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# taz.de -- Gauck und die Muslime: "Er spaltet und grenzt aus"
> Gaucks Gerede von "Überfremdung" grenzt Migranten aus, sagt Aylin Selcuk.
> Seine Teilnahme an der Trauerfeier für Neonazi-Opfer habe sie aber
> positiv überrascht.
Bild: Überraschende Teilnahme: Gauck gedenkt der Neonazi-Opfer.
taz: Frau Selcuk, was halten Sie von Joachim Gauck?
Aylin Selcuk: Dass er der gemeinsame Kandidat der meisten Parteien ist, hat
viele Menschen mit Migrationshintergrund nicht so erfreut. Er spaltet und
grenzt aus, statt zu vereinen und zu versöhnen. In einem TV-Interview hat
er 2010 im Zusammenhang mit Muslimen sogar von Überfremdung und Feindschaft
gesprochen.
Woher kennen Sie das Zitat?
Die Sendung findet sich im Netz und wird derzeit viel gepostet, vor allem
auf Facebook.
Gaucks Verteidiger meinen, solche Zitate würden von Kritikern aus dem
Zusammenhang gerissen. Was sagen Sie dazu?
Ich habe mir die Sendung angeschaut: Das Statement ist eindeutig. Aber
zurzeit meinen es viele gut mit ihm. Das irritiert mich, denn mit Wulff ist
man weit weniger behutsam umgegangen. In der Presse ist die
Berichterstattung relativ einseitig - als wäre es ungehörig, Gauck zu
kritisieren. Die meiste Kritik findet sich deshalb im Internet.
Grüne, SPD, FDP und Union haben sich auf Gauck geeinigt. Wofür steht der
Konsenskandidat Ihrer Meinung nach?
Er ist sicher eine wichtige Person und hat wichtige Sachen gemacht. Aber
während er in der DDR lebte, hat sich Westdeutschland stark verändert. Ich
bin hier geboren und Teil dieses Landes, ich bin nicht "fremd". In dieser
Hinsicht muss Gauck offener werden. Wir schreiben auch nicht mehr das Jahr
1989, sondern stehen heute vor neuen Herausforderungen.
Was meinen Sie damit?
Freiheit hat für ihn eine andere Bedeutung als für die heutige Generation.
Wir können heute frei reisen und genießen die Freiheit im Internet: Das
sind die Themen unserer Zeit. Ich möchte in Ruhe chatten, ohne das jemand
mitliest. Und Freiheit ist für mich auch Religionsfreiheit und die Freiheit
von Diskriminierung. Nicht nur Freiheit vom DDR-Regime.
Was stört Sie an Gaucks Haltung zu Muslimen?
Zu sagen, Muslime seien per se fremd, finde ich gefährlich - und sehr
schlicht. Denn gläubige Muslime stehen Christen oft viel näher als etwa
Atheisten.
Sehen Sie sich als Muslimin?
Religion ist für mich Privatsache. Und ich finde, man sollte Menschen nicht
nach ihrer Religionszugehörigkeit beurteilen.
Gauck hat an der Trauerfeier für die Neonazi-Opfer teilgenommen, obwohl er
sie ursprünglich abgelehnt hatte, und das Gespräch mit Angehörigen der
Opfer gesucht. Zeigt das nicht, dass er lernfähig ist?
Das hat mich positiv überrascht. Es zeigt, dass die Kritik bei ihm ankommt
- und das ist auch wichtig. Denn mit Worten kann man viel bewirken. Das
konnte man an der Rede des Vaters von einem der Mordopfer sehen, der beim
Staatsakt am Donnerstag gesprochen hat: Es ist doch der größte Schmerz,
sein eigenes Kind zu verlieren - und dann hat er sich als Erstes bei Wulff
bedankt. Das sagt doch vieles und zeigt, wie wichtig dessen Reden waren -
in einer Zeit, in der man rhetorisch durch Leute wie Seehofer und Sarrazin
ständig ausgegrenzt wurde.
Was könnte Gauck tun, um das Vertrauen der Einwanderer zurückzugewinnen?
Das, was gesagt wurde, kann man schlecht zurücknehmen. Aber ich bin sehr
gespannt auf seine erste Rede. Sie wird zeigen, welche Richtung er als
Bundespräsident einschlagen wird.
27 Feb 2012
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Beate Klarsfeld
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