# taz.de -- Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle: Der Lobbyist aus Karlsruhe | |
> Früher sagte Andreas Voßkuhle, ein Richter spreche nur durch seine | |
> Urteile. Inzwischen wirbt der Verfassungsrichter direkt in der Politik | |
> für Akzeptanz. | |
Bild: Macht eine gute Figur: Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle. | |
KARLSRUHE taz | Bundespräsident wollte Andreas Voßkuhle nicht werden, als | |
er neulich gefragt wurde, ob er für das Amt kandidieren wolle. Dennoch ist | |
der Präsident des Bundesverfassungsgerichts ein durchaus politischer | |
Richter. Im Namen seines Gerichts sucht der 48-Jährige immer öfter den | |
Kontakt zu Parteien und Politikern. | |
Normalerweise kommt die Politik nach Karlsruhe. So will das Gericht im | |
kommenden Jahr wieder zahlreiche hochpolitische Verfahren entscheiden, wie | |
beim Karlsruher Jahrespresseempfang am Mittwochabend bekannt wurde. | |
Lässt der ZDF-Vertrag zu viel Staatseinfluss auf den Rundfunk zu? Darf der | |
Verfassungsschutz die Bundestagsfraktion der Linkspartei überwachen? | |
Verzerrt das neue Wahlrecht den Wählerwillen durch zu viele | |
Überhangmandate? | |
Doch das Gericht ist überlastet. Im Vorjahr haben die Verfassungsrichter | |
von 58 angekündigten Großverfahren nur 22 abschließen können, also weniger | |
als die Hälfte. Die Richter stöhnen vor allem über die Flut der | |
Verfassungsbeschwerden. Über 6.000 waren es wieder im Jahr 2011 – viele | |
davon, so versichern die Richter, hätten keinerlei Substanz, seien wirr, | |
absurd und ohne jede Erfolgschance. | |
Für solche Klagen, oft sogar dutzendweise eingereicht, wünschen sich die | |
Richter eine „Mutwillensgebühr“. Doch die zuständige Justizministerin | |
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zögert. Nach Darstellung von | |
Voßkuhle will sie sich das eher unpopuläre Projekt erst dann zu eigen | |
machen, wenn das Gericht selbst den politischen Konsens hierfür organisiert | |
hat. | |
Und so muss Andreas Voßkuhle nun als Bittsteller bei den Parteien für die | |
Reform werben. Dabei hat er in den letzten Monaten fast alle Fraktionen | |
besucht. Bei der CSU nahm er sogar als Stargast an der Klausur in | |
Wildbad-Kreuth teil. | |
## Den Politikern die Rechtsprechung erklären | |
Doch wenn der Richter auf die Politik zugeht, hat er nicht nur | |
institutionelle Anliegen. Er versucht auch, den Politikern die Karlsruher | |
Rechtsprechung nahezubringen. Ursprünglich wollte Voßkuhle, der vor Beginn | |
seiner Karlsruher Amtszeit als Rechtsprofessor an der Freiburger Uni | |
wirkte, so etwas vermeiden. „Der Richter spricht nur durch seine Urteile“, | |
zitierte er das Motto aller Gerichte. | |
Aber was tun, wenn die Politik die Urteile nicht versteht? Was tun, wenn | |
die Politiker nur schiefe Zusammenfassungen kennen, die oft von Gegnern der | |
Karlsruher Rechtsprechung stammen? | |
Wendepunkt war für Voßkuhle die Debatte um das Lissabon-Urteil, bei dem | |
Karlsruhe 2009 die Grenzen der EU-Integration aufzeigte. Damals hat | |
Voßkuhle verstanden, dass es mehr Akzeptanz und Verständnis schafft, wenn | |
er Politikern solche Urteile persönlich erklärt. | |
Die meisten Verfassungsrichter tragen die Werbe-Offensive ihres Präsidenten | |
mit – jedenfalls, solange er nicht seine Privatmeinung als Position des | |
Gerichts ausgibt und die Distanz zur Politik halbwegs gewahrt bleibt. Die | |
Richter wissen, dass diese Distanz das größte Kapital des | |
Verfassungsgerichts ist. | |
Immerhin scheint Voßkuhle als Lobbyist eine gute Figur zu machen. So gut, | |
dass der SPD-nahe Jurist vor zehn Tagen, als dringend ein neuer | |
konsensfähiger Bundespräsident gesucht wurde, schnell zum Wunschkandidaten | |
der schwarz-gelben Koalition wurde. Doch Voßkuhle lehnte ab. Kein Wunder, | |
denn wenn er 2020 am Verfassungsgericht ausscheidet, ist er erst Ende 50. | |
Dann kann er immer noch ins Bellevue gehen. | |
2 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
EZB | |
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