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# taz.de -- Rotierende Betten und mehr: Die mit dem "Playboy" tanzt
> Beatriz Preciado ist eine Ikone und Kultautorin der europäischen
> Transgenderbewegung. Nun erscheint ihr Buch "Pornotopia" auf Deutsch.
> Eine Begegnung.
Bild: Das neue Werk von Beatriz Preciado verhandelt Hugh Heffner und den Playbo…
Der Winter in Paris ist mild. Ich durchstreife den Parc des Buttes
Chaumont, der ans nördliche Belleville grenzt, ein Viertel, in dem viele
Migranten aus dem Maghreb und aus China leben. Auf eine Zigarette in diesem
auf Müll gebauten Märchenpark. Jogger und Penner gibt es hier und eine
berühmte Selbstmörderbrücke. Dann in die Bar Faitout. Ein schöner Ort im
Bistrostil. Ledermöbel, Bücher, Kunst.
Draußen überquert Beatriz Preciado die Straße. Als sie das Lokal betritt,
grüßt sie laut, hier ist sie oft. Sie setzt sich zu mir, die schwarze
Strickmütze nimmt sie nicht ab. Sie ist schön. Ihr Gesicht von auffälliger
Symmetrie. Sie legt los, weil sie in den folgenden zwei Stunden vieles
loswerden muss. Man folgt ihr wie einem Strudel.
Beatriz Preciado, 40, Philosophin und Kultautorin der europäischen
Transgenderbewegung, hat ein Buch über die Zeitschrift Playboy geschrieben,
"Pornotopia" erscheint kommende Woche auf Deutsch. Das könnte man sich im
Sinne einer Pornografiekritik recht langweilig vorstellen, wäre Preciado
nicht strikt amoralisch.
Sie untersucht die Erfindung des heterosexuellen Mannes in der Moderne und
vermeidet dabei jede moralische Vorentscheidung. Mit dieser Haltung ist sie
Michel Foucault verpflichtet, der, neben Judith Butler und Jacques Derrida,
bei dem sie studiert hat, fixer Bezugspunkt ist.
In ihrem bereits im Jahr 2000 erschienenen "Kontrasexuellen Manifest"
beispielsweise geht es längst nicht mehr um klassisch feministische Topoi,
sondern um die Kritik an gegenwärtigen Formen von Sexualität im Kontext von
Macht. Sie entwirft eine Theorie der Körper, die nicht mehr innerhalb der
Oppositionen männlich/weiblich oder hetero-/homosexuell lokalisierbar ist.
Folgerichtig denkt Preciado über eine neue Form von Sexualität nach, die
nicht mehr um Penis und Vagina kreist, sondern etwa um Anus und Dildo.
Alles erscheint dringlich, wenn sie es formuliert. Irgendwie existenziell.
Und das ist es auch. Für ein anderes Buch, "Testo Yonqui" (2008,
"Junkie-Test/Text), nahm sie ein Jahr lang Testosteron ein. "Es macht dich
wahnsinnig scharf", sagt sie und lacht. Seit zehn Jahren lebt die gebürtige
Spanierin in Paris. In Princeton hat sie promoviert. Heute lehrt sie an der
künstlerischen Fakultät in Vincennes-Saint-Denis, dort, wo Foucault, Lacan,
Deleuze, die Liste der bekannten Namen ist endlos, auch gelehrt haben.
## Von der ersten bis zur letzten Sekunde präzise
"Pornotopia" also. Pornografie bedeutet bei Preciado ganz wertneutral "die
Darstellung von Sexualität, welche die sexuelle Reaktion des Beobachters zu
kontrollieren versucht". In diesem Sinne spricht sie auch im Zusammenhang
mit dem Playboy von Pornografie.
Als ein kleiner Mann die Bar betritt, mit silberner Jacke, Sonnenbrille und
Kopfhörern, und vor dem großen Wandspiegel eine kleine Performance beginnt,
spricht sie weiter, schaut nicht einmal hin. Von der ersten bis zur letzten
Sekunde ist sie präzise, engagiert.
Preciado zufolge gelang es Hugh Hefner, dem Gründer des US-amerikanischen
Magazins, seit der ersten Nummer im Jahre 1953 und bis Ende der 60er eine
neue erotische Utopie zu kreieren, in der der Playboy mehr als bloß ein
Magazin mit nackten Mädchen war. Sie begreift Hugh Hefner als
Poparchitekten und sein Imperium als "multimediales Architekturbüro", in
dem es um die Herstellung von Räumen und eine architektonische Fantasie
geht, die alles, was sich an Ideologie und vergesellschaftender Praxis um
das vorstädtische Einfamilienhaus der Nachkriegszeit scharte,
konterkarierte.
Playboy, die erste Pornotopie im Zeitalter der Massenmedien. Von Beginn an
präsentierte der Playboy architektonische Entwürfe, in denen es implizit um
die Verbindungen zwischen Geschlecht, Sex und Architektur ging.
Der Playboy verhandelte die Affekt- und Lustproduktion im Konnex von Raum,
Precadio würde sagen, indem er die "in der Nachkriegszeit vorherrschende
männlich-heterosexuelle Raumordnung" zur Diskussion stellte.
## Pyjama und Seidenmantel
Das Playboy-Junggesellenapartment und die küchenlose Küche, in der die Frau
durch Technik ersetzt wird, oder das berühmte runde, rotierende Bett
Hefners, dessen technische Vorrichtungen so kalkuliert waren, dass der Mann
beinahe alles vom Bett aus erledigen konnte, all das untersucht Preciado im
Hinblick auf die Subjektivität, die sie mitproduzieren.
Das rotierende Bett beschäftigte zwischen 1959 und 1965 ganz Nordamerika,
der Grad des Technikeinsatzes bemaß sich am Stand der allgemeinen
Technisierung der Haushalte, wie sie den Nachkriegskapitalismus prägte, und
am Ideal des Autos, des Schlüsselprodukts des Massenkapitalismus, mittels
dessen die räumliche Segregation in Arbeits- und familiäre Reproduktions-
und Schlafstätte überhaupt organisiert worden war.
Precadio erzählt die schöne Anekdote, wie Tom Wolfe in die Hefner-Villa
kam, um das Bett zu besichtigen. Sie lacht, und immer wenn sie lacht, hat
sie eine rauchige Stimme, und sagt: "Er war enttäuscht. Verdammt, stell dir
das vor. Er stand da und sagte bestimmt so was wie: ,Es kann nicht mal
irgendwo hinfahren.' " Das ist Preciados Art, die Dinge in Relation zu
setzen. Das Auto und das rotierende Bett – in ihrem Blick werden sie zu
Dispositiven, zu Schlüsselfiguren innerhalb einer biopolitischen Ordnung.
## Privater und öffentlicher Raum
In Pyjama und Seidenmantel erschuf Hefner, der das Bett als Arbeitsplatz
wählte und den Innenraum tatsächlich selten verließ, einen spezifisch
männlich-heterosexuellen häuslichen Raum, von dem Precadio sagt, nicht die
nackten Körper hätten im Kalten Krieg eine Überschreitung dargestellt,
sondern der Versuch, die politische Grenze zu verschieben, die den
öffentlichen und den privaten Raum trennte.
An Foucault anschließend, schreibt sie: "So wie die Gesellschaft der
Aufklärung glaubte, die Einzelzelle könne eine Enklave zur Rekonstruktion
der kriminellen Seele sein, so glaubte der Playboy, das
Junggesellen-Apartment sei eine Nische zur Erschaffung des neuen, modernen
Mannes."
Hefners sexuelle Utopie erscheint zeitgleich mit dem Aufkommen und gegen
die Gefahren der Frauenbewegung und der Homosexuellenbewegung. Der Playboy
eignet sich den bis dahin weiblich besetzten häuslichen Raum an, und Hefner
präsentiert sich, wie man es eigentlich nur von Homosexuellen erwartet
hätte. Um den Playboy als maskulin-heterosexuelles Gegenstück zu den
aufkommenden kritischen Bewegungen zu etablieren, bedurfte es der Playmates
und Bunnys, die wiederum ebenso in Disneyland hätten auftreten können und
auf merkwürdige Weise entsexualisiert sind.
Preciados Untersuchung ist inspirierend im allerbesten Sinne und so gar
nicht von akademischer Strenge geprägt. Sie entdeckt Verbindungslinien
zwischen Pornotopien von de Sade bis Hefner oder zwischen der Vermischung
von Muße und Arbeit im Playboy und der Inwertsetzung von Subjektivität in
der heutigen Arbeitswelt, zwischen der Neuinterpretation des Innenraums und
der Kapitalisierung des privaten Raums.
Das Projekt der Wahlpariserin geht jedoch weit über die Analyse des
Playboy-Imperiums hinaus. Sie ist eine Fußnote in der Untersuchung der, wie
sie es nennt, pharmakopornografischen Gesellschaft, die sich in Abgrenzung
vom disziplinarischen Kapitalismus des 19. Jahrhunderts nach dem Zweiten
Weltkrieg etabliert. Die Lust- und Subjektivitätsproduktion innerhalb der
Playboy-Räume sind dafür paradigmatisch.
Der pharmakopornografische Kapitalismus ist gekennzeichnet durch die
Erfindung synthetischer Materialien zur Rekonstruktion des Körpers, durch
die Erfindung der Pille zur Trennung von Heterosex und Reproduktion und
durch die Entwicklung der Pornografie zur Massenkultur. Es ist ein
Kapitalismus, den die Körper und ihre Lüste interessieren, der gar Gewinn
schlägt aus dem, so Preciado, "polytoxikomanen und zwanghaft
masturbatorischen Charakter der modernen Subjektivität".
## "Marcuses dream is really fucked up now"
Die Idee vom unterdrückten Lustprinzip als revolutionäres Reservoir ist
endgültig obsolet. Deshalb ist jede Gegenbewegung, die sich in dieser
Fluchtlinie aufstellt, zum Scheitern verurteilt. Beatriz Preciado geht hart
ins Gericht mit dem traditionellen Feminismus und konservativer
schwul-lesbischer Identitätspolitik. Schwule und Lesben sollten sich nicht
mehr als Außenstehende imaginieren, da ihre Identitätskonzepte doch auf ein
längst obsoletes Regime aus dem 19. Jahrhundert antworteten und sie einer
quasiprogressiven Normalisierung unterworfen seien.
Und die traditionellen Feministinnen, sie sprechen über die Frau wie über
eine ausgestorbene Spezies im naturhistorischen Museum, so Preciado. "Aber
kann man Identitätspolitik mit einem Dinosaurier betreiben?", fragt sie
ironisch und schlägt vor, die traditionellen Feministinnen in einen
hübschen Dialog mit den Psychoanalytikerinnen zu bringen, und muss sehr
lachen.
Schließlich vermuten diese wie jene, die Wahrheit über Sexualität zu
kennen. Ein Seitenhieb auf die Dominanz der Psychoanalyse in Frankreich,
für die das psychologische Narrativ der Schlüssel zur Subjektivität ist.
Und dann gibt es da noch die anderen Renaturalisierungen von Weiblichkeit,
die sich um das Thema Mutterschaft gruppieren.
Preciado geht es um die Abschaffung von geschlechtlicher Kategorisierung.
Jeder Mediziner wisse, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Sie möchte
eine neue Allianz aus postqueeren und postheterosexuellen Subjekten, neue
Experimente, die neue Affekte produzieren. Dissidente, Behinderte, Perverse
- das sind Preciados potenzielle Verbündete.
Zurück im Parc des Buttes Chaumont. Ihr traut man zu, solche Allianzen
zustande zu bringen.
Beatriz Preciado: "Pornotopia. Architektur, Sexualität und Multimedia im
Playboy". Wagenbach, Berlin 2012, 168 S., 24,90 Euro
28 Jan 2012
## AUTOREN
Tania Martini
Tania Martini
## TAGS
Queer
Queer
Schwerpunkt Coronavirus
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