| # taz.de -- Schrift des kommenden Bundespräsidenten: Gauck, Liebhaber der Frei… | |
| > Mitten im Nominierungsrummel wird Joachim Gaucks kleine Schrift | |
| > „Freiheit. Ein Plädoyer“ veröffentlicht – eine Lebensphilosophie des | |
| > designierten Bundespräsidenten auf 64 Seiten. | |
| Bild: Der kleine Gauck für die Hosentasche. | |
| Es hat selten eine so kontroverse Debatte über den Kandidaten für das | |
| höchste Staatsamt gegeben. Der kommende Bundespräsident ist dabei nicht nur | |
| Gegenstand von allerlei Kritik, sondern auch von widersprüchlichen | |
| Erwartungen geworden: Wofür steht Joachim Gauck? Vertritt er den „richtig | |
| grünen Freiheitsbegriff“, wie Renate Künast meint? Oder passt der | |
| Ostdeutsche als „Verfechter der Freiheit“ eher zur FDP, die ihn als „im | |
| besten Sinne Liberaler“ für sich reklamiert? | |
| Der Kösel Verlag hat jetzt im Rummel um die Nominierung Gaucks die | |
| Veröffentlichung eines Bändchens vorgezogen: „Freiheit. Ein Plädoyer“. D… | |
| Text basiert auf einer Rede, die 2010 vor der Evangelischen Akademie | |
| Tutzing gehalten wurde. Gauck stellte sich dort als „Liebhaber der | |
| Freiheit“ vor. Und wie bei aller Liebhaberei ist es weniger Theorie oder | |
| systematische Idee, welche der Neigung zum Gegenstand entspringt. | |
| Gauck spricht von Freiheit vielmehr als seinem „Lebensthema“, von der | |
| Freiheit eines Mannes aus der DDR, der, wie er einmal sagte, „gegen die | |
| Übermacht des Staates“ gekämpft habe – dem aber andere attestierten, dies… | |
| Kampf erst begonnen zu haben, als schon keine Gefahr mehr damit verbunden | |
| war. „Bürgerrechtler der letzten Stunde“ hat man ihn genannt, und so fällt | |
| beim Lesen besonders ins Gewicht, wenn das mäandernd Pastorale seiner Rede | |
| ins gezielt Vorwurfsvolle umkippt: gegen jene, welche die politische | |
| Freiheit des Westens gering schätzten, die angeblich falschen Toleranten, | |
| nicht zuletzt gegen die Linken. | |
| Freiheit hat für Gauck zwei Gesichter. Das eine, „anarchische“, das er mit | |
| dem jugendlichem Drang nach Herrschaftsfreiheit verbindet und am Beispiel | |
| der Französischen Revolution in den Terror münden sieht, ist ihm „Freiheit | |
| von etwas“. | |
| ## Freiheit als Pflicht | |
| Dagegen setzt der einstige Kirchenfunktionär eine „Freiheit für und zu | |
| etwas“, eine, „die man nicht fürchten muss“ und die vor allem das ist: | |
| „Verantwortung“. Die „wunderbare Fähigkeit“ dazu hält Gauck für | |
| gottgeschaffen – und so bekommt Freiheit etwas von einer Pflicht, die sich | |
| auf fehlende materielle Bedingungen nicht herausreden dürfe: „Zu essen | |
| haben wir mehr als genug. Wir haben auch genug zu trinken. Damit kann man | |
| uns nicht locken.“ | |
| Dem Glück der Existenz, jenem „Erfüllt-Sein“ durch Verantwortung, von dem | |
| Gauck spricht, fehlt es am sozialen Fundament. Nicht durch „unsere Rolle im | |
| Wirtschaftsleben“ glaubt er die Menschen bestimmt, „entscheidend ist die | |
| Teilhabe an der Macht“. Die Freiheit, die Gauck hier meint, kennt nicht | |
| das, was ein Liberaler wie Ralf Dahrendorf „Dimensionen der Freiheit in | |
| Gesellschaft“ genannt hat, also ihre unauflösbare Verbindung mit Chancen. | |
| Mehr noch: Gaucks Plädoyer zur „Bereitschaft, Ja zu sagen zu den | |
| vorfindlichen Möglichkeiten der Gestaltung“ sieht im Bestehenden schon das | |
| Erreichbare. Aber haben denn alle bereits die Chance, ihre Freiheit auch zu | |
| ergreifen? Zwar räumt auch Gauck „Mängel in unsere Demokratie“ ein, weist | |
| aber gleich den „alt-neuen Versuch“ zurück, „Antikapitalismus in die | |
| politische Debatte zu bringen“: Die Sehnsucht nach einem Leben jenseits der | |
| sozial genannten Marktwirtschaft sei „blind oder ideologisch“, das Streben | |
| danach führe jedenfalls zu „weniger Freiheit“. | |
| Man möchte darauf mit Heinz Bude antworten. Der Soziologe hat einmal davor | |
| gewarnt, „den Schein der historischen Abgeschlossenheit der | |
| kapitalistischen Produktionsweise (…) als unbezweifelbare und | |
| unüberbietbare Kondition unserer Existenz“ hinzunehmen. Der Gedanke daran, | |
| die Verhältnisse umzustoßen, liegt angesichts ihrer bedrückenden Realität | |
| nämlich nicht nur nahe. Die Welt in ihrem Grunde verändern – das ist auch | |
| „ein Ausdruck unserer Freiheit“. | |
| Joachim Gauck: "Freiheit. Ein Plädoyer". Kösel Verlag, München 2012, 64 | |
| Seiten, 10 Euro | |
| 28 Feb 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Tom Strohschneider | |
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| Beate Klarsfeld | |
| Beate Klarsfeld | |
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