# taz.de -- Wahlergebnis im Kongo: Ein Parlament voller Einzelkämpfer | |
> Die meisten Ergebnisse der Parlamentswahl liegen jetzt vor. Kabilas Lager | |
> verliert Sitze, aber niemand profitiert klar. Bei der Verhaftung eines | |
> Abgeordneten gibt es Tote. | |
Bild: Anhängerinnen von Etienne Tshisekedi am Wahltag. | |
BERLIN taz | Als die Soldaten mitten in der Nacht über die Mauer sprangen, | |
fackelte die Garde des Abgeordneten nicht lange. Die Leibwächter von | |
Dieudonné Bakungu Mitondeke eröffneten das Feuer, vier Sicherheitskräfte | |
starben. Es entwickelten sich, berichten Augenzeugen der taz, am frühen | |
Donnerstagmorgen Gefechte mit schweren Waffen mitten in einem Wohnviertel | |
der ostkongolesischen Stadt Goma. | |
Schließlich landete der Parlamentarier mit Frau und Kindern im | |
Militärgefängnis. Der Vorwurf: illegaler Waffenbesitz und Bildung einer | |
Privatmiliz, die, so die Behauptung, an diesem Samstag Goma besetzen | |
sollte. | |
Die blutige Verhaftung von Mitondeke, ehemals Vizegouverneur der | |
ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu, ist das jüngste spektakuläre Kapitel | |
im Streit um die Ergebnisse der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom | |
28. November 2011 in der Demokratischen Republik Kongo. | |
Nachdem die Verkündung von Präsident Joseph Kabilas Wahlsieg am 9. Dezember | |
Unruhen in Kinshasa ausgelöst hatte, waren die Parlamentsergebnisse | |
zunächst zurückgestellt worden. Seit Donnerstag sind sie nun endlich | |
komplett veröffentlicht - mit Ausnahme von sieben Wahlkreisen, deren | |
Ergebnisse vor Gericht landen werden. | |
## Furcht vor Bahunde-Aufstand | |
Einer dieser Wahlkreise ist just der ostkongolesische Wahlkreis Masisi, in | |
dem Mitondeke zur Wiederwahl angetreten war. Seine Chancen waren gut: Der | |
prominente Politiker der Bahunde-Ethnie kandidierte für die im Ostkongo | |
starke Oppositionspartei UNC (Union für die kongolesische Nation), und in | |
Masisi sind die Bahunde eine der größten Volksgruppen. | |
Doch schließlich waren alle sieben gewählten Wahlkreisabgeordneten | |
ruandischstämmige Banyarwanda. Das sorgte für so massiven Protest, dass | |
diese Ergebnisse wieder kassiert wurden. Nun fürchtet die Staatsmacht | |
offenbar einen Bahunde-Aufstand. | |
Nicht nur in Masisi, in ganz Kongo sind die Ergebnisse der Parlamentswahl | |
extrem von lokalen Gegebenheiten geprägt. Die nationale Ebene spielte | |
allein bei der Präsidentenwahl eine Rolle. Bei dieser gewann Amtsinhaber | |
Kabila laut Wahlkommission mit 49 Prozent - bei der Parlamentswahl hat | |
Kabilas Partei PPRD (Volkspartei für Wiederaufbau und Entwicklung) bisher | |
ganze 62 von 500 Sitzen geholt. Damit ist sie allerdings stärkste Kraft. | |
Kongos nächstes Parlament ist vollkommen zersplittert; wer drinsitzt, | |
verdankt das seiner lokalen Bekanntheit. | |
Das liegt zum Teil an einem komplizierten Wahlsystem. So verteilen sich im | |
Wahlkreis Kinshasa II die 12 Mandate auf 11 Parteien, obwohl der populäre | |
Direktor des im Wahlkampf verbotenen oppositionellen Fernsehsenders RLTV, | |
Basile Olongo Pongo, mehr Stimmen erhielt als alle anderen 11 gewählten | |
Kandidaten zusammen. | |
## Fast alle Parteien sind diskreditiert | |
Es liegt aber auch daran, dass Kongos politische Parteien fast alle | |
regional begrenzt und in der Bevölkerung diskreditiert sind. Viele | |
Politiker traten als Unabhängige an - nicht zuletzt Kabila selbst - oder | |
gründeten Phantomparteien als Wahlvereine. Olongos Partei heißt SET, also | |
"Unterstützung für Etienne Tshisekedi" - Tshisekedi ist Kongos wichtigster | |
Oppositionsführer. | |
Seine UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt) erhielt in | |
Olongos Wahlkreis nur rund 5 Prozent. Im Parlament hält die UDPS jetzt 42 | |
Sitze und ist damit zweitstärkste Fraktion - falls sie nicht, wie | |
angedroht, das Parlament boykottiert. | |
Dass von Kinshasas vier Wahlkreisen drei immer noch nicht ausgezählt sind, | |
ist nur einer von vielen Gründen, warum Kongos Opposition der | |
Wahlkommission nicht traut und deren Ergebnisse ablehnt. Kabila und das | |
Regierungslager müssen bei der Parlamentswahl dennoch Federn lassen. Viele | |
bekannte Schwergewichte der offiziellen Politik haben ihre Sitze verloren. | |
Kabilas PPRD schrumpft von 111 auf 62 Sitze, von ihren bisherigen | |
Koalitionspartnern schrumpft die linke Palu (Vereinigte Lumumbistische | |
Partei) von 34 auf 19 und die konservative Udemo (Union Demokratischer | |
Mobutisten) von 9 auf 2. | |
Nach ersten Analysen kann Kabila dennoch auf eine komfortable Mehrheit | |
hoffen, mit insgesamt 341 Sitzen für alle seine Verbündeten gegenüber nur | |
119 für die Opposition um Tshisekedi. Kongos Oberstes Gericht hat nun zwei | |
Monate Zeit, um die mehr als 3.000 Beschwerden unterlegener Kandidaten zu | |
behandeln. Erst nach Ostern dürfte im Kongo wieder der politische Alltag | |
einkehren. | |
3 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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