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# taz.de -- Ziviles Engagement gegen Nazis: Allein auf weiter Flur
> Als Rosemarie Arenstedt ein NPD-Schulungsheim verhindert, wurde sie zur
> Retterin ihres Dorfes erklärt. Nun sitzt sie auf der Immobilie und hat
> Schulden.
Bild: Rosemarie Arenstedt vor dem Gut Johannesberg in Rauen. Durch den Erwerb e…
RAUEN taz | Als alles schiefgelaufen ist, steht die Frau mit den 210.000
Euro Schulden in der brandenburgischen Kälte und lacht. In einen alten
Herrenmantel gehüllt, blickt sie auf heruntergekommene Häuser und eine
Scheune, die niemand braucht. Das riesige Areal hat die kleine alte Frau
mit dem blauen Lidschatten vor einigen Jahren gekauft. Damals galt sie
deshalb als Heldin, deutschlandweit. Heute ist sie weitgehend allein,
selbst in ihrem Dorf.
Hinter einem Bretterverschlag bellen zwei Hunde. Rosemarie Arenstedt, 75
Jahre, bis heute praktizierende Zahnmedizinerin, hat die Tiere vor zwei
Jahren aus dem Tierheim geholt. Damals, als die Nazis endlich von hier
abgezogen waren und sie das Gelände übernehmen konnte. Arenstedt, eine
resolute, lebhafte Frau, nannte die Hunde "Whiskey" und "Bator". Whiskey
wegen des braunroten Fells. Und Bator? "Der hat'n ungarischen Namen, weil
mein Mann Ungar war." Die beiden sind geschieden. Zwischen ihr und dem
Ungarn - also dem Exmann - ist aber "allet im grünen Bereich".
Der Ärger mit dem Gelände, auf dem Arenstedt nun frierend steht, fing vor
vier Jahren an. Gut Johannesberg, das sind 20 Hektar flaches Land und elf
Gebäude: Scheune, Wohnhaus, Garage, ein paar baufällige Ställe. Einzig das
Bellen von Whiskey und Bator unterbricht die Stille. Das war mal ganz
anders.
Zu DDR-Zeiten arbeitete hier eine Landwirtschaftliche
Produktionsgemeinschaft, kurz LPG. Im Jahr vier nach der Wende wurde aus
der Scheune die "Marmorscheune", eine Disco, betrieben von einem ihrer
beiden Söhne. Zehn Jahre ging das gut. Dann wurde es hier, mitten im Wald,
wieder still.
## Blitzschnell gehandelt
2007 schließlich musste der Eigentümer das Gelände verkaufen. Bald stellte
sich heraus: Hinter der schwedischen Firma, die das Areal für nur 200.000
Euro erworben hatte, stand die damalige Frau eines Mitglieds im
NPD-Bundesvorstand, Andreas Molau. Molau vermietete das Grundstück an den
Brandenburger NPD-Landesverband. Ein Schulungszentrum der Rechten sollte
hier entstehen.
Als der Alteigentümer ihr erzählte, wer das Gelände gekauft hatte, handelte
Arenstedt schnell. Sie hatte Glück: Im Grundbuch hatten die Rechten noch
keinen Vormerk hinterlassen. Deshalb konnte der Alteigentümer den
Kaufvertrag stornieren. Arenstedt und ihr Schwager in Köln erwarben das
Gelände für 210.000 Euro. Doch die Rechten waren schon da.
Arenstedt öffnet die Tür zu dem, was übrig ist von der "Marmorscheune".
"Sogar den Granit von den Tresen habense abgeschlagen", sagt sie, "und die
Toiletten zerschlagen." Sie meint die Rechten, die hier wohnten, bis sie
nach langem juristischem Hickhack wütend und randalierend abzogen.
Ausgerechnet am 8. Mai 2010, "Tach der Befreiung, kennense det noch?"
"Alle klopften mir auf die Schulter", sagt Arenstedt: Ministerpräsident
Matthias Platzeck von der SPD, der damalige Innenminister Jörg Schönbohm
von der CDU. Die Brandenburger taten etwas gegen ihr schlechtes Image. Und
wie reagierten die Leute in Rauen, dem nahe gelegenen Dorf mit 1.900
Einwohnern? "Die sachten: Det soll die Olle schon machen."
Fast zehn Jahre lang, von 1993 bis 2003, war "die Olle" ehrenamtliche
Bürgermeisterin im Dorf. SPD-nah, aber parteilos, wie alle in der
elfköpfigen Gemeindevertretung. Hier werden nicht Programme gewählt,
sondern Menschen, die man kennt. Und Arenstedt kennt man. Nicht nur, weil
sie bis heute ihre Praxis im fünf Kilometer entfernten Fürstenwalde hat.
Sondern auch, weil sie eine von hier ist.
## "Eine von hier"
Geboren wurde die Tochter aus gutem Hause 1936 zwar im gediegenen Berliner
Stadtteil Steglitz. Aber als die alliierten Bomber die Reichshauptstadt
wenige Jahre darauf in Schutt und Asche legten, schickten die Eltern sie
und ihre Schwester aufs kurz zuvor erworbene Anwesen in der Nähe von Rauen.
Seit der ersten Schulklasse, also seit fast 70 Jahren, lebt Arenstedt nun
in und mit dem Dorf.
Selbst als sie später in Berlin studierte, zog sie nicht weg, sondern stand
morgens um 4 Uhr auf und fuhr zur Uni. Trotzdem sagt Arenstedt nicht, wie
sehr sie das Dorf liebt. Sie sagt auch nicht, es sei ihre Heimat. Sondern
sie sagt: "Det sind spezielle Leute in Rauen."
Bald nach Ankauf von Gut Johannesberg stellte sich die Frage: Wie lässt
sich das große Gelände nutzen? Arenstedt drückten hohe Kosten: für die
Ratenzahlung und für die dringend benötigten Reparaturarbeiten, um die
Häuser zumindest wetterfest zu machen. Wasserrohre waren geplatzt, neue
Stromleitungen mussten her. Ihr Schwager knüpfte Kontakt zum Evangelischen
Jugend- und Fürsorgewerk (EJF).
Der Sozialkonzern mit Hauptsitz in Berlin zeigte sich interessiert: Eine
Einrichtung zur Betreuung sozial benachteiligter Jugendlicher sollte hier
entstehen. Doch was genau, blieb unklar. An diesem Punkt begann die Sache
schiefzulaufen.
Mal erklärte das EJF, es plane eine Art Erholungsheim für Kinder. Doch das
einzige Konzept, das der Sozialkonzern genauer ausführte und auch
schriftlich vorlegte, sah eine Einrichtung für straffällig gewordene
Jugendliche vor. Dafür musste das EJF beim Bauordnungsamt eine Änderung des
Flächennutzungsplans beantragen. Ob dieses Vorhaben auch das einzig
ernsthaft geplante war, darüber streiten sie hier bis heute. Fakt ist:
Rosemarie Arenstedts Nachbarn gingen auf die Barrikaden.
## Unterschriften gegen das Sozialprojekt
Rund 700 Unterschriften sammelten Unbekannte gegen das Sozialprojekt - mehr
als jeder Dritte im Dorf. Rosemarie Arenstedt zieht den viel zu weiten
Herrenmantel noch fester um sich, draußen wie drinnen sind es zehn Grad
minus. "Gegen die Rechten hamse nix gemacht, keinen Ton", sagt sie. "Aber
die Jugendlichen wollnse nich."
Der EJF-Vorstandsvorsitzende, Siegfried Streusicke, kam aus Berlin zur
Gemeindevertreterversammlung. Streusicke wollte sein Vorhaben erklären.
Normalerweise zieht so eine Sitzung nur das knappe Dutzend Ratsmitglieder
an. Diesmal kamen rund 150 Leute, das Treffen musste in einer Turnhalle
stattfinden. Streusicke aber durfte nicht über sein Projekt sprechen. Die
Begründung des ehrenamtlichen Bürgermeisters: Weil der EJF-Chef kein Bürger
Rauens sei, habe er bei einer Bürgersprechstunde auch kein Rederecht.
Wütend fuhr Streusicke zurück nach Berlin. Der Eklat war komplett.
Sven Sprunghofer sieht nicht so aus, wie man sich andernorts einen
Brandenburger Dorfbürgermeister vorstellt. Mit seinem langen Zopf kommt der
43-Jährige dem Klischee eines Sozialarbeiters ziemlich nahe. Nur wenige
Kilometer vom umstrittenen Gut entfernt leitet Sprunghofer eine Wohnstätte
für Erwachsene mit Behinderung. Er ist sauer, er findet: "Die Rauener sind
nicht so spießig, wie immer behauptet wird." Der Sozialkonzern habe nie
erklärt, was er denn nun auf dem Gut einrichten will: eine Einrichtung für
straffällig gewordene Jugendliche? Oder doch ein Kinderheim?
Ist also das EJF schuld? Unterschreibt ein Drittel des Dorfs gegen ein
Heim, nur weil sich der potenzielle Betreiber ungeschickt anstellt? Oder
steckte hinter der Unterschriftenkampagne doch Angst vor durchgeknallten
Jugendlichen, die das Vorzeigedorf bedrohen könnten? "Ich habe da nie
unterschrieben", sagt Sprunghofer.
Dann ging alles ganz schnell. Ende Januar verkündete das EJF offiziell das
Ende seiner Pläne für Gut Johannesberg. In der Pressemitteilung hieß es:
"In einer so angeheizten Atmosphäre könnten wir nicht mehr gewährleisten,
dass die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen in die Dorfgemeinschaft
von Rauen integriert werden." EJF-Chef Streusicke ging Bürgermeister
Sprunghofer direkt an. "Von einem Mann, der sogar eine leitende Funktion in
der Diakonie ausübt, hätte ich erwartet, dass er sich für eine Einrichtung
für sozial benachteiligte Kinder stärker einsetzt."
## Ungeklärter Streit
Whiskey und Bator wollen wieder raus. Rosemarie Arenstedt lässt die beiden
aus ihrem Verhau, dann schließt sie das alte Gittertor zum Gut hinter sich.
Die Hunde bewachen ein Grundstück, das niemand haben will. Einen neuen
Interessenten gibt es nicht. Den Streit zwischen dem EJF-Chef und dem
Bürgermeister, zwei sozial eingestellten Menschen, kann sie nicht
verstehen. "Mir ist völlig unklar, wie man sich da so bekriegen kann."
Seit dem großen Streit ist Rosemarie Arenstedt ziemlich allein. Sie habe ja
noch ihre Imker-Freunde und die "Kumpels vom Sportverein". Bei der
Staatsanwaltschaft seien ein paar anonyme Schreiben eingegangen, in denen
sie diverser Vergehen beschuldigt wird, sagt sie. Sie wisse, wer im Dorf
die Briefe geschrieben habe, "aber ick werd' Ihnen die Namen nicht sagen".
Kein Politiker klopft ihr heute auf die Schulter, niemand nimmt ihr und
ihrem Schwager die Ratenzahlungen fürs Gut ab. Ein Verkauf kommt für sie
trotzdem nicht infrage. "Det war so schwer, hier reinzukommen, da geh ich
nich mehr raus."
Und dann lacht die Frau mit den 210.000 Euro Schulden mitten in der
brandenburgischen Kälte. Weil alles so absurd ist. Weil man Unangenehmes
manchmal weglachen kann. Und weil die "speziellen" Leute im Dorf vielleicht
in einem Punkt doch Recht haben: Die Olle wird det schon machen.
9 Feb 2012
## AUTOREN
Matthias Lohre
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