# taz.de -- Unterstützte armenische Forschung: Die türkischen Oskar Schindler | |
> Die Hrant-Dink-Stiftung in Istanbul sucht „Gerechte“ aus der Zeit des | |
> Völkermordes an den Armeniern. Ein Gespräch mit dem Genozidforscher Taner | |
> Akcam. | |
Bild: Auf houshamadyan.org wird systematisch alles zusammengetragen, was über … | |
Es ist keine große, aber doch eine illustre Runde, die sich letzte Woche in | |
einem Kulturzentrum in Istanbul zu einer ganz besonderen Veranstaltung | |
versammelte. Unter der Teilnahme bekannter Publizisten und Akademiker | |
vergibt die Hrant Dink Foundation, die Stiftung des vor fünf Jahren | |
ermordeten armenisch-türkischen Journalisten und Menschenrechtler Hrant | |
Dink, an diesem Abend einen Preis, der aus politischen Gründen nicht Preis | |
genannt wird, sondern etwas umständlich „Unterstützung für historische | |
Studien“. | |
Es geht darum, wie Alper Öktem, einer der Hauptsponsoren für den Preis, | |
erklärt, „Recherchen zu unterstützen, bei denen nach Menschen gesucht wird, | |
die während des Völkermords an den Armeniern 1915 Menschenleben gerettet | |
haben. Die Suche nach den türkischen Schindlers quasi.“ Alper Öktem, der in | |
Bielefeld lebt und dort als Arzt tätig ist, verbindet damit die Hoffnung, | |
„noch andere Ebenen zu finden, um über die Tragödie des armenischen Volkes | |
im Osmanischen Reich zu reden, als nur immer über den Streit: war es ein | |
Völkermord, ja oder nein“. | |
Er ging mit seiner Idee zur Hrant-Dink-Stiftung in Istanbul, die sich | |
generell damit befasst, armenisches Leben im Osmanischen Reich wieder im | |
Bewusstsein der heutigen türkischen Gesellschaft zu verankern, und lief | |
dort nur offene Türen ein. Alper Öktem gab das Geld für die | |
Anschubfinanzierung eines Fonds, und erstmals im letzten Jahr konnte eine | |
von der Hrant-Dink-Stiftung ausgesuchte Jury einige tausend Euro zur | |
Unterstützung eines Buchprojektes bereitstellen, bei dem positive Beispiele | |
aus dem damaligen militärischen und bürokratischen Apparat dargestellt | |
werden. | |
Der diesjährige Preisträger ist Vahe Tachjian, ein junger armenischer | |
Wissenschaftler aus dem Libanon, der über das Alltagsleben der Armenier im | |
Osmanischen Reich vor dem Ersten Weltkrieg forscht. Er hat eine | |
[1][Website] eingerichtet[2][http://www.houshamadyan.org], auf der | |
systematisch alles zusammengetragen wird, was über einzelne frühere | |
armenische Dörfer oder armenische Gemeinden in größeren Städten | |
aufzutreiben ist. Dabei befragen er und seine Mitarbeiter zunächst | |
Nachkommen armenischer Flüchtlinge, die damals überlebten, aber | |
gleichzeitig hofft Tachjian auf Reaktionen aus der türkischen | |
Zivilgesellschaft, die ja auch seit einigen Jahren begonnen hat, sich der | |
Armenier und mancher versteckter armenischer Wurzeln wieder zu erinnern. | |
## Der Türke, das Böse | |
Die Laudatio für Vahe Tachjian hielt in diesem Jahr Taner Akcam. Der ist | |
der wohl bekannteste türkische Genozidforscher, der wegen seiner | |
eindeutigen „Pro Völkermord“-Position“ auch nicht an einer türkischen | |
Universität arbeiten kann, sondern mittlerweile einen Lehrstuhl an einer | |
amerikanischen Universität in der Nähe von Boston innehat. Akcam freut sich | |
über die Initiative Alper Öktems und der Hrant-Stiftung, weil es, wie er | |
sagt, „bislang keine seriöse Forschung zu diesem Gebiet gibt“. | |
Das hat zwei Gründe: Von türkischer Seite muss man ja erst einmal | |
anerkennen, dass es einen Völkermord gegeben hat, bevor man auf die Suche | |
nach Leuten gehen kann, die sich dem Morden widersetzt haben. Und die | |
Armenier, meint Akcam, reden öffentlich nicht darüber. „Immer wenn ich | |
irgendwo auf der Welt eine Veranstaltung mache, kommen anschließend | |
Armenier zu mir, die mir, ganz privat sozusagen, erzählen, dass ihre | |
Vorfahren durch Türken gerettet wurden. Sie wollen das nicht öffentlich | |
sagen, als Reaktion auf die Leugnungspolitik des türkischen Staates.“ | |
Akcam: „Weil der türkische Staat bis heute bestreitet, dass es damals einen | |
Völkermord gegeben hat, hat die armenische Diaspora weltweit eine Identität | |
entwickelt, in der der Türke an sich das Böse ist. Zu dieser Identität | |
passen keine türkischen Retter, auch wenn viele armenische Familien wissen, | |
dass es sie gegeben hat.“ | |
## Wendepunkt 2007 | |
Doch es gibt einen Wendepunkt, wenn auch nicht für den Staat, so doch für | |
einen Teil der türkischen Gesellschaft und die armenische Diaspora. „Und | |
der“, sagt Akcam, „war die Reaktion auf den Mord an Hrant Dink im Januar | |
2007.“ Damals gingen mehr als hunderttausend Menschen auf die Straße, um | |
gegen die Mörder und ihre Hintermänner zu protestieren, und diese Proteste | |
halten bis heute an. Die meisten Armenier in den USA wollten den Bildern | |
aus Istanbul damals erst einmal gar nicht glauben. „Das können doch keine | |
Türken sein“, sagten sie zu mir, „kein Türke protestiert gegen den Mord an | |
einem Armenier.“ Die Großdemonstrationen damals, „haben bei der Diaspora | |
eingeschlagen wie eine Atombombe. Jahrzehntealte Gewissheiten sind ins | |
Wanken gekommen.“ | |
Innerhalb der türkischen Gesellschaft ist seit dem Mord viel diskutiert | |
worden. Auch wenn der Staat einen Völkermord nach wie vor bestreitet, ist | |
das Unwort, im Türkischen: „Soykirim“, doch immer häufiger zu lesen und zu | |
hören. Seit kurzem tauchen deshalb auch in türkischen Medien erste Berichte | |
über einzelne höhere Staatsbeamte auf, die sich den Deportations- und | |
Tötungsbefehlen damals widersetzten und damit Leben retteten. Noch wollen | |
viele Armenier die Veränderungen in der Türkei nicht wahrhaben. „ ’Du bist | |
viel zu optimistisch, Taner‘, sagen sie dann zu mir“, berichtet Akcam. Doch | |
die Risse im Türkenbild vieler Diaspora-Armenier werden größer, hofft | |
Akcam. „Deshalb ist die Forschung nach den ’Gerechten‘ unter den Türken … | |
wichtig. Es ist die Brücke, über die die Diaspora und die türkische | |
Zivilgesellschaft miteinander ins Gespräch kommen kann.“ | |
Wie weit beide Seiten immer noch voneinander entfernt sind, hat nach | |
Meinung von Akcam die Debatte um das „Leugnungsverbot“ in Frankreich | |
gezeigt. Während die armenische Gemeinde in Frankreich sagt, wir brauchen | |
das Verbot zu unserem Schutz vor aggressiven Leugnern, sind gerade die für | |
einen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit offenen Türken | |
entsetzt, weil so ein Gesetz nur die Leugner und Totschweiger in der Türkei | |
unterstützen würde. „In dieser Debatte“, sagt Akcam, „hat es meines Wis… | |
keinerlei Kontakte zwischen der armenischen Diaspora in Frankreich und der | |
türkischen Zivilgesellschaft gegeben. Noch ist jede Seite in ihrer Sicht | |
gefangen.“ | |
12 Mar 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.houshamadyan.org | |
[2] http://www.houshamadyan.org | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
## TAGS | |
Osnabrück | |
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