Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Demonstration in Moskau: "Neujahr ohne Putin"
> Rund 50.000 demonstrierten in Moskau gegen die Wahlfälschungen. Protest
> gab es auch in anderen Städten Russlands. Die Opposition spricht von
> einem "Moment des Umbruchs".
Bild: "Keine Stimme" steht auf dem Pflaster, das sich diese Demonstrantin in St…
MOSKAU taz | „Unser Irrenhaus wählt Putin“ sang die Band Rafbak und stimmte
am Samstagnachmittag die frierende Menge auf die Demonstration ein. Mit der
Irrenanstalt war nicht etwa Russland gemeint, sondern tatsächlich ein
psychiatrisches Krankenhaus in Moskau. Nach Auszählung der Stimmen im
Anstalts-Wahllokal stand die Kreml-Partei Einiges Russland mit stolzen 99
Prozent da. Seit dem letzten Wahlsonntag und dem gezinkten Sieg der
Putin-Partei blüht die Satire.
Mindestens 50.000 Demonstranten waren auf den Bolotnaja-Platz im Moskauer
Zentrum gekommen, um gegen den Wahlbetrug zu demonstrieren. Boloto bedeutet
Sumpf auf Deutsch. Einen passenderen Ort hätten Moskaus Behörden für die
Protestaktion nicht finden können. Allerdings reichte die
Versammlungsstätte nicht für den Andrang der Massen.
35 000 waren zunächst erwartet worden. Auf den Brücken über einen
Ableitungskanal drängten sich nochmals Tausende Zaungäste. Über einer
Brücke spannte sich ein riesiges Spruchband. „Diebe, gebt uns unsere Wahlen
zurück“ stand darauf.
Wie schon auf der ersten Kundgebung am Montag waren sehr viele junge Leute
gekommen. Für viele war es der erste Protest ihres Lebens. Nur die Schüler
der Abschlussklassen fehlten. Die Schulbehörde hatte eilends eine
Russisch-Prüfung für Samstag angesetzt. Die Demonstration dürfte als die
bisher größte der Putin-Ära in die Annalen eingehen. „Es ist ein Moment des
Umbruchs“, meint der Vorsitzende der demokratischen Partei „Jabloko“,
Sergei Mitrochin.
Er fühlt sich erinnert an die Demonstrationen nach dem Putsch gegen
Gorbatschew 1991, der das Ende der Sowjetunion besiegelte. „Damals
befreiten wir uns vom alten System, und heute wieder“, lacht Mitrochin. Es
ist kalt und windig, dicke nasse Schneeflocken fallen. Eigentlich Zeit,
einen Tee trinken zu gehen. Die Menge harrt aus. Einige tragen ein weißes
Band, das Symbol der neuen Anti-Fälscher-Bewegung. „In meinem Umfeld hat
niemand für die Partei gestimmt, und dann diese Ergebnisse, da erwacht das
Gewissen“, sagt Demonstrant Wladislaw.
Die Redner auf der Bühne sind bekannte Oppositionelle wie der
Ex-Vizepremier Boris Nemzow und die Ökoaktivistin Jewgenija Tschirikowa,
aber auch viele neue Gesichter haben sich dazugesellt. Darunter schmucke
Herren und aufgetakelte Damen. Die Welt des Glamour orientiert sich um.
Als der Journalist Oleg Kaschin eine Nachricht des Star-Bloggers Alexei
Nawalny verliest, klatscht die Menge begeistert: „Für seine Rechte zu
kämpfen, tut gut und ist nicht schwer. Eure Waffe ist eure Würde“, teilt
der charismatische Volkstribun der virtuellen Welt seiner Anhängerschaft
mit. Er selbst ist verhindert. Nach der Montagsdemonstration wurde er von
einem Schnellgericht zu 15 Tagen Haft verurteilt.
Nawalny war vorher schon ein Held. Er deckte Korruptionsskandale der Elite
in Milliardenhöhe auf. Seine Anhängerschaft, die Internetgeneration, ist
besonders kreativ. „Wir trauen Gauß - nicht Tschurow“ steht auf einem
Plakat. Wladimir Tschurow ist Leiter der Zentralen Wahlkommission und ein
alter Freund Putins. Der Mathematiker Gauß entdeckte hingegen die
statistische Normalverteilung, die unachtsame Fälscher nicht
berücksichtigten.
##
„Neujahr ohne Putin“ skandiert die Menge immer wieder. Als ein Redner sich
bei der Polizei für korrektes Verhalten bedankt und die Parole „die Polizei
ist mit dem Volk“ ausgibt, bekommt er lauten Beifall. Sie hätten sich schon
wie Ordnungshüter in demokratischen Staaten verhalten, loben die
Veranstalter. 50.000 Polizisten waren im Einsatz und 2000 Soldaten des
Innenministeriums.
Meldungen von Demos in anderen russischen Städten - zwischen Ostsee und
Pazifik sollen es mehr als 70 gewesen sein – nimmt die Menge mit lautem
Hallo auf. Nicht überall verliefern die Demos so friedlich wie in Moskau.
Gegen Ende verabschiedet die Menge eine Resolution, deren zentrale
Forderungen Neuwahlen und die Freilassung aller politischen Gefangenen
sind. „Das ist erst der Anfang, es wird ein schwieriger Weg“, bläut eine
bekannte Journalistin der Menge zum Schluss nochmal ein, und der
Oppositionelle Wladimir Ryschkow ruft zur nächsten Demonstration am 24.
Dezember auf. Bis dahin sollte der Kreml auf die Forderungen reagiert
haben.
Die Staatspartei „Geeintes Russland“ gab sich zunächst unbeeindruckt: Für
eine Millionenmetropole wie Moskau seien 50.000 Demonstranten nicht viel.
Aber wer gibt es schon gerne zu, dass er die Hosen voll hat.
Am Ausgang verabschiedet die Demonstranten noch ein Transparent: „Sie haben
Putin zweimal gewählt, beim dritten Mal kriegen Sie ihn ohne Wahl.“
11 Dec 2011
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Russland
## ARTIKEL ZUM THEMA
25 Jahre Putsch in Moskau: Kaviar als Notration
1991 verteidigten die Moskauer ihre neuen Freiheiten gegen Hardliner des
Sowjetsystems. Der imperiale Erbe der Putschisten ist heute Präsident.
Opposition in Russland: Blogger will Partei gründen
Der russische oppositionelle Blogger Alexej Nawalny will offenbar eine
eigene Partei gründen. Auch eine Kandidatur für das Präsidentenamt könne er
sich vorstellen.
Fragestunde mit Russlands Regierungschef: Zar Putin ganz im alten Stil
Beim jährlichen Zwiegespräch mit seinem Volk vor handverlesenem Publikum
erfindet sich Wladimir Putin nicht neu. Im Gegenteil: Er hantiert mit
Verschwörungstheorien.
Demonstrationen in Russland: Wladimir Putins letztes Aufgebot
Die Gegenoffensive des Kreml in Form einer Jubelkundgebung für die
Regierung in Moskau geht in die Hose. Denn viele junge Leute hatten keine
Wahl. Sie mussten teilnehmen.
Proteste in Russland: Wahlwiederholung abgelehnt
Die russische Parlamentswahl soll zwar überprüft werden, doch das
Wahlergebnis werde nicht geändert, kündigt der Kreml an. Die Opposition
bereitet neue Demonstrationen vor.
Blogger Alexei Nawalny: Die neue Kultfigur der Opposition
Er ist der unerschrockene Herausforderer des Kremls. Alexei Nawalny
prangert im Netz die Korruption in Putins Reich an. Auch wenn er dafür ins
Gefängnis muss.
Opposition in Russland: Ende der Bedeutungslosigkeit
Die Marginalisierung der Kremlgegner hatte auch hausgemachte Gründe. Was
sich jetzt auf Russlands Straßen bewegt, könnte aus dem Teufelskreis
herausführen.
Kommentar Demos in Russland: So viel Opposition wie nie
Noch nie war die Opposition im postsowjetischen Russland so stark wie
heute. Doch ihr Erfolg dürfte auch ihr Ende sein. Zu groß sind die
Widersprüche zwischen den Fraktionen.
Proteste gegen Putin in Russland: Sie wollen nicht mehr schweigen
Die Polizei nimmt wahllos Passanten fest. Dennoch verabreden sich Rentner,
Junge und Studenten im Internet und demonstrieren Abend für Abend in St.
Petersburg.
Proteste in Russland: "Wer steht gern als Vollidiot da?"
Junge Menschen in Russland sind orientierungslos und meinen nichts
erreichen zu können, sagt Autorin Alissa Ganijewa. Rechte Kräfte könnten
das ausnutzen.
Demonstrationen in Russland: Clinton ist schuld
Putin macht die US-Außenministerin für die Proteste gegen die Duma-Wahl
verantwortlich. Medwedew kündigte eine Überprüfung der Betrugsvorwürfe nach
der Wahl an.
Proteste in Russland: Druck der Straße lässt nicht nach
Erneut demonstrieren in Moskau, Sankt Petersburg und in der Provinz
Tausende gegen die gefälschten Wahlen. Expräsident Gorbatschow fordert
Neuwahlen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.