# taz.de -- Wulffs Anruf auf Diekmanns Mailbox: Voicemail zum Schafott | |
> Die Schlacht zwischen der "Bild"-Zeitung und Christian Wulff um dessen | |
> Anruf beim Bild-Chefredakteur eskaliert. Wulff will den Wortlaut geheim | |
> halten. Doch "Bild" spielt ein doppeltes Spiel. | |
Bild: Da stimmte die Chemie noch: Wulff und Diekmann auf dem "Bild"-Sommerfest … | |
BERLIN taz | Die offene Schlacht beginnt Donnerstag mit einem Fax, das | |
Bild-Chefredakteur Kai Diekmann an den Bundespräsidenten schickt. "Mit | |
Verwunderung haben wir gestern Ihre Aussage zur Kenntnis genommen", | |
schreibt Diekmann am Morgen nach Christian Wulffs denkwürdigem | |
Fernsehauftritt, "bei Ihrem Anruf auf meiner Mailbox sei es nicht darum | |
gegangen, Berichterstattung zu Ihrem Hauskredit zu verhindern, sondern | |
diese lediglich zu verschieben". Und weil man ja Missverständnisse | |
verhindern wolle, "halten wir es für notwendig, den Wortlaut Ihrer | |
Nachricht zu veröffentlichen". | |
Es ist eine einzigartige Kampfansage an den Bundespräsidenten. Bild, Kai | |
Diekmann, die Freunde von früher, die Christian Wulff über Jahre hofiert | |
haben, wollen den Bundespräsidenten erledigen. Eine solche Konfrontation | |
zwischen einem Medium und dem Verfassungsorgan hat es in der deutschen | |
Geschichte noch nicht gegeben. | |
Der erhoffte Befreiungsschlag für Wulff verkehrt sich damit ins Gegenteil. | |
Am Vortag hatte sich ein reuiger Präsident im Fernsehen den Fragen von ARD | |
und ZDF gestellt. Wulff entschuldigte sich für den "schweren Fehler" des | |
Anrufs bei Diekmann, durch den Beobachter die Pressefreiheit gefährdet | |
sahen. | |
Doch Wulff sagte auch einen folgenschweren Satz über die geplante | |
Berichterstattung der Bild-Zeitung: "Ich habe nicht versucht, sie zu | |
verhindern. Ich habe darum gebeten, einen Tag abzuwarten." | |
## Startschuss für den Showdown | |
Das war der Startschuss für einen irrwitzigen Showdown: Noch am selben | |
Abend meldete sich Bild-Politikchef Nikolaus Blome im Deutschlandfunk zu | |
Wort, widersprach Wulff: "Es war ein Anruf, der ganz klar das Ziel hatte, | |
diese Berichterstattung zu unterbinden." Damit an dieser Version kein | |
Zweifel besteht, legte Bild am Donnerstagmorgen mit dem Fax ans | |
Bundespräsidialamt nach. | |
Angehängt war eine Mail aus der Redaktion an Wulffs damaligen Sprecher Olaf | |
Glaeseker. Aus der geht pikanterweise hervor, dass die Zeitung auf Bitten | |
des Bundespräsidialamts bereits einen Tag mit der Veröffentlichung gewartet | |
hatte. | |
Am Vormittag macht Bild die Attacke öffentlich: Das Blatt stellt das | |
Schreiben auf die eigene Website und verweist auf die Transparenz, die der | |
Bundespräsident am Vorabend angekündigt hatte. Und Wulff? Er schweigt zu | |
der offenen Herausforderung. Zunächst. In der Pressestelle des | |
Bundespräsidialamts werden bis zum Nachmittag Anrufe nicht entgegengenommen | |
oder weggedrückt. Die Mitarbeiter wollen nichts sagen. Mit Hochdruck | |
bereiten sie die Reaktion auf den Frontalangriff aus dem Hause Springer | |
vor. | |
Selbst die Opposition ist unsicher, wie sie mit dieser historischen | |
Eskalation umgehen soll. SPD, Grüne und Linkspartei suchen intern nach | |
einer Linie, keiner weiß, ob und wie Wulff reagiert. "Ein bizarres | |
Spektakel" nennt Grünen-Chefin Claudia Roth mittags die Show. Mehr will sie | |
nicht sagen. | |
Ebenfalls gegen Mittag schickt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas | |
Oppermann seine Bewertung herum. "Die Affäre ist nicht ausgestanden. Wollte | |
Bundespräsident Wulff die Veröffentlichungen verhindern oder nur | |
verschieben?", fragt er. Diese Fragen seien nach wie vor nicht geklärt. | |
## Merkel empfängt derweil Kinder | |
Während sich diverse Spitzenleute der schwarz-gelben Koalition kurz nach | |
seinem Interview vor Wulff stellen, herrscht jetzt wieder betretenes | |
Schweigen. Kanzlerin Angela Merkel empfängt als Könige und Sternsinger | |
verkleidete Kinder, eine Stellungnahme sei nicht geplant, heißt es. | |
Am Nachmittag geht es dann Schlag auf Schlag. Um 15.15 Uhr läuft eine | |
Eilmeldung über die Nachrichtenagenturen. Dpa meldet unter Berufung auf | |
informierte Kreise: "Wulff lehnt die Veröffentlichung des umstrittenen | |
Telefonanrufs bei Bild-Chefredakteur Kai Diekmann ab." Elf Minuten später | |
bestätigt das das Bundespräsidialamt. | |
Es schickt Wulffs Antwortschreiben an Diekmann an die Redaktionen: Er | |
wiederholt fast wortgleich Sätze vom Vortag, betont, er habe sich für den | |
Anruf entschuldigt und Diekmann habe dies "dankenswerterweise" angenommen. | |
"Damit war die Sache zwischen uns erledigt." Und er beschreibt seine | |
Version der Forderung nach einem Aufschub. | |
Sein Sprecher habe den Redakteur um eine Verschiebung der Frist gebeten, um | |
die Fragen zum Eigenheimkredit zu beantworten. Dieser habe jedoch nur eine | |
Verlängerung bis zum Nachmittag des Montags, 12. Dezember, zugesagt. "Es | |
gab für mich keinen ersichtlichen Grund, warum die Bild-Zeitung nicht noch | |
einen Tag warten konnte, wo die erfragten Vorgänge schon Jahre, zum Teil | |
Jahrzehnte zurückliegen." | |
Wulff geht volles Risiko - und kämpft weiter mit aller Macht um sein Amt. | |
## Hängt Wulffs Schiksal von einer Voicemail ab? | |
Es ist eine absurde Situation. Jetzt könnte sein Rücktritt von dem Wortlaut | |
der Mailbox-Nachricht abhängen. Wulff zieht in seinem Brief bereits eine | |
Verteidigungslinie ein. "Das habe ich", schreibt er weiter, "nach meiner | |
Erinnerung auf der Mailbox-Nachricht trotz meiner emotionalen Erregung auch | |
zum Ausdruck gebracht." Nach seiner Erinnerung. Bild weiß, was Wulff sagte | |
- er nicht. Niemals hatte ein Medium eine größere Macht über den | |
Präsidenten als Bild. | |
Gleichzeitig fährt Wulff eine scharfe Gegenattacke: Ihn erstaune, dass | |
Teile seiner Nachricht "über andere Presseorgane den Weg in die | |
Öffentlichkeit gefunden haben". Diekmann, lautet seine Botschaft, spielt | |
über Bande und instrumentalisiert andere Medien für seine Zwecke. | |
In Kreisen der Unionsfraktion heißt es, es hänge alles davon ab, was Wulff | |
genau gesagt habe. "Wenn er nur einen Aufschub gefordert hat, ist er | |
gerettet. Wenn er die Berichte komplett verhindern wollte, muss er gehen." | |
## "Wasserpistole gegen Colt" | |
Der Medienberater Michael Spreng weiß, wie sich politische Affären | |
entwickeln. Für ihn ist die Causa einzigartig: "Wir erleben einen echten | |
Western-Showdown. Dabei heißt das Duell aber Wasserpistole gegen scharf | |
geladenen Colt." Spreng, Exchef der Bild am Sonntag, kritisiert Diekmanns | |
Vorgehen. "Die Veröffentlichung der Mailbox-Nachricht ist grenzwertig, denn | |
derartige Gespräche sind vertraulich." | |
Daran sei Wulff jedoch nicht schuldlos, schließlich habe er im TV-Interview | |
betont, dass er nur Aufschub der Veröffentlichung der Geschichte erbeten | |
habe, nicht aber das Vorhaben unterbinden wollte. "Wulff hat die | |
Veröffentlichung mit dem Fernsehauftritt provoziert." | |
Der genaue Wortlaut der Mailbox-Nachricht wird im politischen Berlin hinter | |
vorgehaltener Hand weitererzählt. Aus dem Springer-Hochhaus dringen | |
Gerüchte. So war nach taz-Informationen Wulffs Wortwahl deftig. Wenn Bild | |
Krieg führen wolle, könne sie ihn haben, soll Wulff gesagt haben. Aber sie | |
solle warten, bis er zurückkomme, damit sie entscheiden könnten, wie der | |
Krieg geführt werden solle. Er soll mit einem Strafantrag und einer eigenen | |
Pressekonferenz mit seiner Frau gedroht haben. | |
Am späten Nachmittag schickt Diekmann einen Springer-Sprecher vor. Er gibt | |
bekannt: "Bild veröffentlicht den Wortlaut nicht." Die Redaktion bedauere | |
das – so könne der von Wulff versprochenen Transparenz nicht genügt werden. | |
Mit dem Schachzug beweist die Bild-Spitze erneut, wie perfekt sie den | |
medialen Zirkus beherrscht: Wieder steht Wulff als Aufklärungsverhinderer | |
da, Bild als seriöse Zeitung, die seine Privatsphäre und sein Wort | |
respektiert. | |
## "Bild" kämpft mit allen Tricks | |
Dabei kämpfen Diekmann und seine Redaktionsspitze schon lange mit allen | |
Tricks, um ihren Spin der Geschichte durchzusetzen. Seit Tagen, erfuhr die | |
taz aus anderen Medien, streut die Bild-Spitze Sätze von der Mailbox an | |
andere Zeitungen. In der Hoffnung, dass andere die Schmutzarbeit erledigen? | |
Wie gelangten die ersten Infos an FAZ und Süddeutsche Zeitung? Hat ein | |
unbedarfter Bild-Redakteur einfach getratscht, oder steckt Strategie | |
dahinter? | |
Diekmann wollte sich dazu auf taz-Anfrage offiziell nicht äußern. Das ist | |
das Schmutzig-Perfide an dieser Geschichte: Bild ist bei der Jagd auf Wulff | |
längst nicht mehr neutrales Medium, sondern selbst zum politischen Akteur | |
geworden. Eine Situation, die Christian Wulff mehr und mehr entgleitet. | |
5 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
S. Grimberg | |
G. Repinski | |
U. Schulte | |
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