# taz.de -- Trittin beschimpft "taz": Eine Zensur findet nicht statt | |
> Jürgen Trittin wirft der "taz" in Maybrit Illners Talkshow | |
> "Schweinejournalismus" vor und fordert eine Entschuldigung. Ist da jemand | |
> nervös? | |
Bild: Sooo süüüß: kleine Schweine. | |
Dass Politiker Medien direkt angreifen, passiert selten. Denn es | |
widerspricht der Rollenverteilung: Politiker machen und verkörpern die | |
Macht, Medien kritisieren, und zwar möglichst unbeindruckt von der Macht. | |
Wenn Politiker sich allzu heftig über Medien echauffieren, wirken sie rasch | |
unsouverän, weil sie die eingespielte Inszenierung sprengen. Legendär ist | |
die Wutrede des damaligen SPD-Chefs Kurt Beck, der sich über den | |
Rudeljournalismus gegen ihn beklagte. | |
Am Donnerstag abend konnte man bei "Maybrit Illner" einem dieser raren | |
Frontalangriffe eines Politikers auf eine Zeitung zusehen. Der grüne | |
Fraktionschef Jürgen Trittin attestierte der taz "Schweinejournalismus", | |
den er "nur von der 'Bild'-Zeitung kenne". | |
## Wie CSU und "Bayernkurier" | |
Grund der Aufregung ist [1][ein Text von Deniz Yücel], der dem | |
Bundespräsidenten in spe, Joachim Gauck, Verharmlosung des Holocausts | |
bescheinigt. Für Trittin eine Ungeheuerlichkeit, für die taz sich | |
entschuldigen müsse. Gauck sei Vorsitzender des Vereins "Gegen Vergessen - | |
für Demokratie", der sich der Erinnerung an NS-Verbrechen widmet. | |
taz-Chefredakteurin Ines Pohl antwortete, dass der Text ein Kommentar und | |
eine persönliche Meinungsäußerung sei, die aus gutem Grund geschützt ist. | |
Sie würde nie sagen, dass Gauck den Holocaust verharmlose, so Pohl. | |
Allerdings provoziere Gaucks Lob für Sarrazins Mut oder seine Kritik an dem | |
Satz, dass der Islam zu Deutschland gehört, eben auch überzogene Kritik. | |
Trittin indes beharrte darauf, dass die taz bei dem designierten | |
Bundespräsidenten auf Denunziation setze. Gauck habe sich nach der | |
Trauerfeier für die von Neonazis ermordeten Muslime mit den Angehörigen | |
unterhalten. Für Trittin der Beweis, wie haltlos die Vermutung sei, dass | |
Gauck den Muslimen distanziert gegenüberstehe. Die Debatte beendet CSU-Mann | |
Markus Söder mit dem launigen Hinweis, dass dieses Duell ja so daherkomme, | |
als würde er sich im Fernsehen mit der CSU-Parteizeitung Bayernkurier | |
streiten. | |
Yücels Text ist eine Polemik. Die Frage aber, wo die Grenze zwischen | |
legitimen Antitotalitarismus und unzulässiger Relativierung des Holocausts | |
verläuft, ist für Polemiken eher ungeeignet. | |
## Als Erster Gauck vorgeschlagen | |
Fakt ist aber: Die taz ist eine der wenigen Zeitungen, in der Pro- und | |
Contra scharf aufeinander prallen. Auf der Meinungsseite am Mittwoch war | |
ein fast leidenschaftliches Plädoyer für Gauck zu lesen, das eine harte | |
Kritik an den linken Gegnern von Gauck war. Anderswo, von Bild bis FAZ, | |
wird in den Leitmedien durchweg das hohe Lied vom Bürgerpräsidenten | |
gesungen. Keine Debatte, nirgends. | |
Auch die politische Klasse steht wie eine Einheitsfront hinter ihm. SPD und | |
Grüne, FDP und Union hat ein jeweils sehr eigennütziges machtpolitisches | |
Kalkül dazu gebracht, diesen Kandidaten zu küren. Gauck ist der Präsident | |
einer ganz großen Koalition, ohne Linkspartei natürlich, von den meisten | |
Medien kritiklos bejubelt. | |
Dieses Unisono steht in hartem Kontrast zu dem Kandidiaten selbst, der es | |
manchmal auf Provokation anlegt und dem hoch fahrender Moralismus nicht | |
fremd ist. Gauck wird in der Bundesversammlung einmütig gewählt werden, so | |
wie zuletzt nur Richard von Weizsäcker 1989. Ein Konsenspräsident, der die | |
halbe Republik auf die Palme bringt: Langweilig wird das nicht. | |
Jürgen Trittin hat, nach eigenem Bekunden, 2010 als erster Gauck | |
vorgeschlagen. Er soll als Kandidat der Grünen gelten. Renate Künast | |
zufolge ist sogar der Freiheitsbegriff von Gauck ein grüner. Kann es sein, | |
dass Trittins Attacke - das Wort "Schweinejournalismus" für einen Kommentar | |
- eine gewisse Nervosität verrät? | |
24 Feb 2012 | |
## LINKS | |
[1] /Kommentar-Gauck/!88277/ | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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