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# taz.de -- Streit um afghanisches US-Militärgefängnis: Karsai will Kontrolle…
> Präsident Karsai zettelt überraschend einen Streit mit den USA an. Die
> Vorwürfe: "Vergehen gegen Verfassung und Menschenrechte" im neuen
> Gefängnis von Bagram.
Bild: Einmal und nie wieder durfte die Presse Bagram besichtigen. Das war vor d…
BERLIN taz | Der afghanische Präsident Hamid Karsai hat die USA mit der
Forderung überrascht, das vom US-Militär an seinem größten afghanischen
Stützpunkt Bagram betriebene Gefängnis innerhalb eines Monats an die
Regierung in Kabul zu übergeben.
Als Begründung sagte Karsai am Donnerstag, der Bericht einer von ihm
eingesetzten Kommission nenne "Details vieler Fälle von Verstößen gegen die
afghanische Verfassung und andere Gesetze des Landes, der relevanten
internationalen Konventionen und Menschenrechte".
Einzelheiten nannte der Präsident nicht. Die Gefangenen sollten
afghanischer Kontrolle unterstellt werden, "um weitere Verletzungen der
afghanischen Souveränität zu vermeiden", so Karsai. Ob Afghanistan
überhaupt zu einem sicheren Betrieb des Gefängnisses in der Lage ist blieb
offen.
Die US-Botschaft in Kabul kannte laut US-Medienberichten bis dahin den von
Karsai zitierten Bericht überhaupt nicht und war auch vorher dazu nicht
kontaktiert worden. Die Regierungen in Washington und Kabul hatten sich
eigentlich im Grundsatz längst auf die Übergabe aller vom US-Militär im
Afghanistan betriebenen Gefängnisse geeinigt.
## Bis zu 3.000 Gefangene in Bagram
Das galt auch für das Gefängnis Bagram, das Ende 2001 60 Kilometer nördlich
von Kabul eingerichtet wurde und bis heute für keine unabhängigen
Beobachterzugänglich ist außer vom Internationalen Roten Kreuz (IKRK).
Auch die Kommissionsmitglieder dürften keinen Zugang erhalten haben. Die
Zahl der Gefangenen in Bagram wird auf 2.000 bis 3.000 geschätzt,
ausschließlich Männer, bewacht und betreut von 1.200 US-Soldaten.
Im November 2009 wurde das Gefängnis mit der Inbetriebnahme eines 60
Millionen US-Dollar teuren modernen Neubaus in "Gefangeneneinrichtung in
Parwan" nach der gleichnamigen Provinz umbenannt. Dann sollte es eigentlich
in 2012 übergeben werden.
Doch weil die Ausbildung von afghanischem Personal nicht nachkommt, in
afghanischen Gefängnissen gefoltert wird und sich wohl auch beide Seiten
immer mehr misstrauen, wurde der Termin auf unbestimmte Zeit verschoben.
## Das Militär konzentriert die wichtigsten Gefangenen in Bagram
Im vergangenen Sommer stoppten die USA auch die Übergabe Gefangener an
afghanische Stellen, nachdem die UN mehrere Fälle der Folter von Gefangenen
in afghanischem Gewahrsam nachwiesen.
Seitdem konzentriert das US-Militär seine wichtigsten Gefangenen aus
Afghanistan in Bagram. Und wahrscheinlich betreiben US-Spezialkräfte oder
Militärgeheimdienste auf dem gleichnamigen angrenzenden US-Stützpunkt noch
ein als Verhörzentrum bezeichnetes "schwarzes Gefängnis". Zu dem haben,
anders als zum offiziellen Gefängnis, Vertreter des IKRK keinen Zugang.
Auffällig an Karsais Forderung ist der Zeitpunkt. Gerade erst hatte er
widerstrebend einer Einigung zwischen den USA und den Taliban über ein
Verbindungsbüro der Aufständischen im Golfemirat Katar zugestimmt.
Kurz vorher hatte er noch wütend den afghanischen Botschafter aus der
katarischen Hauptstadt Doha zurückgerufen, weil er seine Regierung in den
Geheimverhandlungen nicht genügend berücksichtigt sah.
## Affront der Taliban gegenüber Karsai
Am Dienstag bestätigten die Taliban dann erstmals die Verhandlungen mit den
USA - und erwähnten in ihrem Statement die afghanische Regierung mit keinem
Wort.
Karsais Vorstoß, plötzlich beim Gefängnis Bagram auf Herstellung der
afghanischen Souveränität zu bestehen, ist offenbar ein Versuch, den Ruf
seiner Regierung in Souveränitätsfragen aufzupolieren und auf bekannte
frühere und mutmaßliche heutige Rechtsverstöße der USA hinzuweisen.
Karsai ist noch in einem anderen Punkt unter Druck. Zurzeit verhandeln
Kabul und Washington über ein umstrittenes strategisches
Partnerschaftsabkommen, das die Rolle des US-Militärs in Afghanistan nach
2014 und damit nach dem geplanten Abzug der meisten US-Truppen regeln soll.
Streitpunkte sind die Kontrolle über Gefangene und ein von Kabul
gewünschtes Verbot nächtlicher Razzien.
Der Stützpunkt Bagram am nordöstlichen Rand der Schomali-Ebene war einst
die Drehscheibe des sowjetischen Militärs in Afghanistan gewesen und ist es
seit 2001 für die USA. Ursprünglich war das Gefängnis in einem Hangar
eingerichtet gewesen. 2002 waren hier zwei Gefangene zu Tode gefoltert
worden.
## Menschenrechtler haben zahlreiche Misshandlungen Freigelassener
dokumentiert
Menschenrechtsorganisationen, die zahlreiche Mißhandlungen von Gefangenen
nach deren Freilassung dokumentiert haben, vermuten weitere Fälle von
Totschlag. Bagram diente den USA auch als Drehscheibe für
Gefangenentransporte nach Guantánamo wie umgekehrt auch bis mindestens 2010
aus dem Ausland Gefangene eingeflogen wurden, um sie zu verhören.
Heute überprüfen Militärkommissionen alle sechs Monate den Status der
Gefangenen, doch bleiben diesen anders als Gefangenen in Guantánamo
jegliche Kontakte zu ihren Anwälten wie Klagemöglichkeiten vor US-Gerichten
verwehrt. Menschenrechtler, für die Bagram "ein schwarzes Loch" ist, werten
die Zustände dort deshalb als schlimmer als in Guantánamo.
6 Jan 2012
## AUTOREN
Sven Hansen
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Afghanistan
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