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# taz.de -- Gedenkfeier für NSU-Opfer in Berlin: "Eine Schande für unser Land"
> Angela Merkel kritisiert, dass rechte Gewalt zu oft verdrängt wird und
> ihre Opfer zu schnell vergessen sind. Bei den Angehörigen der Ermordeten
> entschuldigt sie sich.
Bild: Bundeskanzlerin Merkel bedankt sich auf der Gedenkfeier für die Neonazi-…
BERLIN taz | "Wir vergessen zu schnell", mahnt die Kanzlerin. "Wir
verdrängen, was mitten unter uns geschieht." Dagegen setze man nun ein
Zeichen, sagt Angela Merkel, und verweist auf die elfte der zwölf Kerzen,
die neben ihr auf einem Podest aufgereiht standen: Sie stehe für alle
weiteren, bekannten wie unbekannten Opfer rechter Gewalt.
Die zwölf Kerzen bilden den Rahmen für Merkels Rede. Sie waren zuvor von
zwölf Jugendlichen sichtbar unterschiedlicher Herkunft hereingetragen
worden: Ein schlichtes, aber eindrucksvolles Symbol für die heutige
Vielfalt der deutschen Gesellschaft, die Merkel dann in ihrer Trauerrede
beschwört.
Und eine Würdigung all jener "Menschen, deren Leben ausgelöscht wurde durch
kaltblütigen Mord", sagt die Kanzlerin, bevor sie die Namen der zehn Opfer
verliest. Eine Deutschlandfahne, ein Piano und ein Streichorchester bilden
das schlichte Tableau für die Trauerfeier, die am Mittwochmorgen im
preußisch-prunkvollen Konzerthaus am klassizistischen Gendarmenmarkt der
Hauptstadt an die Opfer der Mordserie der Thüringer Terrorzelle erinnerte.
Im Grunde gleicht die Zeremonie einer nachträglichen Eingemeindung, denn
viele der Opfer waren ausländische Staatsbürger. Nach dem Rücktritt von
Ex-Bundespräsident Christian Wulff, dessen Stab die Trauerfeier organisiert
hatte, war Merkel an seiner Stelle eingesprungen.
## Merkel warnt vor Gleichgültigkeit
Sie nutzt die Gelegenheit, um in gewohnt nüchternem Tonfall, aber pointiert
an den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu appellieren. Eindringlich warnt
sie vor Gleichgültigkeit, die "schleichende, aber verheerende Risse in
unserer Gesellschaft" verursache, und vor einer "schleichenden Verrohung
des Geistes".
Dafür seien "ein feines Gehör und Gespür" erforderlich, denn Intoleranz und
Rassismus äußerten sich "keineswegs erst in Gewalt", mahnt sie die rund
1.200 Gäste im Saal: "Gefährlich sind all jene, die Vorurteile schüren, die
ein Klima der Verachtung erzeugen."
Schwer fällt es, dabei nicht an Thilo Sarrazin zu denken. Oder an manch
andere, die an diesem Tag in der ersten Reihe sitzen, wie etwa
Bundesratspräsident und CSU-Chef Horst Seehofer. Der hatte noch im
vergangenen Jahr geprahlt, er werde unerwünschte Einwanderung "bis zur
letzten Patrone" bekämpfen.
Oder der Allparteien-Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck, der im
Oktober 2010 in einem Interview von einer "Überfremdung" durch Muslime
schwadroniert hatte. Merkel ruft die "bittere Wahrheit" ins Gedächtnis,
dass die Angehörigen der Opfer lange alleingelassen und von der Polizei
fälschlich verdächtigt worden waren.
## Kein Mitglied der Bundesregierung war in Dresden
"Dafür bitte ich um Verzeihung", sagt die Kanzlerin, und verspricht, alles
zu tun, damit sich so etwas nicht wiederhole. Die Mordserie selbst nennt
sie "eine Schande für unser Land". Über das Video, das die Mörder
zusammengestellt hatten, sagt sie empathisch, etwas
"Menschenverachtenderes, Perfideres, Infameres" habe sie in ihrer Arbeit
noch nicht gesehen.
Ausdrücklich lobt Merkel das Engagement der Initiativen, die sich vor Ort
gegen Rassismus engagierten und von denen viele Vertreter zu der
Trauerfeier geladen waren. Dabei ist es kein Geheimnis, dass sich viele von
ihnen bei ihrer zuständigen Ministerin Kristina Schröder (CDU) nicht immer
gut aufgehoben fühlen.
Und Merkel erinnert daran, wie sich erst kürzlich in Dresden viele Bürger
zum Jahrestag der Bombardierung die Hände reichten, um den Neonazis dort
Einhalt zu gebieten. Dass niemand aus ihrer Bundesregierung dabei war,
erwähnt sie allerdings nicht.
Trotz dieser Details fällt die Trauerfeier bewegend und würdevoll aus, und
so wird sie auch von vielen Anwesenden empfunden. Das Programm spiegelt
eine deutsch-türkische Symbiose wieder, wie sie nur teilweise schon Alltag
ist: Das Orchester der Berliner Universität der Künste spielt Stücke von
Bach und des türkischen Komponisten Cemal Resit Rey, die beiden
TV-Schauspieler Iris Berben und Erol Sander rezitieren kurze Poeme
türkischer und deutscher Autoren.
## Anrührende Appelle
Und spätestens als der Hannoveraner House-DJ Mousse T. alias Mustafa
Gündogdu am Klavier zu einem Medley aus Stings "Fragile" und "Imagine" in
die Tasten greift und die Sängerin Sharon Phillips zum Lied von John Lennon
anhebt, muss sich so mancher im Saal eine Träne aus dem Auge wischen. Dabei
traten die Angehörigen der Opfer erst danach, zum Höhe- und Schlusspunkt
der Feier, mit ihren anrührenden Appellen ans Rednerpult.
Was aber bleibt? Der Gedenkveranstaltung müssten jetzt "konkrete Taten"
folgen, fordert Dieter Graumann vom Zentralrat der Juden. Sowohl Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) als auch der stellvertretende
SPD-Vorsitzende Klaus Wowereit warnen davor, nach der Gedenkfeier zur
Tagesordnung überzugehen. Doch während die Justizministerin vor allem die
Struktur der Sicherheitsbehörden im Auge hat, wünscht sich Berlins
Bürgermeister mehr Geld für Projekte gegen rechts und eine neue
"Bundesstiftung für demokratische Kultur".
23 Feb 2012
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
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