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# taz.de -- Merkel und Wulff: Widerwillige Unterstützung
> Obwohl ihr das Verhalten Christian Wulffs zuwider ist, stützt die
> Kanzlerin den Präsidenten. Die Kanzlerin weiß ganz genau: Sein Scheitern
> wäre auch eine Niederlage für sie selbst.
Bild: Koalition fürs Leben: Merkel und ihr Präsident.
BERLIN taz | Angela Merkel wurde für ihre Begriffe fast überschwänglich.
Christian Wulff werde einen "wunderbaren Präsidenten" abgeben, lobte sie.
Er sei kreativ, neugierig auf Menschen und einem Wertesystem verhaftet, das
Orientierung gebe. Das war im Juni 2010, Merkel stellte Wulff gerade als
offiziellen Präsidentschaftskandidaten der Koalition im Bundestag vor. Sie
lächelte bei diesen Sätzen. Heute klingen sie, als habe ein Satiriker die
vergangenen Wochen zusammengefasst.
Merkel wird sich [1][das Interview, mit dem Wulff den großen
Befreiungsschlag versuchte,] sehr genau angeschaut haben. Sie weiß: Ein
Scheitern Wulffs wäre auch eine Niederlage für sie selbst. Denn Wulff ist
aus mehreren Gründen auch ihr Präsident.
Nachdem in den vergangenen Tagen Rücktrittsspekulationen durch Koalition
und Opposition gejagt waren und sich führende Politiker von Schwarz-Gelb in
eisiges Schweigen hüllten, ließ Merkel Vize-Regierungssprecher Georg
Streiter gestern ihre Sicht verkünden. Und der signalisierte am Vormittag
unverblümt ihre die Erwartungen. "Die Bundeskanzlerin geht davon aus, dass
er sich erklärt." Und dass er alle anstehenden Fragen beantworten werde.
Wenn nicht, ist der Subtext, kann sie ihn schnell fallen lassen.
Streiter las außerdem einen Kurzvortrag über die Pressefreiheit von seinem
Notizzettel. Wer ein herausgehobenes politisches Amt innehabe, müsse mit
Nachforschungen der Presse rechnen. Diese sei, mal ganz grundsätzlich,
"eine große Errungenschaft unserer Demokratie".
Eine Lehrstunde von Verfassungsorgan zu Verfassungsorgan. Deutlicher kann
die Kanzlerin kaum signalisieren, was sie von Wulffs Drohanrufen in der
Führungsetage des Springer-Verlags hält. Doch hinderten die Zensurversuche
Merkel nicht, Wulff erneut das Vertrauen auszusprechen.
Sie hat in den vergangenen Wochen mehrfach signalisiert, wie wichtig ihr
ist, dass Wulff bleibt. Seit Beginn der Affäre stützt sie ihn, lobte
mehrmals seine Arbeit, was an sich schon den politischen Gepflogenheiten
widerspricht. Eine Kanzlerin stellt dem Präsidenten keine Arbeitszeugnisse
aus, beteuern ihre Sprecher zwar – doch tut sie im Prinzip nichts anderes.
## Verwirrung im Kosovo
Wie weit sie in diesem Bemühen geht, zeigte sie etwa kurz vor Weihnachten,
am 19. Dezember, bei einer Reise im Kosovo. Sie stand neben Hashim Thaci,
dem Premier, und wedelte entschuldigend in seine Richtung. "Ausnahmsweise"
müsse sie kurz zur Innenpolitik übergehen. Thaci lächelte verlegen.
Eigentlich hasst Merkel solche Protokollverletzungen.
Die Gründe, warum sie trotz allem an Wulff festhält, sind vielschichtig. Da
wäre zunächst die Vorgeschichte: Im Juni 2010 konnte sie ihn gegen Joachim
Gauck, den Coup der Opposition, nur mit Mühe ins Amt bringen. Wulff
schaffte es in der Bundesversammlung erst im dritten Wahlgang.
Die Spitzen von Schwarz-Gelb wollten unbedingt einen eigenen Kandidaten
durchbringen. Merkel sah die Chance, einen parteiinternen Konkurrenten, der
immer wieder aus Hannover stichelte, wegzuloben. Außerdem, so ein weiteres
Kalkül, sollte es nach dem überraschenden Rückzug des verletzten Horst
Köhler ein Politikprofi sein, der die Logik von Parteien und die der
politischen Arena versteht.
Es liegt eine Ironie darin, dass sich Merkels Überlegungen jetzt gegen sie
wenden: Aus dem bequemen Erledigen eines Widersachers droht eine Schwächung
für sie selbst zu werden. Dem Politikprofi Wulff könnten gerade seine
Fehler aus der Ministerpräsidentenzeit zum Verhängnis werden. Und seine
Nehmerqualitäten sind inzwischen selbst Unionspolitikern peinlich.
## Habituelle Unterschiede
Ebenso interessant ist, dass Merkel durch ihre Entscheidung für Wulff eine
Gedankenwelt und einen Habitus ins höchste Amt befördert hat, die ihr fremd
ist. Merkel hat ihre Karriere in der CDU darauf gegründet, als Erste die
Konsequenz aus der Schwarzgeldaffäre zu ziehen und mit dem Übervater Helmut
Kohl zu brechen.
Sie erholt sich im Ferienhaus in Templin, schätzt Erbsensuppe und nimmt
Repräsentationspflichten eher als nötige Pflicht wahr. Es ist anzunehmen,
dass ihr Wulffs Gratisurlaube in Luxusvillen, seine Gier und (früheren)
Privatauftritte in Bild zuwider sind. Sie hat sich entschieden, diesen
Präsidenten zu behalten – vorerst.
5 Jan 2012
## LINKS
[1] /Wulffs-TV-Interview/!84984/
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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