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# taz.de -- Anti-Counterfeiting Trade Agreement (Acta): Surfen unter Aufsicht
> Am Wochenende soll in mehreren deutschen Städten gegen das
> Anti-Piraterie-Abkommen Acta protestiert werden. Was genau steht drin?
> Kann es noch verhindert werden?
Bild: Maskierter Protest in Tschechien Anfang Februar.
Filme und Musik runterzuladen ist doch jetzt schon illegal. Daran wird Acta
doch nichts ändern, oder?
Nein. Aber die Kritiker des Handelsabkommens fürchten mehr Überwachung.
Denn der Vertrag lässt sich so interpretieren, dass die Internetanbieter
künftig kontrollieren sollen, was ihre Nutzer tun. Sie müssten die Daten,
die sie bisher unbesehen durchleiten, überprüfen. Wie sie dazu gebracht
werden? Im Kleingedruckten des Vertrags wird angeregt, die Anbieter für
urheberrechtsverletzende Inhalte, die Nutzer auf ihren Seiten hochladen
oder verschicken, haftbar zu machen. Um Strafen zu vermeiden, müssten die
Firmen eine ständige Aufsicht stellen.
Die französischen Netzbürgerrechtler von La Quadrature Du Net warnen, dass
in der Folge des Abkommens Firmen zu einer Art digitalen
Urheberrechtspolizei werden könnten. Das sei aber Aufgabe des Staates.
Außerdem sprechen die Verfasser des Abkommens implizit einen
Generalverdacht aus: Statt bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen,
dass Internetnutzer nichts Illegales tun, vermuten Sie hinter jedem User
einen Raubkopierer, der ständig überwacht werden muss.
Das klingt recht vage. Wird hier eine Gefahr aufgebauscht?
Viele Formulierungen des Vertrages bewegen sich tatsächlich im Ungefähren.
So legt der reine Vertragstext den Unterzeichnerstaaten beispielsweise
lediglich nahe, "Kooperationsbemühungen im Wirtschaftsleben zu fördern, die
darauf gerichtet sind, Verstöße gegen Marken, Urheber- und verwandte
Schutzrechte wirksam zu bekämpfen" (Art. 27 Abs. 3). Staaten, die Acta
unterschrieben haben, könnten diesen Passus umsetzen, wie es ihnen richtig
erscheint.
Schwammige Formulierungen machen das Vertragswerk jedoch nicht per se
ungefährlich. Im Gegenteil. Sie lassen sich von den Verantwortlichen
weiträumig interpretieren und leicht durch Zusätze ergänzen. Und: Gegen
etwas so wenig Handfestes lässt sich nur schwer Protest organisieren.
Entscheidend ist für viele Experten daher das Gesamtbild aller
Formulierungen, der generelle Geist des Abkommens. Das "digitale Umfeld"
würde zum Feindbild stilisiert, kritisiert der Aachener Jurist Jens Ferner.
Und auch der Düsseldorfer Rechtsanwalt Udo Vetter kommt zu dem Schluss:
"Auch wenn die einzelnen Vorgaben im Acta-Text eher schwammig sind, so
lässt sich doch eine Grundtendenz herauslesen: Die Vertragspartner sollen
die Freiheit des Netzes radikal beschränken dürfen, wenn es das geistige
Eigentum schützt."
Ursprünglich war dieser Geist noch besser sichtbar. Eine frühere Version
des Vertrags sah eine "Three Strikes"-Regelung vor. Heißt: Internetnutzer,
denen dreimal Filesharing vorgeworfen wird, verlieren ihren Internetzugang.
Nach wütenden Protesten war es damit vorbei.
Inzwischen streiten übrigens auch die Acta-Kritiker, wie gefährlich der
Vertrag genau ist. Der deutsche Rechtsanwalt Thomas Stadler und der
US-Journalist Timothy B. Lee warnen vor überzogenen Horrorszenarien. Der
Juraprofessor und langjährige Acta-Kritiker Axel Metzger schreibt, das
Abkommen enthalte strafrechtlich wenig, was nicht bereits geltendes
deutsches Recht sei. Aber auch er warnt: "Acta regelt einseitig Sanktionen,
ohne adäquate Rechtsschutzmöglichkeiten vorzusehen." So wären laut Vertrag
Access Provider dazu verpflichtet, die Identität eines verdächtigten
Nutzers zu verraten.
Acta, Sopa, Pipa - verschiedene Abkürzungen für die gleiche Sache?
Alle drei Maßnahmen sollen das Urheberrecht durchsetzen. Der zentrale
Unterschied ist: Sopa (Stop-Online-Piracy-Act) und Pipa (Protect IP Act)
sind Vorschläge für konkrete US-Gesetze, bei Acta handelt es sich um ein
internationales Handelsabkommen, das zwischen 39 Ländern, darunter den USA,
den EU-Staaten und Japan, geschlossen werden soll. Das bedeutet: Sopa und
Pipa beinhalten konkrete Maßnahmen für die USA. So war darin zum Beispiel
vorgesehen, dass zur Strafe wegen urheberrechtlicher Verstöße Webseiten auf
Ebene der Domain Name Services blockiert werden konnten. Dann wäre eine
Seite zum Beispiel nicht mehr unter [1][www.youtube.com] aufrufbar, sondern
lediglich erreichbar, wenn ein Nutzer die 15-stellige Nummernfolge in sein
Browserfenster eintippt.
Beide Entwürfe liegen nach Protesten auf Eis.
Im Gegensatz dazu ist Acta ein schwammig formulierter Text, der es schwer
macht, seine Konsequenzen einzuschätzen.
Irgendwie geht es auch um preiswerte Medikamente, oder?
Dem Abkommen geht es generell um das Bekämpfen von "Piraterie". Das kann
Auswirkungen darauf haben, welcher Käse unter dem Namen "Parmesan" verkauft
werden darf - aber auch darauf, ob Arzneimittelkopien, sogenannte Generika,
ihren Weg in arme Länder finden, wo sich die Menschen teure Medikamente
sonst nicht leisten könnten.
Etwas übertrieben ist die in diesen Tagen häufig wiederholte Darstellung,
Acta würde Generika verbieten. Denn es ist - wie gesagt - ein
Handelsabkommen, und das bedeutet, dass sich ein Passus darin mit dem
grenzüberschreitenden Fluss urheber- und markenrechtsverletzender Produkte
beschäftigt. Darum spielen Zollkontrollen eine große Rolle: Verdächtige
Lieferungen sollen laut Acta überprüft werden können - und zwar nicht nur
in den Ursprungs- und Zielländern der Ware, sondern auch in Transitländern.
Das, so sagen Kritiker, könnten Pharmafirmen als Ansatz nehmen, um Generika
aus dem Verkehr zu ziehen, wenn sie Drittstaaten passieren - selbst dann,
wenn diese Medikamente laut den Gesetzen des Ziellandes legal wären.
Das bedeutet: Acta wird die in Deutschland geltenden Regeln für
Arzneimittel und Generika nicht groß verändern. Die Chance, das auffliegt,
was heute schon illegal ist, wird aber größer. Und das, so fürchtet zum
Beispiel die Hilfsorganisation Oxfam, könnte sich gravierend darauf
auswirken, ob Generika ihren Weg in Drittweltländer finden. Die
EU-Kommission behauptet, solche Auswirkungen gebe es nicht.
Wie kann ich daran noch etwas ändern?
Einer der größten Kritikpunkte bei Acta ist das geheimbundartige Gebahren
der Verhandlungsstaaten: Der Vertragstext wurde hinter verschlossenen Türen
verhandelt, ohne die Beteiligung gewählter Volksvertreter und ohne dass der
konkrete Text veröffentlicht wurde. Den Regierungen der
Unterzeichnerstaaten am Ende ein Dokument vorzulegen, das sie einfach nur
abnicken oder ablehnen können - das allein ist in den Augen vieler
Netzaktivisten undemokratisch und kritikwürdig.
Außerdem kritisiert zum Beispiel La Quadrature du Net, dass man mit der
Ratifizierung von Acta auch dauerhaft eine demokratische Kontrolle
aushebelt - weil laut Artikel 36 ein sogenannter Acta-Ausschuss eingesetzt
werden soll.
Darin sollen alle unterzeichnenden Staaten vertreten sein. Dieser Ausschuss
soll einerseits die Umsetzung der Vereinbarung überwachen, andererseits
aber auch an der Weiterentwicklung des Übereinkommens arbeiten. Das
bedeutet: Die Acta-Bestimmungen könnten sich nach der Ratifizierung noch
verschärfen, ohne dass ein öffentlicher und transparenter Diskurs über die
Maßnahmen stattfindet oder Parlamente darauf Einfluss nehmen können.
Viele EU-Staaten haben Acta im Januar unterzeichnet -Deutschland ist
bislang nicht darunter. Wesentlich wichtiger ist allerdings, dass der
Europäische Rat am 16. Dezember 2011 im Agrar- und Fischereirat dem
Abkommen zugestimmt hat. Nun hängt es am Europäischen Parlament, ob die EU
Acta Ende Mai ratifizieren wird oder nicht.
Am lauter werdenden Protest gegen Acta beteiligen sich große Teile der
Netzöffentlichkeit, digitale Bürgerrechtsorganisationen, internationale
Hilfsorganisationen, Journalistenverbände, die Grünen, einzelne
SPD-Politiker und die Junge Union.
Am Samstag soll in 50 deutschen Städten gegen Acta demonstriert werden.
Außerdem gibt es Unterschriftensammlungen, Aufrufe, dass Bürger sich mit
Abgeordneten des Europaparlaments und anderen Zuständigen in Brüssel
unterhalten.
9 Feb 2012
## LINKS
[1] http://www.youtube.com
## AUTOREN
Meike Laaff
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