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# taz.de -- Debatte Rechtsterror: Ignoranz mit System
> Die Fahndung nach den Zwickauer Terroristen sei nicht an strukturellen
> Problemen gescheitert, sagen einige. Das stimmt nicht.
Bild: Betriebsblindheit von Behörden und Medien ist ein Musterbeispiel für de…
Was lehrt uns die beispiellose Mordserie der Neonazi-Terroristen aus
Zwickau? Gar nichts, [1][meinte jüngst Christian Rath] –, solche
heimtückischen Taten seien nicht zu verhindern, wenn man nicht in einem
totalen Überwachungsstaat leben wolle. Das mag provokant zugespitzt sein.
Aber Rath spricht damit für all jene, die den Fall - nach einem Moment des
Erschreckens und nach der Entschuldigung des Bundestags bei den Opfern - am
liebsten zu den Akten legen wollen. Und das sind nicht wenige.
Schwer vorstellbar, dass weite Teile der deutschen Öffentlichkeit in
gleicher Weise zur Tagesordnung übergehen würden, wenn es sich bei den
Opfern um Politiker oder Journalisten gehandelt hätte. Schon das
verharmlosende Wort von der behördlichen "Pannenserie" spielt den Skandal
zu einem x-beliebigen Versäumnis unter vielen herunter.
Dabei steckt hinter dem systematischen Versagen der Sicherheitsbehörden
mehr als bloßes Pech. Und dass die Opfer von Polizei und Medien verdächtigt
wurden, in kriminelle Machenschaften verwickelt zu sein, ist auch mehr als
nur ein Grund zur "Scham".
Diese Betriebsblindheit von Behörden und Medien ist vielmehr ein
Musterbeispiel für den strukturellen Rassismus und die institutionelle
Ignoranz gegenüber Migranten. Sie sollte Anlass dazu geben, die deutsche
Integrationspolitik von Grund auf zu überdenken.
## Nicht allen fehlte die Fantasie
Es ist ja schlichtweg falsch, dass "niemand" auf die Idee kam, Neonazis
könnten hinter der Mordserie stecken, wie Rath schreibt. Viele Angehörige
der Opfer haben das lange geahnt. Nach dem letzten Mord in Hanau 2006 gab
es sogar Demonstrationen von Migranten, die ein rassistisches Motiv hinter
den Taten vermuteten. Viele Migranten waren daher nicht sonderlich
überrascht, als das wahre Motiv der Täter herauskam. Nur Deutsche, die
keinen Migrationshintergrund besitzen, fielen deswegen aus allen Wolken.
Mörderischer Türkenhass? In unserem Land? Wie kann das sein?
Viele Deutsche konnten sich offenbar nicht vorstellen, dass Rechtsextreme
zu so einer perfiden Tat in der Lage sein könnten. Dieser Mangel an
Fantasie ist recht erstaunlich - gerade in Deutschland, das doch eine lange
Tradition der "Türken raus!"-Parolen und eine historische Erfahrung mit
rechtsextremer Gewalt hat.
Radikalisierungsprozesse, die zum Terrorismus führen, gab und gibt es zudem
in allen politischen Milieus - und sie verlaufen meist nach ähnlichem
Muster: Eine einstmals starke politische Bewegung, die einen radikalen
Wandel der Verhältnisse fordert, spaltet sich: der größere Teil verlegt
sich auf ein legales politisches Engagement, tritt den Marsch durch die
Institutionen an oder arrangiert sich mit dem System. Ein kleinerer Teil
aber hält kompromisslos an den radikalen Grundüberzeugungen fest, geht in
den Untergrund und nimmt von dort aus den bewaffneten Kampf auf.
## Logik der Radikalisierung
So ging aus dem Linksextremismus der 70er Jahre in Deutschland der Terror
der RAF hervor. So hat der Islamismus des 20. Jahrhunderts den Terror von
al-Qaida & Co hervorgebracht, der auch in Deutschland seine Spuren
hinterlassen hat.
Warum fehlte es den deutschen Sicherheitsbehörden da an der nötigen
Fantasie, sich auszumalen, dass auch der Rechtsextremismus der 90er Jahre
in den Terror münden könnte? Hätte nicht klar sein müssen, dass nicht alle
Aktivisten von damals den Weg in die Legalität oder in das parteipolitische
Engagement für die NPD gehen würden? Dieser Mangel an Vorstellungskraft
mutet im Rückblick gespenstisch an.
Die Terrorzelle aus Zwickau hat nun schlagartig vor Augen geführt, welche
Gefahr man jahrelang unterschätzt hat. In gewisser Weise war das für die
Behörden ein weiterer 9/11-Moment. Entsprechend tief sitzt der Schock bei
den Verantwortlichen: Der Präsident des Bundeskriminalamtes BKA, Jörg
Ziercke, nannte die rassistische Mordserie eine "Zäsur". Und
Verfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm räumte ein: "Wir hätten es durchaus
besser wissen können." Aber die Öffentlichkeit wirkt von der Blutspur der
Terrorzelle aus Zwickau seltsam unberührt.
Nach "Zwickau" verspricht Innenminister Friedrich nun zwar, die
Sicherheitsdienste zu "modernisieren". Und die Opposition glaubt, mit einem
NPD-Verbot das Übel an der Wurzel zu packen. Aber das allein wird nicht
reichen, denn das Problem geht weit tiefer. Rassismus und
Türkenfeindlichkeit reichen bis weit in die Mitte der Gesellschaft. Der
Rechtsextremismus ist da nur die Spitze des Eisbergs.
## Sarrazins willige Vollstrecker?
Das haben die Debatten der letzten Jahre gezeigt: Wie müssen sich die
Neonazis aus Zwickau bestätigt gefühlt haben, als Thilo Sarrazin mit der
These hausieren ging, türkische und arabische Einwanderer seien - weil
angeblich "dümmer" - eine Belastung für dieses Land? Haben sie nicht bloß
in mörderischer Konsequenz vollstreckt, was Berlins Ex-Finanzsenator
irgendwie nahelegte?
Selbst Horst Seehofer hatte sich ja im vergangenen Jahr, von Sarrazin
beflügelt, damit gebrüstet, jede weitere Einwanderung aus "fremden
Kulturkreisen" werde er "bis zur letzten Patrone" bekämpfen. Beim CSU-Chef
war das nur eine rhetorische Entgleisung. Bei den Nazis aus Zwickau
blutiger Ernst.
Nach "Zwickau" kann die Politik nicht einfach so weitermachen wie bisher.
Dafür ist das Vertrauen vieler Einwanderer in den deutschen Staat zu stark
erschüttert worden. Das Thema Diskriminierung, Ausgrenzung und
Alltagsrassismus gehört jetzt endlich auf die Tagesordnung gesetzt. Und es
ist höchste Zeit für eine aktive Integrationspolitik, die Migranten die
gleichberechtigte Teilhabe erlaubt.
Würden alle Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren
sind, automatisch eingebürgert, könnten sie nicht mehr als "Ausländer"
ausgegrenzt werden. Gäbe es beim Verfassungsschutz und der Polizei mehr
Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, wären diese Behörden beim Thema
Rassismus und Rechtsextremismus womöglich etwas engagierter. Und gäbe es in
den Medien mehr Migranten, würden diese vielleicht etwas weniger einseitig
berichten, wenn es um Einwanderer und deren Diskriminierung geht.
31 Jan 2012
## LINKS
[1] /Debatte-Neonaziterror/!86187/
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
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