# taz.de -- Debatte Eurokrise: Stur gegen den Pluralismus | |
> Der Grund für die Eurokrise ist die Hegemonie Deutschlands in der EU. Die | |
> Deutschen betreiben weiter Nabelschau – statt ihre Rolle kritisch zu | |
> reflektieren. | |
Bild: Schon vor der Währungsreform stand Deutschland im Mittelpunkt. | |
Müssen wir uns wirklich Sorgen machen um den "schwindenden Einfluss | |
Deutschlands" in der EZB? Jörg Asmussen ist nicht Chefvolkswirt der EZB | |
geworden, erstmals seit Gründung des Instituts hockt kein Deutscher auf | |
diesem Stuhl. | |
Der Fall Asmussen zeigt, zu welch merkwürdigen Wahrnehmungen die | |
gegenwärtige Eurokrise geführt hat. In Athen, in Rom, in Madrid, aber auch | |
in Paris wird Kanzlerin Merkel als quasi mit absoluter Macht agierende | |
Sparkommissarin erlebt, die allen anderen den Pfad der Tugend diktiert und | |
brachiale Austeritätsprogramme oktroyiert. | |
Auf der anderen Seite steht Deutschland mit seiner einsamen Furcht vor | |
Bedeutungsverlust, weil jetzt ein Belgier den Job macht, der eigentlich | |
"uns" zusteht. Und das ist, recht besehen, eine gute Nachricht für Europa. | |
Viel ist in den vergangenen Monaten debattiert worden über die | |
Konstruktionsfehler des Euro, über die Schaffung einer Währungs- ohne | |
politische und Fiskalunion. Wenig hörte man dagegen darüber, wie der Euro | |
eigentlich in die Welt gekommen war: als Deal zwischen Frankreichs | |
damaligem Präsident François Mitterrand und Deutschlands Helmut Kohl. | |
## Bangen vor der Weichwährung | |
Mitterrand gab seinerzeit, 1989, grünes Licht zur deutschen | |
Wiedervereinigung - und verlangte im Gegenzug den Euro. Und das mit gutem | |
Grund. Schon damals nämlich wurde Europas Geldpolitik in Frankfurt gemacht: | |
Die Bundesbanker schwangen den Dirigentenstock, die anderen Notenbanken | |
mussten die Melodie nachspielen. | |
Währungspolitischer Souveränitätsverlust war also für die anderen Staaten | |
des Europäischen Währungssystems schon lange vor der Einführung des Euro | |
die Realität. Der eigentliche Souveränitätsverzicht wäre von Deutschland zu | |
leisten gewesen. Ebendies war Mitterrands Hoffnung: Nicht mehr die | |
Bundesbank, sondern die EZB als supranationale, europäische Institution | |
sollte in der Eurozone die Kreditversorgung, Leitzins und Geldmenge regeln. | |
Entsprechend groß war auf deutscher Seite das Bangen vor dem Eintausch der | |
"guten", harten D-Mark gegen das neue Geld, das sich nur allzu schnell als | |
Weichwährung entpuppen könnte. Im Jahr 1997, als die Verhandlungen über die | |
endgültige Zusammensetzung der Eurogruppe liefen, die dann ab 1999 an den | |
Start gehen sollte, machte nicht nur Bayerns damaliger Ministerpräsident | |
Edmund Stoiber gegen den "Club Med" Stimmung; auch sein seinerzeitiger | |
niedersächsischer Amtskollege Gerhard Schröder wetterte gegen die | |
"kränkelnde Frühgeburt". | |
## Der Euro glich der DM aufs Haar | |
Darüber rückte völlig aus dem Blick, dass Deutschland zwar in der Form | |
nachgegeben, aber in der Substanz sich voll durchgesetzt hatte. So war es | |
mehr als reine Symbolpolitik, dass die EZB in Frankfurt am Main angesiedelt | |
wurde: Besser ließ sich die ungebrochene Kontinuität zwischen Bundesbank | |
und EZB nicht darstellen. Völlige Unabhängigkeit der Zentralbank von der | |
Politik, alleinige Verpflichtung aufs Ziel der Geldwertstabilität, dazu das | |
enge Korsett des Stabilitätspakts für alle Mitgliedstaaten: Der Euro glich | |
der D- Mark aufs Haar. | |
So war der vermeintliche Souveränitätsverlust Deutschlands reine | |
Augenwischerei - indessen die anderen Staaten jenen letzten Rest an | |
geldpolitischer Souveränität auch noch einbüßten, über den sie bis zur | |
Einführung des Euro verfügt hatten: die Möglichkeit, ihre Währungen | |
abzuwerten, um ihre Wettbewerbsfähigkeit in der internationalen Konkurrenz | |
wiederherzustellen. Und nach außen entpuppte sich der Euro eben nicht als | |
"Club Med"-Weichwährung, sondern als gegenüber dem Dollar kontinuierlich | |
zulegende Hartwährung. | |
Gewiss, die anderen, Italien, Spanien, Irland oder Griechenland, hatten den | |
Vorteil drastisch fallender Zinsen. Einen Vorteil, der es zum Beispiel | |
Italien erlaubte, seine Staatsfinanzen vorsichtig zu sanieren, den | |
Gesamtschuldenberg von 125 Prozent des BIP Mitte der Neunzigerjahre auf 104 | |
Prozent ein Jahrzehnt später zurückzuführen. Einen Vorteil, der Spanien | |
oder Irland einen beispiellosen Bauboom bescherte. Italien aber bezahlte | |
die Einführung des Euro mit der Stagnation der Wirtschaft, Spanien und | |
Irland dagegen pumpten eine Immobilienblase auf, die über enorme | |
Leistungsbilanzdefizite finanziert war. | |
## Deutsche Vormacht schadet | |
Die wahren Nutznießer des neuen Währungsraums aber saßen in Deutschland. | |
"Made in Germany" konnte nun ungehindert seine Wucht entfalten, die | |
mächtigste Industrienation des Kontinents konnte ihre Asse ausspielen, | |
nachdem sie die Spielregeln diktiert hatte. Hohe Produktivitätszuwächse bei | |
geringer Lohndynamik: Das hatte Deutschland auch in den Jahrzehnten zuvor | |
erlebt, "Exportweltmeister" ist das Land nicht erst seit Einführung des | |
Euro. | |
Doch bis 1999 galt: Wann immer die deutschen Exportüberschüsse innerhalb | |
Europas ein gewisses Maß erreicht hatten, führten die Abwertungen in | |
Frankreich, Spanien oder Italien wieder zur Austarierung eines neuen | |
Gleichgewichts. | |
Nein, nicht erst jetzt wird in Europa "deutsch gesprochen", wie sich | |
letzthin ein CDU-Politiker freute. Es war der im deutschen Sinne gestaltete | |
Euro, der die Voraussetzungen für jene Krise schuf, die wir jetzt erleben. | |
Aufwertungsökonomien wie Deutschland (aber auch die Niederlande oder auch | |
Österreich, die nicht umsonst ihre Währungen schon lange vor 1999 fest an | |
die DM gekoppelt hatten) wurden da mit Abwertungsökonomien wie Italien | |
unauflöslich aneinandergebunden - allerdings zu den Konditionen | |
Deutschlands. Der recht einseitige Ertrag lässt sich in den Richtung 100 | |
Milliarden Euro jährlich marschierenden deutschen Exportüberschüssen allein | |
innerhalb der Eurozone besichtigen. | |
Und jetzt? Jetzt soll noch mehr "Stabilitätsorientierung" ebenjene Krise | |
bereinigen, die sich nicht zuletzt dem Stabilitätskonstrukt Euro verdankt. | |
Das jedenfalls hätte sich wohl Jörg Asmussen gewünscht, der verhinderte | |
Chefvolkswirt der EZB. Europa aber wird einen gemeinsamen Weg aus der Krise | |
nur finden, wenn wieder andere Sprachen als nur deutsch erklingen. | |
9 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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