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# taz.de -- Wulffs TV-Interview: Der kriechende Präsident
> In einem Fernsehinterview verteidigt sich Christian Wulff gegen die
> Vorwürfe der vergangenen Wochen und sucht nach Mitleid. Von vielen
> Fehlern rückt er nicht ab.
Bild: Bundespräsident Wulff auf allen Kanälen. Nur: Was er sagte, war dürfti…
BERLIN taz | Nach anstrengenden Tagen einer Affäre, die seine
Glaubwürdigkeit beschädigt hat, fand der Bundespräsident in einem Interview
klare Worte zur eigenen Entlastung: "Ich habe zur Aufklärung beigetragen,
ich habe ein gutes Gewissen", sprach das Staatsoberhaupt ins Mikrofon, "ich
denke überhaupt nicht daran, daraus solche nahe gelegten Konsequenzen zu
ziehen, sondern mit der gleichen Glaubwürdigkeit meine Arbeit zu tun, wie
ich es als Ministerpräsident mit Schwächen und Fehlern, aber mit großem
Erfolg getan habe".
Seine eigene Affäre beendet hat mit diesen Worten Bundespräsident Johannes
Rau, das Zitat stammt aus dem Februar 2000. Rau hat dem Deutschlandradio
damals ein Interview zu seiner Flugaffäre gegeben. Anschließend wurde er in
einem zweiten Anlauf doch noch zu einem geachteten Bundespräsidenten.
Am gestrigen Mittwoch erlebte man in Berlin ein Déjà-vu: Denn auch Raus
Nach-Nachfolger Christian Wulff wählte statt einer persönlichen Erklärung
[1][den Weg über ein Interview]. Am Abend wurde es im
öffentlich-rechtlichen Fernsehen von ARD und ZDF gleichzeitig um 20.15 Uhr
ausgestrahlt - zur besten Sendezeit. Eine Viertelstunde präsidiale
Selbstrettung. Im Kreuzverhör.
## Verhältnis zu den Medien "neu ordnen"
Für Wulff war es die letzte Chance, und es wurde sein persönlicher Gang
nach Canossa. Anfang der Woche war bekanntgeworden, dass er durch einen
Anruf beim Bild-Chefredakteur Berichte über Ungereimtheiten um seinen
Hauskauf 2010 verhindern wollte. Ein Eingriff in die Pressefreiheit, der in
den vergangenen Tagen für Wulff ein verheerendes Echo in der
Öffentlichkeit, und ein gleichermaßen bedrohliches Schweigen in den eigenen
politischen Reihen zur Folge hatte.
"Der Anruf war ein schwerer Fehler", räumte Wulff im Interview ein, "der
mit Leid tut, für den ich mich entschuldige". Er habe sich eher als Opfer
gesehen. Sein Verhältnis zu den Medien müsse er nun "neu ordnen".
Wulff wirkt in dem Gespräch mit Bettina Schausten und Ulrich Deppendorf
angespannt, angefasst. Öfter verwendet er das Bild vom Innersten, dass er
nach Außen kehre. An diesem Abend sieht man keinen Bundespräsidenten
sprechen. Sondern einen wankenden Politiker, der sein Amt weiter ausüben
will.
Warum hat er den Anruf getätigt? "Das muss man auch menschlich verstehen",
sagt Wulff. Er sei im Ausland unterwegs gewesen, habe sich vor seine
Familie stellen wollen. "Dann hat man eine Schutzfunktion".
## Version eines gemäßigten Anrufs
Dennoch habe er die Berichterstattung mit dem Anruf nicht verhindern
wollen, lediglich um einen Tag verschieben. Wulff erzählt die Version eines
gemäßigten Anrufs. Warum die Beschuldigungen fielen, warum angeblich sogar
das Wort Krieg, bleibt offen.
Nach und nach muss sich Wulffden Kritikpunkten der vergangenen drei Wochen
stellen. Es sind viele Punkte, eigentlich zu viele für die knappe
Sendezeit. Doch nach dem Schuldeingeständnis beim Anruf zeigt sich ein
zweiter Wulff, der bockige, der Uneinsichtige.
Warum die Salami-Taktik bei der Aufklärung? "Wenn Sie scheibchenweise
Fragen bekommen, können Sie auch nur scheibchenweise antworten."
Und warum hat er nicht gleich klargestellt, dass auch Unternehmerfreund
Egon Geerkens in die Verhandlungen um den Hauskredit eingebunden war - und
nicht nur dessen Frau? Zunächst kein Zurückweichen. Die Zahlung lief über
das Konto von Edith Geerkens, die Zinsen habe er auch dahin gezahlt. Erst
auf Nachfrage gesteht Wulff ein, dass er schon früher die Beziehungen hätte
offenlegen sollen.
## "Man wird lebensklüger, demütiger"
Auch das folgende Darlehen der BW-Bank sei zu "ganz normalen, üblichen
Konditionen" abgeschlossen worden. Und zu seinen zahlreichen Urlauben bei
Wirtschaftsfreunden sagte Wulff: "Wenn man als Politiker keine Freunde mehr
haben darf, verändert das die Republik zum Negativen."
Und dann kam noch einmal das Wort auf Johannes Rau. Damals war Wulff einer
der ersten, der Rau während seiner Affäre kritisierte. Ob er das wieder tun
würde?
"Man wird lebensklüger, demütiger", sagte Wulff. Er könne ihn jetzt besser
verstehen.
Wulff muss viel an Rau gedacht haben, in den vergangenen Wochen. Nicht nur
an die Kritik, die er, Wulff, damals geäußert hat. Auch daran, was Rau
damals gelungen ist. Die Affäre mit einem Interview zu beenden, schließlich
kann das eigenständige Verfassungsorgan Bundespräsident nicht so einfach
abberufen werden.
Den Fall einfach auszusitzen.
4 Jan 2012
## LINKS
[1] http://tagesschau.de/inland/wulffinterview114.html
## AUTOREN
Gordon Repinski
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