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# taz.de -- Naziaufmarsch und Blockade: Die Lügen von Dresden
> Die Diskussion über den Naziaufmarsch und dessen Blockade wird nicht
> ehrlich geführt. Ein Plädoyer gegen den Selbstbetrug von Antifaschisten
> und Behörden.
Bild: Wer sich offensiv der Großeltern und Kinderwagenschieber in den eigenen …
Da lacht der Nazi, und der Antifaschist wundert sich: Es ist Februar. Es
ist wieder Nazi-Aufmarsch in Dresden; am 13. und wohl auch am 18. Februar.
Und wieder wird es in der sächsischen Landeshauptstadt zu
Auseinandersetzungen kommen.
Nein, nicht nur zwischen Demokraten und Neonazis. Sondern insbesondere
zwischen Demokraten, die auf der Straße Neonazis blockieren wollen, und den
selbst ernannten Oberdemokraten in Sachsens Behörden. Längst ist der
Konflikt über die Gedenkpraxis zum kulturellen Kleinkrieg verkommen. Der
Grund dafür ist die Ignoranz, mit der Behörden und AntifaschistInnen sich
bewusst missverstehen wollen. Es ist an der Zeit, das Lügen zu beenden.
##
Dieser Wahlspruch ist der falsch verstandene Grund allen Übels. Denn in
Dresden überwog jahrelang die Trauer um die deutschen Opfer. Die
Ausgangsgründe von Weltkrieg Nummer zwei - Adolf Hitler, die willige Nation
und ihre Opfer - kamen dagegen etwas kurz. Das war eine Einladung für
rechtspopulistisches und rechtsextremes Gebaren. Heute rufen die Neonazis
zum "Trauermarsch", und die rechtspopulistische und islamfeindliche Partei
"Die Freiheit" rät in Dresdens Fußgängerzone den Bürgern: "Bleiben auch Sie
zu Hause und zünden Sie eine Kerze für die Opfer der Bombennacht an -
Lassen Sie sich nicht missbrauchen!"
Missbrauchen aber lässt sich, wer meint, dass es mit dem Anzünden einer
Kerze schon getan wäre. "In Würde gedenken" geht nämlich im Februar in
Dresden nicht passiv. "In Würde gedenken" heißt, aktiv zu verhindern, dass
der braune Mob in der Stadt wieder aufmarschieren kann. Das Märchen vom
stillen Gedenken ist die größte Gefahr in Dresden.
##
Weil nun einige die Neonazis, die mit Holzknüppeln und Pflastersteinen
anreisen, ihrerseits mit Holzknüppeln und Pflastersteinen von ihrem
"Trauermarsch" abhalten wollen, sucht die Dresdner Staatsanwaltschaft eine
vermeintliche kriminelle Vereinigung, die sie inmitten der Demonstranten
verortet.
Dieses Konstrukt war der Grund für die massive Überwachungspraxis, mit der
im vergangenen Jahr die Daten tausender Menschen in die Polizeicomputer
gelangten. Doch die Lüge von der kriminellen Vereinigung ist ein billiges
Hilfskonstrukt: Auch in den Ermittlungsakten, in die die taz Einsicht
hatte, sind die Bezüge der Verdächtigen zueinander äußerst vage. Natürlich
gibt es militante Autonome. Diese verabreden sich aber nicht in Clubhäusern
und wählen Vorsitzende. Die Strukturen sind fließend und klandestin.
Es ist völlig abwegig zu glauben, dass ein Ganovenkönig eine "Vereinigung"
von Militanten steuert. Das Märchen von der kriminellen Vereinigung muss
ein Ende haben, denn es hat nur ein Ziel: Es nimmt den Scheinverdacht zum
Anlass, mit heftigsten Ermittlungsmaßnahmen eine ganze Protestbewegung in
Sippenhaft zu nehmen.
##
Mit dieser Parole machen die sächsische Landesregierung und die
Polizeiführung in den letzten Wochen wieder Stimmung. Der Vorwurf: Das
Bündnis "Dresden Nazifrei" mit seinem Aufruf zur Blockade des
Neonazi-Aufmarsches bringe die Militanten nach Dresden. Wer so
argumentiert, ist auf den Ohren taub und den Augen blind: In Dresden rufen
Gewerkschaften und Kirchengruppen, Grüne und Sozialdemokraten zu Blockaden
auf.
Und es ist ein Unterschied, ob SPD-Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse
es für legitim hält, sich an einer Sitzblockade zu beteiligen - oder ob
klandestine Linksradikale im Windschatten ihre Steinenummer abziehen. Das
Bündnis "Dresden Nazifrei" ruft allein zu Ersterem auf. Und so liegt der
Logik der sächsischen Konservativen ein gefährlicher Fehler inne: Wenn
jeder ein Linksextremist ist, der sich als Antifaschist bezeichnet, dann
ist es nur noch Konservativen gestattet, sich gegen Neonazis zu engagieren.
Dass das nicht geklappt hat, das sehen wir ja. In Dresden, in Zwickau und
überall.
##
Es stimmt aber auch, dass das Bündnis "Dresden Nazifrei" sich selbst und
die Öffentlichkeit ebenso belügt. Zum Aktionskonsens des Bündnisses gehört
die Formulierung: "Von uns geht keine Eskalation aus". Dieser Spruch ist
ein Kompromiss. Er heißt übersetzt: Wir schlagen nicht zu, aber wenn wir
zuerst gehauen werden, dürfen wir uns wehren.
Peinlich genau achten die Organisatoren nun darauf, dass von diesem Bündnis
keine Spuren zur Organisation der sogenannten Sportgruppen führen, also den
militanten Steine- und Flaschenwerfern. Die selbst rühmen sich übrigens
ganz gern damit, dass auch die friedlichen Sitzblockierer von ihrem Einsatz
profitieren - weil sie die Polizei ablenken.
Das Bündnis "Dresden Nazifrei" sagt: Wieso sollten wir uns von Leuten
distanzieren, mit denen wir nichts am Hut haben? Was das Bündnis nicht
sagt: Diese Leute sind es, die ganz bewusst im Windschatten der friedlichen
Sitzblockierer nach Dresden reisen - und deren Verhalten auch ganz bewusst
nicht kommentiert wird. Die Logik dahinter lautet: Je länger wir weggucken,
desto weniger kritische Fragen gibt es.
Noch geht diese Strategie auf: Hätten die staatlichen Behörden im
vergangenen Jahr allerdings nicht einen ernst zu nehmenden Datenskandal
produziert, dann hätte auch das gemäßigte Spektrum ganz anders über die
Gewalt sprechen müssen, mit der es in Dresden im Februar vergangenen Jahres
tatsächlich auch zur Sache ging. Wer sich offensiv der Großeltern und
Kinderwagenschieber in den eigenen Demoreihen rühmt, muss auch zum
Steinewerfen eine Position beziehen.
Alles andere ist Selbstbetrug.
3 Feb 2012
## AUTOREN
Martin Kaul
## TAGS
Protest
Schwerpunkt Überwachung
Schwerpunkt Finanzkrise
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