Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Der designierte Präsident und das Netz: Gauck schreibt wie ein Au�…
> Joachim Gauck schreibt im Vorwort für eine Studie über Internetnutzung,
> das Netz bedrohe Grundrechte. Er selbst scheint allerdings ein Netz-Laie
> zu sein.
Bild: Noch zu sehr aus der Papier-Ära, um ein digitaler Einheimischer zu sein:…
Das „Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet“ (Divsi)
stand in dieser Woche vor einem Problem: Es hatte das renommierte
Sinus-Institut gebeten, die digitale Gesellschaft in soziale Milieus
einzuteilen, doch gerade als es Zeit war, die daraus entstandene Studie der
Öffentlichkeit vorzustellen, stand das Divsi ohne seinen Schirmherren
Joachim Gauck da. Dieser war plötzlich mal wieder zum Kandidaten für das
Bundespräsidentenamt gemacht worden.
Gauck hatte vor seiner Nominierung aber noch Zeit, [1][das Vorwort der
Studie] zu schreiben, das ein interessantes Licht auf sein Verhältnis zum
Internet wirft. Damit nicht wieder die halbe Nation das komplette Zitat
herauszusuchen braucht, gibt es den entscheidenden Absatz direkt in voller
Länge:
„Das weltweite Internet bietet alle Voraussetzungen, um die in den ersten
zehn Artikeln unserer Verfassung verankerten Grundrechte aller Bürger in
diesem Land auszuhöhlen. Dies gilt insbesondere für das Recht auf freie
Meinungsäußerung und Pressefreiheit in Artikel Fünf – eine wesentliche
Grundlage unserer funktionierenden Demokratie – und es gilt letztlich auch
für den Kernsatz unserer Verfassung, den Artikel Eins des Grundgesetzes:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Erklärende Worte darüber, wie oder warum das Netz unsere Grundrechte
bedroht, findet man in Gaucks Vorwort nicht. Anscheinend dachte der Autor –
bei Vorworten in Studien darf man zurecht die Frage stellen, ob sie auch
wirklich derjenige geschrieben hat, dessen Foto daneben steht – der Absatz
würde sich von selbst erklären. Tut er aber nicht.
## Kaum ein Grundrecht bedroht
Wie kann das Internet „insbesondere“ die Meinungs- und Pressefreiheit
aushöhlen? „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild
frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen
Quellen ungehindert zu unterrichten.“ So lautet der erste Satz dieses
Grundrechtes. „Und dem Internet sei dank“, so könnte man ihn sinnvoll
ergänzen, „hat heute nicht nur jeder das Recht dazu, sondern auch die
Möglichkeit.“
Das einzige der ersten zehn Grundrechte, das tatsächlich durch das Internet
bedroht wird, ist Artikel Zehn, in dem das Brief- und Postgeheimnis
festgelegt ist. Bei anderen Grundrechten spielt das Internet entweder keine
Rolle, etwa bei der Religionsfreiheit, oder scheint diese Rechte sogar noch
zu stützen.
Man könnte zum Beispiel mal die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo
fragen, ob das Internet ihrer Meinung nach die Versammlungsfreiheit
bedroht. Oder nehmen wir das Recht auf die freie Entfaltung der
Persönlichkeit, wie es in Artikel Zwei festgelegt ist.
Das Internet hat vielen Menschen überhaupt erst die Möglichkeit gebracht,
ohne großen Aufwand Gleichgesinnte zu treffen, und so ihre Persönlichkeit
zu entfalten – auch wenn das im Einzelfall bedeutet, sich
Chatroulette-Schwänze anzusehen. Welche Entfaltungsmöglichkeiten uns das
Netz genommen hat oder nehmen könnte, ist dagegen schwer nachzuvollziehen.
## Ein digitaler Außenseiter?
Der zitierte Absatz wurde dem Vorwort einer Studie entnommen, welche die
digitale Gesellschaft in soziale Milieus unterteilt. Doch in welche dieser
Gruppen kann man unseren künftigen Bundespräsidenten denn nun einordnen?
Auf den ersten Blick sieht alles danach aus, dass Gauck dem Milieu der
ordnungsfordernden Internet-Laien angehört – also dem Milieu der digitalen
Außenseiter, das dem Netz generell mit Skepsis begegnet und nach einem
starken Staat schreit, der es in die Schranken weist. Damit würde man Gauck
aber nicht gerecht.
Nirgendwo in seinem Vorwort erwähnt er den Staat oder verlangt von ihm, das
Netz zu regulieren. Ganz im Gegenteil appelliert er an die Verantwortung
des einzelnen Nutzers: „Die Unendlichkeit im Netz hört spätestens dort auf,
wo wir klären müssen, wie viel Risiko, wie viel Verantwortung und wie viel
Freiheit meiner Aktivitäten im Netz ich mir selbst zutraue. Eine
Entscheidung, die letztlich jeder User für sich allein treffen muss.“
Gauck stellt also die Verantwortung des Einzelnen in puncto Sicherheit über
die Verantwortung des Staates. Damit ist er weit vom Milieu der
ordnungsfordernden Internet-Laien entfernt. Man trifft diese Einstellung
sogar meist bei digitalen Eingeborenen an. Zu denen kann Gauck zwar schon
alleine aus Altersgründen nicht zählen, man darf aber dennoch hoffen, dass
dem künftigen Bundespräsidenten nicht nur die Freiheit im analogen Raum
wichtig ist.
4 Mar 2012
## LINKS
[1] http://www.divsi.de/sites/default/files/presse/docs/DIVSI-Milieu-Studie_Ges…
## AUTOREN
Sebastian Fischer
## ARTIKEL ZUM THEMA
David Gill, der Vertraute von Gauck: Klempner mit Bibelkenntnissen
Der 45-jährige Jurist David Gill wird der neue Chef des
Bundespräsidialamtes. Joachim Gauck wurde schon früh auf ihn aufmerksam.
Bürgerrechtler kritisieren Joachim Gauck: Eine andere „Freiheit“ gemeint
Bürgerrechtler aus der ehemaligen DDR wollen Joachim Gauck sehr genau
beobachten, sollte er Bundespräsident werden. Sie kritisieren, Gaucks
Verständnis von Freiheit gehe nicht weit genug.
Debatte Joachim Gauck: Gänsehaut bei Gauck
Joachim Gauck nutzt Emotionen und Erinnerungen als rhetorische Waffen.
Einige Anmerkungen zur viel gerühmten Redekunst des
Präsidentschaftskandidaten.
Studie zur digitalen Gesellschaft: Darum poked die Oma nicht
Hedonisten, Performer, Skeptiker: Das renommierte Sinus-Institut hat die
digitale Gesellschaft erstmals in soziale Milieus eingeteilt. Es geht um
Außenseiter, Immigranten und Eingeborene.
Schrift des kommenden Bundespräsidenten: Gauck, Liebhaber der Freiheit
Mitten im Nominierungsrummel wird Joachim Gaucks kleine Schrift „Freiheit.
Ein Plädoyer“ veröffentlicht – eine Lebensphilosophie des designierten
Bundespräsidenten auf 64 Seiten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.