Ich wollte nicht als Idiot | |
dastehen und habe gesagt, okay, ich mache mit. Oder sagen wir so: Ich war | |
nicht abgeneigt." | |
Also ziehen sie an jenem 8. April los. Von Potsdam aus fahren sie in Koc' | |
Auto nach Berlin. Tolga B. und Semih T. haben wie immer vor den Überfällen | |
Whiskey - Jack Daniels, ihre Lieblingsmarke - getrunken und kräftig | |
gekokst. Die Droge sei wie geschaffen für sie gewesen, berichtet Tolga B., | |
"sie hat uns glücklich gemacht." Hauptsächlich dafür hätten sie "die Sachen | |
durchgezogen". In dem Gefühl, unschlagbar zu sein, stürmen sie die Läden. | |
In dieser Nacht halten sie wieder vor einem Spielkasino. Die Fußballer | |
gehen hinein. Doch weil drinnen ein "kräftiger Südländer" Dienst schiebt, | |
verdrücken sie sich wieder. Kocer erinnert sich, ein "komisches Gefühl" | |
gehabt zu haben. "Ich bin rausgegangen, weil ich ein bisschen das Zittern | |
hatte", gibt Koc zu. Die Gang sucht nach einem passenderen Ort, nur zwei | |
Straßen weiter finden sie ihn: das Casino 77. Wieder gehen die | |
Fußballprofis gemeinsam hinein. Gegen 6.50 Uhr verlässt Koc den Laden. | |
Eine knappe Stunde später gibt Gangster-Neuling Kocer das Okay für den | |
Überfall. Maskierte stürmen herein. Guido Kocer, der nur zu gut weiß, wer | |
unter den Masken steckt, bekommt es trotzdem mit der Angst zu tun, flieht | |
"in Panik" aufs Klo und schließt sich ein. Erst nach zehn Minuten kommt er | |
heraus, kümmert sich um eine Angestellte. Er verbleibt am Tatort, ruft | |
seinen Babelsberger Mitspieler an. Beide werden von der Polizei als Zeugen | |
vernommen. | |
## Erzgebirge Aue unterstüzt Kocer | |
Stunden später gehen sie zum Training in Babelsberg. Als Zaungäste finden | |
sich Semih T. und Tolga B. ein. Sie machen sich lustig über Kocer, nennen | |
ihn einen "Angsthasen" und "Schisser", weil er sich im Klo versteckt hielt. | |
Sie drohen laut Polizeiprotokoll damit, Kocer die Beine abzuschneiden, wenn | |
er nicht dichthalte. Er müsse jederzeit mit Vergeltung rechnen, denn sie | |
hätten einflussreiche Freunde in Moabit. | |
Diese Aussage widerruft Kocer vor Gericht; "Semih und der mit den | |
Segelohren" hätten das so nicht gesagt. Der Schisser wiederum fühlt sich | |
"verarscht", weil er keinen Anteil an der Beute erhalten hat. Sülo, der | |
nicht nein sagen kann, regelt die Sache. Er gibt Kocer 90 Euro aus eigener | |
Tasche. | |
Nur einen Raubzug später ist es vorbei. Die Bande wird festgenommen. Koc | |
sitzt seit April in Untersuchungshaft. Ihm droht eine Haftstrafe, an | |
Fußball ist erst mal nicht zu denken. Kocer darf derweil weiter Fußball | |
spielen. Er ist im vergangenen Sommer zum FC Erzgebirge Aue gewechselt. Es | |
ist ein sportlicher Aufstieg, denn die Sachsen spielen in der zweiten Liga. | |
Aktuell liegen sie auf Platz zehn der Tabelle. | |
Zum Zeitpunkt des Transfers ahnen die Verantwortlichen in Aue nichts vom | |
Abenteurertum des Guido Kocer. Als durchsickert, dass er an einem Raubzug | |
der "Machetenbande" beteiligt gewesen ist, sind sich die Auer Funktionäre | |
uneins. Am Ende entscheidet man sich jedoch, Kocer beizustehen. Man wolle | |
es halten wie der FC Bayern München mit Franck Ribéry, der mit einer | |
minderjährigen Prostituierten verkehrt haben soll. | |
"Wir unterstützen Guido Kocer, wir unterstützen die Justiz", sagt der Auer | |
Pressesprecher Peter Höhne. Doch um sicherzugehen, dass Kocer nichts Dummes | |
mehr anstellt, denken sie sich beim FC Erzgebirge ein paar | |
Bewährungsauflagen für den Delinquenten aus. Der Profi kommt bei einer | |
Gastfamilie unter, seine alten Telefonnummern werden gelöscht. Jede | |
Kontaktaufnahme mit dem alten Milieu muss Kocer melden. Günter Boroczinski | |
kümmert sich um den Kicker "rund um die Uhr. Er hat sein soziales Biotop in | |
Aue gefunden", behauptet der Teammanager. | |
## Eine Hirnzelle ist viel | |
Die Sonderbetreuung scheint vonnöten zu sein, denn Kocer ist schon einmal | |
negativ aufgefallen. Im Frühjahr 2009 wird er fristlos vom FC Hansa Rostock | |
entlassen. Der frisch gebackene U21-Nationalspieler der Türkei hat | |
Sportkleidung, die er bei den Hansa-Profis kostenlos bekommen hat, gegen | |
Bezahlung an die Kollegen vom Amateurteam verkauft. Außerdem hat er sich | |
abfällig über den Klub geäußert. Noch heute spricht man in Rostock wenig | |
respektvoll von Kocer: "Wenn er eine Hirnzelle hat, dann hat er schon | |
viel", heißt es. | |
In Aue hält man ihn dagegen für einen netten jungen Kerl, der verführt | |
worden ist. Man rechnet mit einer Bewährungsstrafe. Guido Kocer hat sich | |
seinen Platz in der Startelf erkämpft. Der pfeilschnelle Offensivspieler | |
ist wertvoll für den FC Erzgebirge. Die Auer finden, so einer habe eine | |
zweite Chance verdient. Auf diese Chance kann Süleyman Koc nur vage hoffen. | |
Er sitzt im Knast in Moabit, umgeben von falschen Freunden. Und der | |
Profifußball - der ist ganz weit weg. | |
1 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
## TAGS | |
Haftstrafe | |
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