Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Richter und Regierungen: Der Anschein der Nähe
> Richter sollten sich nicht mit ihren wichtigsten Prozessparteien
> besprechen. Doch die Bundesregierung trifft sich regelmäßig mit
> Verfassungsrichtern.
Bild: Verstehen sich gut: Regierung und Gericht.
FREIBURG taz | Die Bundesregierung ist am Mittwoch mal wieder nach
Karlsruhe gereist. Diesmal aber musste sie nicht um die Fortgeltung von
Gesetzen und Verträgen bangen. Das Treffen wirkte eher wie ein Rendezvous
zweier befreundeter Staatsorgane. Richter und Regierende haben über moderne
Technologien und die weitere Entwicklung in Europa geplaudert.
Das Bundesverfassungsgericht sprach im Vorfeld von "Arbeitsgesprächen", die
Bundesregierung von einem "allgemeinen Gedankenaustausch". Nach einer
Diskussion hinter verschlossenen Türen im Sitzungssaal des Gerichts gab es
ein gemeinsames Abendessen. Fast alle Verfassungsrichter und etwa die
Hälfte der Bundesregierung inklusive Bundeskanzlerin Angela Merkel saßen in
bunter Reihe - um sich besser kennenzulernen.
Es war nicht die erste Begegnung dieser Art. Dokumentiert sind solche
Treffen seit 1986. Seither gab es fünf weitere offizielle Runden, zuletzt
im Juni 2010 in Berlin. Ähnliche Kontakte unterhält das Verfassungsgericht
mit dem Bundestag. Einmal pro Wahlperiode kommen die Richter mit dem
Parlamentspräsidium und den Fraktionsvorsitzenden zusammen. Auch die
Stuttgarter Landesregierung trifft man regelmäßig - weil das Gericht in
Baden-Württemberg sitzt.
Aktive und ehemalige Verfassungsrichter halten die Treffen für völlig
harmlos und unproblematisch. Schließlich seien sie nicht geheim, sondern
werden per Pressemitteilung der Öffentlichkeit angekündigt. Und die
Sprecherin des Gerichts versichert, dass weder offiziell noch am Rande über
laufende Verfahren und über vergangene Urteile gesprochen werde.
Was aber würde man über ein Arbeitsgericht denken, dessen Richter sich
regelmäßig mit dem wichtigsten Unternehmer vor Ort zum vertraulichen
Gedankenaustausch treffen? Fände man auch das ganz harmlos und
unproblematisch? Die Bundesregierung ist in Karlsruhe immerhin die
wichtigste Prozesspartei und nimmt an den meisten hochpolitischen Verfahren
teil.
## Klausurabende sind nicht vorgesehen
Am Mittwoch wollten Richter und Minister auch über die Zukunft Europas
diskutieren. Gleichzeitig läuft am Zweiten Senat des Verfassungsgerichtes
noch das Verfahren um die parlamentarische Kontrolle des
Eurorettungsschirms. Das Urteil wird Ende Februar verkündet.
Natürlich gibt es zu Europa viel Grundsätzliches zu besprechen.
Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle und Richter Michael Huber erklärten Ende
letzten Jahres in Interviews, dass mit der deutschen Verfassung keine
größeren Schritte zur EU-Integration mehr möglich seien. Man müsse dann
schon das Grundgesetz aufgeben und eine Volksabstimmung durchführen. Die
Bundesregierung will dagegen die Haushaltskontrolle der EU über hoch
verschuldete EU-Staaten verbessern, notfalls per Sparkommissar.
Auch Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) war im
Januar 2011 zu Besuch in Karlsruhe. Mit ihr sprach man unter anderem über
Sicherungsverwahrung. Angeblich aber nicht über das Urteil zum selben
Thema, das Karlsruhe vier Monate später verkündete.
Dem deutschen Verfassungsprozessrecht sind solche abstrakten Arbeitstreffen
fremd. Was in einem bestimmten Verfahren wichtig ist, soll dort per
Schriftsatz vorgetragen werden. Wenn der Sachverhalt komplex und
diskussionswürdig ist, gibt es auch eine mündliche Verhandlung. Die
Regierung hat also genug Möglichkeiten, Informationen und Sichtweisen
einzubringen. Das Gericht hat am Ende Gelegenheit, sein Urteil zu begründen
und auch in einen größeren Zusammenhang zu stellen.
Dagegen sind regelmäßige Klausurabende der Richter mit ihrer wichtigsten
Prozesspartei im Justizsystem zu Recht nicht vorgesehen. Denn was dort an
gemeinsamen Erkenntnissen entsteht, bleibt nicht nur der Öffentlichkeit,
sondern auch den jeweiligen Prozessgegnern der Bundesregierung verborgen.
Doch warum sehen die sonst so sensiblen Verfassungsrichter darin kein
Problem? Da ist zum einen der mutmaßliche Nutzen solcher Treffen. Wenn man
sich besser kennt und die Logik des jeweils anderen Postens besser
versteht, dann finden auch die Karlsruher Urteile mehr Akzeptanz, so hoffen
die Richter.
## Schlaflose Richter
Außerdem seien solche offen angekündigten Treffen lange nicht so bedenklich
wie allerlei individuelle Kontakte, die es ohnehin ständig gibt. Da treffen
sich Verfassungsrichter und Politiker bei Tagungen und Festakten. Da rufen
Minister in Karlsruhe an und werden durchgestellt - oder auch nicht.
Wenn es massive Kritik am Gericht gibt, bekommen das die Richter jedenfalls
auch sehr persönlich gesagt. So erhielten nach dem europaskeptischen Urteil
zum Lissabon-Vertrag die konservativen Richter Rüffel von ihren
konservativen Freunden, und auf die linken Richter wurde Druck von ihren
linken Freunden ausgeübt. Manche konnten nicht mehr gut schlafen, so massiv
war der politische "Dialog" mit dem Gericht.
Auf der anderen Seite können und müssen Verfassungsrichter das aushalten.
Sie sind schließlich auf zwölf Jahre gewählt, ohne Möglichkeit der
Wiederwahl. Auf das Wohlwollen der Politik sind sie persönlich nicht
angewiesen. Und zu große politische Nähe würde auch ihren internen Einfluss
am Gericht schmälern, wo niemand als Marionette einer Partei wirken will.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass die Richter regelmäßige
Treffen mit der Bundesregierung kaum als Tabubruch begreifen. Sie sind so
erfüllt von ihrem Richter-Ethos, dass sie den Anschein zu großer Nähe, der
solchen Treffen anhaftet, kaum wahrnehmen können.
Nach der Wiedervereinigung gab es allerdings mal eine Diskussion, ob das
Bundesverfassungsgericht nach Berlin oder Potsdam umziehen sollte. Das
haben die Richter bei einer internen Abstimmung im Jahr 2000 mehrheitlich
abgelehnt. Zu viel Nähe behindere die Kontrolle der Politik, hieß es
damals. Man müsse sich nicht jeden dritten Abend im Restaurant, im Theater
oder bei Vernissagen begegnen.
Im Großen funktioniert er also, der Karlsruher Kompass.
16 Feb 2012
## AUTOREN
Christian Rath
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.