# taz.de -- Cameron unter Druck wegen EU-Veto: Regierungschef in Erklärungsnot | |
> Erst brüskiert David Cameron seine EU-Partner, jetzt muss er sich vor dem | |
> heimischen Parlament erklären. Unterstützung bekommt er von den | |
> Euroskeptikern in seiner Partei. | |
Bild: Für die EU bedeutet David Camerons Veto eine Zerreißprobe. | |
LONDON dpa | Nach seinem spektakulären Nein zu einer Änderung der | |
EU-Verträge in Brüssel gerät der britische Premierminister David Cameron im | |
eigenen Land zunehmend politisch unter Druck. | |
Vor einer Erklärung Camerons im Parlament am Montagnachmittag bezeichnete | |
der Oppositionspolitiker David Miliband des Verhalten des Regierungschefs | |
als "töricht". Massive Kritik kam auch aus den Regionen: Schottlands | |
Ministerpräsident Alex Salmond warf Cameron einen "groben Fehler" vor. Sein | |
walisischer Amtskollege Carwyn Jones drückte sein Bedauern aus. | |
Der frühere britische Außenminister Miliband glaubt, Camerons Entscheidung | |
könne Großbritannien für die nächsten 20 Jahre in Europa an die Seite | |
drängen. "Die Annahme, dass wir uns in Sachen Wirtschaftspolitik oder | |
Außenpolitik etwas Gutes tun, wenn wir uns von unseren Nachbarn absetzen, | |
ist wirklich töricht", sagte Miliband dem Sender BBC Radio 4. "Es ist das | |
erste Veto in der Geschichte, das nichts stoppt." | |
Der westminster-kritische Chef der schottischen Regionalregierung, Alex | |
Salmond, war Cameron in einem offenen Brief frontal angegangen und hatte | |
ihm einen Katalog mit sechs kritischen Fragen vorgelegt. So will Salmond | |
wissen, ob Cameron irgendeine Risikoabwägung vorgenommen habe, die die | |
Folgen seines Verhaltens bewerte. | |
Salmond will zudem eine Antwort auf die Frage, warum Cameron die | |
Regionalregierungen in Edinburgh, Cardiff (Wales) und Belfast (Nordirland) | |
nicht vorab von seiner Absicht unterrichtet hatte. | |
## "Er ist zu feige" | |
Der Fraktionschef der Grünen im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, sagte, | |
Großbritannien könne nicht immer nur auf die Bremse treten. "Jetzt müsste | |
er (Cameron) konsequenterweise zulassen, dass es in Großbritannien einen | |
Volksentscheid gibt, ob das Land in der Europäischen Union bleibt oder | |
nicht. Aber das Drinbleiben und die Entwicklung der EU zu blockieren ist | |
falsch und gefährlich. Und er ist zu feige, diese Auseinandersetzung in | |
England zu führen", sagte Cohn-Bendit im rbb-Inforadio. | |
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wandte sich unterdessen gegen eine | |
Isolierung Großbritanniens. In der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" sagte | |
er: "Die Tür für Großbritannien bleibt offen." Ich hoffe, dass die Briten | |
die offene Tür durchschreiten werden. | |
EU-Währungskommissar Olli Rehn bedauerte die Entscheidung ebenfalls - nicht | |
nur wegen der Eurozone, sondern auch in Sorge um die Briten, wie er sagte. | |
Die Vize-Präsidentin der EU-Kommission, Viviane Reding, ist dagegen | |
zuversichtlich, dass Großbritannien beim neuen EU-Vertrag noch einlenkt. | |
"Aus der Erfahrung wissen wir, dass die sich immer etwas zieren und dann | |
nach einer Brücke Ausschau halten, um doch noch dabei zu sein", sagte | |
Reding dem Sender MDR INFO. "Die Briten brauchen uns mehr, als wir die | |
Briten brauchen." | |
## An den Rand gedrängt | |
Zuvor hatten die Koalitionspartner von Camerons Konservativen, die | |
britischen Liberaldemokraten, scharfe Kritik am Regierungschef geübt. | |
Vizepremier Nick Clegg sagte: "Ich fürchte, es besteht nun die Gefahr, dass | |
Großbritannien innerhalb der Europäischen Union isoliert und an den Rand | |
gedrängt wird." Führende Liberaldemokraten, darunter Wirtschaftsminister | |
Vince Cable, betonten aber am Montag, sie wollten die Koalition mit Cameron | |
fortführen. | |
Cameron hatte beim EU-Gipfel in Brüssel am frühen Freitagmorgen auf einem | |
Tauschhandel beharrt und damit beinahe die gesamte EU, vor allem aber | |
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy verärgert. Für seine Zustimmung zu | |
den geplanten Änderungen in den EU-Verträgen wollte Cameron ein britisches | |
Vetorecht bei künftigen Entscheidungen zur Finanzmarktregulierung | |
heraushandeln. Ziel Camerons ist es, die Interessen Londons als größter | |
Finanzplatz Europas zu wahren. | |
Sarkozy hat angekündigt, dass die rechtlichen Aspekte des neuen Vertrags | |
über eine Fiskalunion ohne Großbritannien zügig ausgearbeitet werden. Dies | |
solle in den nächsten 15 Tagen geschehen, sagte Sarkozy in einem auf der | |
Internetseite von Le Monde am Montag veröffentlichten Interview. | |
Der britische Politologe Anthony Glees hält angesichts des Streits sogar | |
einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union für möglich. | |
"Wenn man nach 50 Jahren europäischer Zusammenarbeit immer noch skeptisch | |
ist (...), dann ist man eigentlich nie für die Europäische Union zu | |
gewinnen", sagte der Universitätsprofessor aus Buckingham nordwestlich von | |
London im Deutschlandfunk. In der EU sei es wie in einer Ehe: "Wenn einer | |
nicht mehr will, dann ist die Ehe aus." | |
12 Dec 2011 | |
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