| # taz.de -- BUNDESPRÄSIDENTEN-KÜR: "Das ist ein Medien-Problem" | |
| > Zahra Mohammadzadeh will bei Bundesversammlung für Joachim Gauck stimmen | |
| > - auch wenn seine Äußerungen zur Integrationspolitik umstritten sind. | |
| Bild: Joachim Gauck, wieder Kandidat | |
| taz: Frau Mohammadzadeh, hatten Sie sich für die Bundesversammlung | |
| beworben? | |
| Zahra Mohammadzadeh: Nein, ich bin vorgeschlagen worden. Und ich freue mich | |
| riesig darüber. Es bedeutet mir sehr viel. | |
| Warum? | |
| Es ist für mich eine große Ehre, die Bremer Grünen dort vertreten zu | |
| dürfen. Das ist für mich ein Akt auch der Integration und der politischen | |
| Partizipation. | |
| Na, viel zu partizipieren gibts ja nicht. Der Kandidat… | |
| …für mich hat diese Wahl unabhängig davon, wer gewählt werden soll, | |
| Bedeutung. Die Bundesversammlung ist keine bloße Dekoration. Und dass ich | |
| dorthin entsandt werde, aus meinem Bundesland, das hat für mich große | |
| Symbolkraft. | |
| Einigen MigrantInnen, auch aus den Grünenfraktionen in Bund und Ländern, | |
| gilt Gauck als unwählbar. Ihnen auch? | |
| Einen Menschen zu wählen heißt nicht, für alles zu sein, was er gemacht | |
| hat. | |
| Klar. Aber für etwas. | |
| Mir gefällt, dass Joachim Gauck in seinem neuen Buch darauf hinweist, dass | |
| Geld alleine nicht glücklich macht, und wir auch nach Sinn suchen müssen. | |
| Keine besonders originelle Ansicht gerade für einen Pastor! | |
| Ich kann nicht beurteilen, ob das originell ist. Auch fühle ich mich dem | |
| Kandidaten auf gewisse Weise sogar persönlich verbunden: Die Frage des | |
| Zusammenlebens, der Integration von Ost- und West-Deutschen, scheint mir | |
| mit meinen eigenen Themen verwandt. | |
| Naja - integrationspolitisch hat er sich kaum hervorgetan, außer mit | |
| befremdlichen Äußerungen zu Herrn Sarrazin. Im Berliner Abgeordnetenhaus | |
| hat er den MigrantInnen, überspitzt gesagt, klar gemacht, dass sie sich | |
| gefälligst anzustrengen hätten… | |
| So habe ich das nicht verstanden. Ich bin der Meinung, dass es ihm darum | |
| ging, wegzukommen von einer paternalistischen Haltung bei den | |
| integrationspolitischen Maßnahmen. Das ist eine Ansicht, die ich teile: Ich | |
| halte nichts davon, MigrantInnen zu entmündigen. Es bringt nichts, | |
| irgendwelche Frauen aus islamischen Ländern oder migrantische Familien mit | |
| vielen Kindern zu bedauern und als Opfer der Umstände wahrzunehmen. Es geht | |
| darum, diese Menschen zu aktivieren. | |
| Gauck arbeitet dafür mit klar feindseligen Stereotypen von "eingewanderten | |
| Familien", die, aus einer Verweigerungshaltung heraus, "nach Jahren" die | |
| Landessprache nicht kennten und an denen "alle Integrationsbemühungen | |
| scheitern". Erinnert Sie das nicht an Sarrazin, den er gut findet? | |
| Er hat nicht gesagt, dass er Sarrazin gut findet. | |
| Stimmt. Mutig hat er ihn genannt. | |
| Er hat auch dessen Biologismus-Thesen kritisiert. Mut sieht Gauck sicher | |
| nicht darin, populistische Thesen zu verbreiten, sondern vielmehr darin, | |
| ein schwieriges Thema anzusprechen, das aus der Angst heraus, falsch | |
| verstanden werden zu können, nicht angerührt wird. Wenn ,heiße Eisen' von | |
| Demokraten zu sehr gemieden werden, überlässt man wichtige Themen wie die | |
| Integration den Populisten wie Sarrazin. Richtig ist, dass über Gauck im | |
| Netz derzeit viel Widersprüchliches zu lesen ist. | |
| Er hat im Tagesspiegel Sarrazin gelobt und kurz drauf der Süddeutschen | |
| bestätigt, dass dessen biologistischen Auslassungen ein Problem sind. | |
| Wir haben in der Politik immer wieder Menschen, die Äußerungen machen, mit | |
| denen wir uns auseinandersetzen müssen - und wir müssen auch den Kontext | |
| und die Zwischentöne betrachten, die beim Zitieren anderer Medien mitunter | |
| verloren gehen. | |
| Was finden Sie gut an ihm? | |
| Wir brauchen in Deutschland eine konsequente Politik gegen | |
| Menschenrechtsverletzungen. Das ist etwas, was ich von Gauck erwarte. Das | |
| hat er auch als Vorstand der Stiftung ,Gegen Vergessen - Für Demokratie' | |
| verfolgt. Er hat sich auch sehr für die Aufklärung der Nazimorde engagiert | |
| Es gab im November eine Pressemitteilung dazu. | |
| Nach dem, was ich von BremerInnen weiß, die in dieser Stiftung mitarbeiten, | |
| hat er sich in der Sache persönlich stark eingebracht. Noch einmal: Man | |
| muss ihn bestimmt kritisieren. Aber man kann nicht sagen, weil er da oder | |
| dort diese oder jene Äußerung gemacht hat, ist er nicht wählbar. Ihn zu | |
| unterstützen war eine gemeinsame Entscheidung. | |
| Gemeinsam - von wem? | |
| Von den Grünen - erst im Bundestag, aber auch wir hier haben das | |
| besprochen. Ich kenne Gauck nicht persönlich, aber sein Verständnis von | |
| Freiheit, selbstbestimmt zu leben - das ist für mich entscheidend. Ob er | |
| dabei das Gleiche meint wie ich - das weiß ich nicht. | |
| Sie können ihn ja fragen! | |
| Ja, ich bekomme die Gelegenheit. Das darf man nie unterschätzen. | |
| 26 Feb 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
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